Streiks im Handel: Kampf um Lohn und Allgemeinverbindlichkeit

Gegen die Blockade

Die Beschäftigten des Einzel- und Versandhandels in Baden-Württemberg befinden sich im sechsten Monat ihres Tarifkampfes. Sie fordern eine tabellenwirksame Lohnerhöhung um 15 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Sie kämpfen zudem für eine Verdopplung der Sozialzulage sowie die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge. Für die Auszubildenden werden 200 Euro mehr gefordert. Doch die Handelsverbände blockierten die Tarifverhandlungen von Anfang an und tun dies auch jetzt. Der Handel stellt den drittgrößten Wirtschaftszweig im „Ländle“ dar – mit einem Umsatz von ca. 90 Milliarden Euro und Milliarden an Gewinnen.

Auch in der letzten Sondierungsrunde kam es zu keiner Annäherung. Das Kapital bleibt bei seinem letzten Angebot, das sich seit dem 27. Juli nicht verändert hat: Lohnerhöhung zum 1. Juli 2023 um 5,3 Prozent, eine weitere Erhöhung um 3,1 Prozent ab 1. April 2024 und eine Laufzeit von 24 Monaten. Dazu wollen sie eine (steuer- und abgabenfreie) „Inflationsausgleichsprämie“ in Höhe von 450 Euro für Vollzeitkräfte zahlen. Teilzeitkräfte bekommen diese nur anteilig, Azubis sollen 150 Euro erhalten. Wo bereits „Inflationsausgleichsprämien“ gezahlt wurden, sollen diese angerechnet werden können. Für Unternehmen in Notlagen soll es eine tarifliche Notfallklausel geben. Die Kolleginnen und Kollegen sind stinksauer, weil für sie klar ist, dass dieses Angebot für sie, die in der Regel für Niedriglohn arbeiten, weitere Reallohnsenkung und Armut bedeutet.

Trotz der Sommerferien wurde und wird im Einzel- und Großhandel seit Monaten durchschnittlich drei Tage pro Woche gestreikt. Bundesweit gab es bereits über 155.000 Streiktage, in Baden-Württemberg mehr als 15.000. In der Region Stuttgart beteiligen sich daran hauptsächlich Beschäftigte von Kaufland, H&M, Primark, Zara, Esprit (Metzingen), Ikea und Obi.

Die Unternehmen reagieren darauf mit Streikbruchprämien, oftmals werden Beschäftigte aus anderen Filialen eingesetzt. Bei Kaufland winken zum Beispiel 110 Euro pro Arbeitstag. Deshalb werden Kolleginnen und Kollegen auch aus dem laufenden Betrieb zum Streik rausgerufen, um mehr Druck auf die Unternehmen ausüben zu können und ihnen die Aufrechterhaltung des Betriebs zu erschweren. Am Freitag letzter Woche streikten zirka 300 Beschäftigte in Stuttgart. Eine Kollegin berichtete stolz, dass an diesem Tag nur noch drei Beschäftigte bei Zara arbeiten würden. Ein Kollege von Ikea berichtete, dass manche Angst hätten, sich den Streiks anzuschließen und dass sie für diese aber mitkämpfen würden.

Der Kampf um Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge ist eine zentrale Frage der Auseinandersetzung. Noch bis Ende der 1990er Jahre waren die meisten Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt worden. Damit galten sie auch in Unternehmen, die nicht den Kapitalverbänden angeschlossen waren. Diese Allgemeinverbindlichkeit wurde von der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2000 aufgehoben. Flankierend dazu führten die Unternehmensverbände Mitgliedschaften „ohne Tarifbindung“ (OT-Mitgliedschaften) ein. Seitdem ist die Tarifbindung dramatisch zurückgegangen. Selbst dort, wo noch Tarifverträge existieren, werden sie kaum noch für allgemeinverbindlich erklärt. Im Handel sind nur noch knapp ein Drittel der Betriebe tarifgebunden. 80 Prozent der Betriebe im Einzelhandel wenden keinen Tarifvertrag an. Auch bundesweit agierende große Ketten wie Edeka, REWE, dm, Rossmann, Obi, Thalia, Amazon, Zalando, Hornbach, C&A, Kik und Woolworth sind nicht mehr in der Tarifbindung.

Der nächste Verhandlungstermin wird am 6. Oktober stattfinden. Um davor nochmal richtig Druck zu machen, ist für Ende September ein gemeinsamer Streiktag von Einzel- und Versandhandel zusammen mit dem Groß- und Außenhandel geplant.

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"Gegen die Blockade", UZ vom 22. September 2023



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