Kolumbien läuft seit Jahrzehnten gegen den Trend Südamerikas. Die letzte Übereinstimmung mit anderen Staaten der Region war in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, als es eine Welle des fortschrittlichen Aufbruchs gab. Als sich diese mit dem Rückenwind der Kubanischen Revolution und der Entkolonialisierungsbewegungen Afrikas und Asiens in den 1960ern neu entfachte, befand sich Kolumbien schon seit 1948 im Bürgerkrieg. Die Repression seitens des Staates mit Hilfe der USA war aufgrund der geopolitischen Lage des Landes mit zwei Ozeanzugängen im Vergleich zu anderen Staaten derart massiv, dass sich zwangsläufig Guerillagruppen bildeten, die schnell an Kraft gewannen. Deshalb wird der lange vorher entfachte Bürgerkrieg oft fälschlich als 1964 beginnend beschrieben, als sich die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) bildeten.
In der „Demokratie“ Kolumbien starben in den 1970er und 1980er Jahren weit mehr Menschen durch staatliche und parastaatliche Hand als in den Diktaturen Südamerikas. Ende der 1980er Jahre lösten sich dann kontinentweit die Guerillas auf, die sich gegen den Staatsterror gewandt hatten – die größten kolumbianischen, FARC und ELN, blieben jedoch weitgehend zusammen. Dadurch war Kolumbien weder in den 1990ern in den regionalen Trend einzuordnen noch im folgenden Jahrzehnt, als sich eine Welle von anti-neoliberalen, aber von Venezuela abgesehen nicht antikapitalistischen Regierungen in Süd- und Mittelamerika entwickelte, während Kolumbien weiterhin rechts regiert wurde. Als ab 2010 anderenorts die Kontinuität des Wirtschaftsmodells zwangsläufig zu einer Rückkehr zu den dazu passenden Regierungen führte, kam in Kolumbien eine mehrjährige Zeit von Friedensverhandlungen zum Durchbruch, als 2016 ein Friedensschluss zwischen Regierung und FARC vereinbart wurde.
Nun wird Kolumbien nach zweihundert Jahren konservativer und rechter Regierungen seit Mitte 2022 von einem Linksbündnis regiert, dem „Historischen Pakt“ unter Einschluss der Kolumbianischen Kommunistischen Partei. Dass Präsident Gustavo Petro einen schweren Stand gegen Militär, Großgrundbesitzer, Kirche und Medien haben würde, war klar. Seinen Wahlsieg erreichte er mit gemäßigtem Programm und vorsichtiger Wortwahl, verständlich angesichts der bekannt terroristischen Neigung der herrschenden Klasse im Land.
Die Liste von linken Hoffnungsträgern, die sich bald in den Schoß der heimischen Bourgeoisie oder gleich der US-Dominanz begaben, ist in den letzten zwanzig Jahren lang geworden – aber anders als von vielen gedacht ist Kolumbien auch hier gegen den Trend gelaufen. In Chile regiert ein Präsident Boric außenpolitisch mehr mit den USA als mit der eigenen Koalition und profiliert sich mit der Diffamierung Kubas; die Regierung Venezuelas kollaboriert offen mit den USA und drangsaliert die KP des Landes. Aber der kolumbianische Präsident geht standhaft einen anderen Weg.
Bei seiner Rede bei der UN-Vollversammlung im September rügte er die Doppelmoral, wenn Irak, Syrien, Libyen überfallen wurden, aber Solidarität mit der Ukraine eingefordert werde; Kolumbien verweigert Waffen und Panzer für die Ukraine. Stimmten die Gründe für die Ukraine, so müsse auch Palästina verteidigt werden, sagte er vor den UN visionär. Nun hat er den israelischen Botschafter, der ihn für seine Parteinahme für Palästina kritisiert hatte, des Landes verwiesen und dabei auf israelische Geheimdienstler wie Yair Klein, der Paramilitärs trainiert hatte, sowie Raifal Eithan, der einen Plan zur Auslöschung der Patriotischen Union entwickelt hatte, aufmerksam gemacht. Auch der Abbruch der diplomatischen Beziehungen sei denkbar, so Petro.