Die LandesschülerInnenvertretung (LSV) von Nordrhein-Westfalen setzte die Freudenbotschaft auf Platz 1 ihrer Positionsmeldungen: „Eltern wollen zurück zu G9“. Seit mehr als fünf Jahren kämpfen kluge Schüler, engagierte Lehrer und verantwortungsbewusste Eltern dafür, dass das so genannte Turbo-Abi mit einer Schulzeit von acht Jahren (G8) wieder rückgängig gemacht wird und diesem Bildungsgang wieder neun Jahre (G9) eingeräumt werden.
In vorauseilendem Gehorsam gegenüber vermeintlichen Bildungseliten, konservativen Philologenverbandsfunktionären, und „Warnern“ aus der Wirtschaftswelt hatte die NRW-Landesregierung die Schulzeitverkürzung eingeführt. Jedenfalls für die Schlauen an den Gymnasien. Für die vermeintlich suboptimal Schlauen an den Gesamtschulen durfte es bei neun Jahren bleiben.
Nach dem unpädagogischen Fracking der Schuldauer gab es zunächst Beifallsstürme von interessierter Seite: Endlich können man im internationalen Vergleich bestehen. Überflüssige Bildungsaltlasten können über Bord geworfen werden. Schmalspurabiturienten fänden fixer den Weg in schlanke und reglementierte universitäre Ausbildungen. Und: sie ständen dem Erwartungshorizont des Kapitals schneller zur Verfügung. Herrlich!
Das war aber merda (lat. Scheiße)! Denn die verdünnten Ausbildungsgänge wurden ergänzt durch einen deutlich gesteigerten Druck auf die Schülerinnen und Schüler, weil ja das fehlenden Jahr ausgeglichen werden musste. Auch auf die Eltern wuchs der Druck. Wer konnte mit seinen eigenen Kindern Goethes Faust angemessen interpretieren? Wer hatte die Zeit, in die Tiefen der Oberstufen-Mathematik einzutauchen? Ökonomischer Nebeneffekt: Nachhilfestudios kamen zu immer mehr „Kunden“. Ein Wahnsinnsmarkt: Eine Million Kinder bescheren nach dem „Handelsblatt“ einen Umsatz von rund 2 Milliarden Euro.
Das System wurde ergänzt – man muss ja alles im Griff haben … – durch das Zentralabitur. Peinlich nur, wenn die Konstrukteure der Abiklausuren sich selber bei der Konzipierung der Aufgaben mehrfach verrechneten. Und das nicht nur in Mathe.
So konnte es also nicht funktionieren. Es dämmerte. Ganz langsam. Und dann kam der Erkenntnisgewinn auch bei den Gymnasialeltern an: 79 Prozent wollen inzwischen zurück zu G9. Die LSV frohlockte: „Selbst die DirektorInnen von Gymnasien wollen offensichtlich den Ausstieg aus dem Turbo-Abitur – 70 % von ihnen sprechen sich für G9 aus.“ Die Datenbasis war beeindruckend, denn 50 000 Eltern beteiligten sich. Bei einer parallel durchgeführten Online-Umfrage forderten sogar 88 Prozent der Beteiligten das G9. Die Elterninitiative „G9 jetzt in NRW“ hatte im vergangenen Jahr 100 000 Unterschriften für eine Volksinitiative auf den Tisch gelegt. Es folgte die Ablehnung durch SPD, Grüne und FDP – bei Enthaltung der CDU und Zustimmung der Piraten.
Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hatte ihre eigenen Lösungsvorschläge: weniger Nachmittagsstunden, weniger Hausaufgaben, weniger Klassenarbeiten. Wie die neuen Untersuchungen zeigen, kommt das nicht an. Sie möchte sich durchsetzen. Sie wird es nicht können.