Jörn Rieken auf dem Ostermarsch in Königs Wusterhausen am 17. April

Gegen das gewaltigste Aufrüstungsprogramm der deutschen Geschichte

Jörn Rieken

Wir dokumentieren die Rede von Jörn Rieken, Mitglied des Bezirksvorstands der IG BAU Berlin, gehalten auf dem Ostermarsch in Königs Wusterhausen am 17. April in voller Länge. Für bessere Lesbarkeit haben wir die Rede bearbeitet.

Liebe Kollegen, liebe Friedensfreunde,

mein Name ist Jörn Rieken, ich bin Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und im Vorstand des Bezirks Berlin. Auch meine Gewerkschaft hat für Samstag zum Berliner Ostermarsch aufgerufen. Hier spreche ich als Gewerkschaftsmitglied.

Ich stehe hier, weil es zum Selbstverständnis der Gewerkschaften gehört, die Arbeits- und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Deshalb streiten wir nicht nur für gute Arbeitsplätze und gute Löhne, sondern wir kämpfen auch gegen die wachsende Kriegsgefahr. Denn auf einem zerstörten Planeten lassen sich Arbeitsplätze weder gestalten noch erhalten.

Wir protestieren deshalb hier für friedliche Konfliktbeilegung durch Verhandlungen. Wir wollen hin zu einer gesamteuropäischen Sicherheitsvereinbarung, die die russische Föderation unbedingt einschließen muss. Jedes Land hat seine Sicherheitsinteressen, und alle müssen berücksichtigt werden. Notwendig ist dafür Diplomatie. Das Mittel sind gemeinsame Sicherheitsverhandlungen. Wir leben auf einem gemeinsamen Kontinent, und Russland ist unser Nachbar! Zu unserer aller Nutzen – wir können uns keinen Krieg und erst recht keinen Atomkrieg leisten. Daher stellen wir uns mit aller Deutlichkeit gegen das gewaltigste Aufrüstungsprogramm der deutschen Geschichte.

Als Gewerkschaften sind wir schon seit längerem dem Neoliberalismus ausgesetzt: Privatisieren und Deregulieren. Im Wesentlichen bedeutet das: Umverteilung von unten nach oben. Und dieses Ziel wurde konsequent umgesetzt. Zusammenhängende Produktionsketten wurden in Sub-Sub-Sub-Unternehmen zerschlagen, unter anderem auch, um die gewerkschaftliche Stärke der abhängig Beschäftigten einzuschränken.

In der Baubranche sind wir davon besonders betroffen: Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind dort keine Ausnahmen mehr, sondern eher die Regel.

Aber selbst diese dramatische Umverteilung von unten nach oben trägt seit inzwischen vielen Jahren nicht mehr zum Wirtschaftswachstum bei. Die Durchschnittslöhne haben noch nicht einmal das Niveau von vor Corona erreicht. In den Sub-Sub-Sub-Unternehmen in der Baubranche sind die Löhne sogar noch weiter gesunken!

Dieser offensichtliche Bankrott des Neoliberalismus befeuert nun den Militarismus. So befinden wir uns derzeit im Übergang vom Neoliberalismus zur Kriegswirtschaft. Oder, wie es „Financial Times“ vor ein paar Wochen formulierte: Die Bundesrepublik sei auf dem Wege, „einen Kriegsführungsstaat“ aufzubauen.

Und das, obwohl die Ende 2024 veröffentlichte Bedrohungsanalyse aller US-Geheimdienste, noch erstellt unter der Präsidentschaft Bidens, lautete: „Russland will mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten militärischen Konflikt mit Streitkräften der USA und der NATO.“

Dieses Statement wurde von der vorherigen US-Regierung sogar öffentlich zugänglich gemacht, es ist im Internet einsehbar. Greenpeace und SIPRI haben in Studien das militärische Potential der NATO mit dem der Russischen Föderation verglichen. Demzufolge gibt es für Westeuropa überhaupt kein Bedrohungspotential! Trotzdem wird medial fast mantramäßig das Narrativ veröffentlicht, es gehe um „Verteidigung“.

Dabei ist die Russische Föderation bereits jetzt der NATO militärisch klar unterlegen. Und zwar selbst ohne die geplante Aufrüstung, und auch, wenn man nur die europäischen NATO-Staaten betrachtet, ohne die USA. Bei den meisten Waffensystemen ist die NATO deutlich stärker. Sie hat mehr Soldaten und mehr Bevölkerung, eine viel größere Wirtschaftskraft, höher entwickelte Technologie, und gibt schon jetzt mehrfach so viel Geld für Militär aus wie Russland – obwohl sich Russland im Krieg befindet.

Es geht also überhaupt nicht um Verteidigung. Selbst nach Aussage des bisher zuständigen Ministers geht es um „Kriegstüchtigkeit“. Kriegstüchtigkeit ist nur ein anderes Wort für „Angriffsfähigkeit“. Das über 1 Billion Euro schwere Aufrüstungsprogramm soll es ermöglichen – die direkte Vorbereitung eines Angriffskriegs! Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Herr Breuer, formulierte das geplante Vorgehen folgendermaßen: „Abschreckung muss nicht immer reaktiv sein – sie hat auch aktive Komponenten“.

Gemäß dem bisher zuständigen Minister Pistorius soll die Kriegstüchtigkeit bis 2029 erreicht werden. Der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Herrn Kahl, ging bisher davon aus, dass Russland bis 2029 weitgehend ausgeblutet sein würde – mit der Verwüstung der Ukraine als Kollateralschaden.

Zum Erreichen der Kriegstüchtigkeit soll Deutschland zum Aufmarschgebiet aufgerüstet werden. Gemäß gegenwärtiger Planung sind bereits Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg als die wesentlichen Bereitstellungsräume ausgewiesen. Im neuen Koalitionsvertrag ist das eindeutig so formuliert: „Wegen seiner geografischen Lage in Europa soll Deutschland als zentrale Drehscheibe der NATO weiter ausgebaut werden.“ Um die Bereitstellungsräume zu „ertüchtigen“, sind wesentliche Teile der 500 Milliarden Euro für Infrastruktur vorgesehen.

Aber um welche Art von Infrastruktur handelt es sich dabei?

  • Im Verkehrswesen geht es vor allem um Brücken, die panzertragfähig gemacht werden sollen.
  • Im Gesundheitswesen geht es vor allem um die Vorgabe, bis zu 1.000 Schwerverwundete pro Tag per Operation in noch zu schaffenden unterirdischen Krankenhäusern wieder einsatzfähig zu machen.
  • Im Bevölkerungsschutz sollen Bunker gebaut werden.
  • Im Heimatschutz sollen Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz und weitere Hilfsorganisationen auf den Kriegsfall vorbereitet werden.

Garniert wird das Ganze mit der geplanten Wiedereinführung der Wehrpflicht. Auch hierfür soll die materielle Infrastruktur aufgebaut werden.

Über 1 Milliarde Euro soll verpulvert werden – „verpulvert“ im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei haben wir ganz andere, wirkliche Probleme. Eines der drängendsten Probleme ist der dramatische Mangel an bezahlbaren Wohnraum. 800.000 Sozialwohnungen fehlen in Deutschland. Immer noch fallen mehr Sozialwohnungen aus der Bindung, als neue gebaut werden. In Berlin werden nur 4 Prozent aller neuen Sozialwohnungen von privaten Investoren gebaut. Es braucht also mit allerhöchster Dringlichkeit ein großes staatliches Investitionsprogramm für sozialen Wohnungsbau.

Seit Jahren fordert die IG BAU ein solches Investitionsprogramm von 50 Milliarden Euro über vier Jahre – ein fast lächerlicher Betrag! Vor allem im Vergleich zu den Konsumausgaben für Panzer, Kampfflugzeuge und Fregatten. Aufrüstung ist volkswirtschaftlich gesehen reiner Konsum, ohne jeden nachhaltigen Ertrag, dafür mit tödlichen Folgen! Im vorgesehenen Infrastrukturprogramm von 500 Milliarden Euro hingegen ist gerade der soziale Wohnungsbau ausdrücklich ausgenommen.

Damit „ist die Systemfrage gestellt“ – das sagt selbst der Bundesvorsitzende der IG BAU. Allerdings wird auch in der IG BAU der Widerspruch zwischen Aufrüstung und sozialer Sicherheit, also angemessenen Löhnen und bezahlbarem Wohnraum, viel zu wenig thematisiert. Wie in anderen Gewerkschaften auch, insbesondere der IG Metall und ver.di, haben wir im letzten Jahr auf dem Gewerkschaftstag diesen Widerspruch thematisiert, und zwar mit der Forderung eines Initiativantrags auf 50 Milliarden Euro für sozialen Wohnungsbau statt 2 Prozent für Aufrüstung. Knapp die Hälfte der Delegierten hatten den Antrag unterzeichnet. Nur eine knappe Mehrheit folgte der Empfehlung des Vorstands, den Antrag abzulehnen. Und damals ging es „nur“ um 2 Prozent. Heute ist schon die Rede von 5 Prozent.

Und genau darum geht es jetzt: Wir müssen die Diskussion in die Gewerkschaften tragen! Rein in jeden Ortsverband, in jede Fachgruppe, in jede Betriebsgruppe. Wir müssen dem Mantra der vorgeblichen Bedrohung ausdrücklich und überall widersprechen!

Es geht um nichts weniger als die Vorbereitung eines Angriffskriegs!

Es geht es um die Abschaffung des Sozialstaats, und den Aufbau eines Kriegsführungsstaats.

Die tatsächliche Bedrohung des Sozialstaats kommt nicht von außen – die tatsächliche Bedrohung ist der angestrebte „Kriegsstaat“ und dessen Fähigkeit zum Angriffskrieg!

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

Jörn Rieken ist Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und im Vorstand des Bezirks Berlin

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.



UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
Unsere Zeit