Gegen Aufweichen des Mindestlohns

Markus Bernhardt im Gespräch mit Martin Behrsing

gegen aufweichen des mindestlohns - Gegen Aufweichen des Mindestlohns - Flüchtlinge, Interview, Prekäre Arbeit, Prekäres Leben - Positionen

( Martin Behrsing)

Martin Behrsing ist Sprecher des „Erwerbslosen Forum Deutschland“

http://www.erwerbslosenforum.de

UZ: Angeblich nimmt die Erwerbslosigkeit in der Bundesrepublik seit Jahren ab. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die aktuelle Sozialpolitik der Bundesregierung?

Martin Behrsing: Ich kann nicht feststellen, dass die Erwerbslosigkeit in dem Maße abgenommen hat, wie das behauptet wird. Dafür weisen die Statistiken zu viele Punkte auf, in denen die Erwerbslosen gar nicht mehr erscheinen.

UZ: Inwiefern?

Martin Behrsing: Das betrifft zum Beispiel die Gruppe der Menschen, die sich in irgendwelchen Maßnahmen befinden. Oder auch Menschen, die Vermittlungsgutscheine bekommen haben und bei privaten Arbeitsvermittlern sind, die nicht mehr mitgezählt werden. Und es betrifft auch Menschen, die über 58 Jahre alt sind, bei denen man sowieso davon ausgehen muss, dass sie keine Arbeit mehr finden. All diese Gruppen finden sich in den Statistiken also gar nicht erst wieder. Gleichwohl muss man natürlich sagen, dass die Statistiken tatsächlich ein besseres Bild zeichnen, als 2005. Damals hatte die Erwerbslosigkeit ein verheerendes Ausmaß. Wenn man sich jetzt aber die aktuelle Sozialpolitik anschaut, muss man feststellen, dass es um die Zukunft der Mehrheit der Menschen keineswegs rosig bestellt ist. Für das Jahr 2030 wird erwartet, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung, die dann in Rente geht, auf die Grundsicherung angewiesen sein wird. Das heißt, die Hälfte der Menschen ist dann arm.

Wir haben zwar mittlerweile den Mindestlohn, aber die 8,50 Euro sind ja nicht ausreichend. Wir haben das einmal ausgerechnet. 8,50 Euro reichen bei einer 38,5 Stunden-Woche nicht aus. Man hat dann immer noch Anspruch auf ergänzende Leistungen nach Hartz IV.

UZ: Mit der Einführung der Hartz IV-Gesetzgebung wurden auch sogenannte „Ein-Euro-Jobs“ ins Leben gerufen. Angeblich, um Erwerbslose in Arbeit zu bringen. Waren die Ein-Euro-Jobs dazu jemals geeignete Mittel?

Martin Behrsing: Nein, das waren sie nie. Die sogenannten Ein-Euro-Jobs sind auch heutzutage noch genau so ein Ausdruck der Hilflosigkeit, wie sie es schon 2005 waren. Es war immer klar, dass sich die Chancen, eine Erwerbsarbeit durch Ein-Euro-Jobs zu finden, nicht verbessert haben.

UZ: Also lehnen Sie die von der damaligen „rot-grünen“ Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) noch immer rundweg ab?

Martin Behrsing: Ja. Sie können eventuell für Menschen hilfreich sein, die keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt haben. Wenn es etwa darum geht, dass Menschen nicht vereinsamen sollen oder ihr Tagesablauf etwas mehr strukturiert werden soll. Aber das betrifft nur eine ganz kleine Gruppe von Menschen. Außerdem haben in diesen Fällen auch die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik nichts zu suchen. Das sind eigentlich Instrumente, die eher in den Bereich der Sozialtherapie hineingehören.

UZ: Aktuell wird viel über eine zukünftig mögliche Konkurrenz zwischen Erwerbslosen und Flüchtlingen diskutiert. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Martin Behrsing: Wir können derzeit noch gar nicht sagen, ob da tatsächlich eine Konkurrenz entsteht. Die Flüchtlinge, die jetzt hier sind, sind finanziell auf jeden Fall schlechter gestellt als Hartz-IV-Bezieher. Meines Erachtens müssten jedes Jahr rund 10 Milliarden Euro in den Flüchtlingsbereich gesteckt werden, um eine Verbesserung der Sprachkenntnisse und Inte­gration überhaupt erst möglich zu machen. Wichtig ist, dass die Flüchtlinge Bildung bekommen und sich hier zurecht finden. Ich sehe diese Konkurrenz also nicht. Sie wird jedoch immer aufgemacht. Und zwar maßgeblich von Gruppierungen am rechten Rand. Man kann das aktuell sehr gut in den sogenannten sozialen Medien sehen, wo öfters mal hochgerechnet wird, was Flüchtlinge angeblich am Tag bekämen. Das hat jedoch meist mit Rea­litäten überhaupt nichts zu tun. Wir müssen allerdings aufpassen, dass die Rechtspopulisten und Neonazis nicht punkten können.

Verantwortlich für die Probleme sind außerdem nicht die Flüchtlinge, sondern die Herrschenden.

UZ: Welche Gefahren bestehen nun, wenn Flüchtlinge als Druckmittel auf dem Arbeitsmarkt missbraucht werden?

Martin Behrsing: Die Gefahren sind erheblich, wenn sich Teile der CDU/CSU durchsetzen und der Mindestlohn aufgeweicht würde. Dann gäbe es eine Masse an billigeren Arbeitskräften und es würde ein deutlich erhöhter Konkurrenzdruck entstehen. Da müssen vor allem auch die Gewerkschaften drauf achten, dass es auf keinen Fall zu einer wie auch immer gearteten Aufweichung des Mindestlohns kommt.

UZ: Die sozialchauvinistische AfD hat bei den letzten Landtagswahlen überdurchschnittlich große Erfolge eingefahren. Auch bundesweit wird sie bereits als drittstärkste politische Kraft gehandelt. Warum haben derart viele Menschen bei den vergangenen Wahlen für die AfD gestimmt, obwohl diese den Druck auf Erwerbslose massiv erhöhen will und sicherlich nicht für eine ausgewogene Sozialpolitik steht?

Martin Behrsing: Ich stelle immer wieder fest, dass sehr viele Erwerbslose völlig unpolitisch sind. Das macht es auch so schwer, sie zu wirklich ernsthaften Protesten zu bewegen. Meist gehen Erwerbslose gar nicht wählen. Oder sie wählen etwas aus Protest und setzen sich dabei oft nur begrenzt mit den wirklichen Inhalten auseinander. Hier liegt es an den Erwerbslosen selbst, tätig zu werden und sich zu informieren. Wir erreichen über unsere Kanäle im Internet rund 60.000 Menschen und haben dort unser Entsetzen über die jüngsten Wahlerfolge der AfD zum Ausdruck gebracht. Personenkreise, die mit der AfD sympathisieren, sind auf unserer Internetplattform nicht willkommen. Das haben wir ganz deutlich klargestellt.

UZ: Und warum gelingt es bisher nicht wirklich, Erwerbslose und Flüchtlinge zu gemeinsamen Protesten gegen ihre Lebenssituation zu bewegen?

Martin Behrsing: Das ist zunächst nicht ganz so einfach. Ich würde jedoch nicht ausschließen, dass es künftig noch gelingt. Erste Ansätze gab es hier in Bonn bereits. Da haben vor allem junge Menschen für die Rechte der Flüchtlinge demonstriert. Gemeinsame Proteste sind jedoch ganz klar ausbaubar. Aber ich bin diesbezüglich ganz optimistisch.

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"Gegen Aufweichen des Mindestlohns", UZ vom 15. April 2016



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