Kurz vor dem Newroz-Fest Mitte März haben verschiedene Kräfte um die syrisch-kurdische Partei der demokratischen Einheit (PYD) und ihr militärischer Arm (YPG) im Norden Syriens eine föderale Region ausgerufen. Beteiligt waren die Vertreter der Ethnien der Region, u. a. arabische Stammesoberhäupter, aber auch politische Parteien. Der Aufruf stieß im übrigen Syrien auf Ablehnung, so auch bei der syrischen Regierung. In einer Erklärung des Politbüros der Syrischen KP (Vereinigte), die sich im Bündnis mit der Baath-Partei befindet, heißt es unter der Überschrift „Die Syrer lehnen die Spaltung ab. Die Rechte der kurdischen Bürger sind Teile der Rechte aller Syrer“, die Erklärung diene nicht den kurdischen Bürgern, sondern beschädige ihre Rechte und ihren Kampf. Denn die Rechte der Kurden könnten nicht von den Rechten aller Syrer auf Demokratie, Gleichheit und Gerechtigkeit, der Entwicklung und des Einkommens getrennt werden. Die Erklärung stehe zudem außerhalb der UN-Resolutionen zu Syrien, die stets die territoriale Integrität Syriens beinhalteten. Das Vertrauen in die PYD und YPG schwindet somit in Syrien, auch wenn die entsprechende Region nicht Rojova, sondern föderale Region Nordsyrien genannt wird.
Auf der anderen Seite treten die syrische Regierung und ihre Verbündeten für die Beteiligung der PYD an den Verhandlungen in Genf ein. Die PYD und YPG sind wichtige Akteure im Kampf gegen den Terrorismus in Syrien. Das ist auch die Position Russlands, des Mitinitiators der Genfer Verhandlungen und Verbündeter der syrischen Regierung. Verhindert wird die Teilnahme von den Gegnern der syrischen Regierung, der so genannten Riad-Opposition, der Türkei und schließlich dem US-Imperialismus. Denn sie würden versuchen, die PYD zu radikalisieren und zu Schritten bewegen, die die Integrität Syriens in Frage stellen.
Die falsche Politik der PYD/YPG findet ihre Erweiterung in ihrer militärischen Tätigkeit. Während die militärische Unterstützung der US-geführten Koalition in der Kobani-Schlacht gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) mit dem eigenen Überlebenskampf begründet worden sein mag, nehmen die aktuellen Entwicklungen eine unerfreuliche Richtung. So fanden Mitte April Gefechte zwischen der YPG und ihren Polizei-Einheiten auf der einen Seite und regierungsnahen Paramilitärs, den Nationalen Verteidigungseinheiten (NDF) und der syrischen Armee (SAA) auf der anderen Seite in der nordsyrischen Stadt Qamishli statt. Außerdem findet eine lange vorbereitete Schlacht um die „Befreiung“ der syrischen Stadt Rakka, die der IS als seine Hauptstadt deklariert hat, statt. Teilnehmer sind die YPG, arabisch-liberale Teile der Freien Syrien Armee (FSA) und vor allem US-Amerikanische Truppen. Die syrische Regierung lehnt diese US-Bodentruppen ab. Eine Syrische KP organisierte im Bündnis mit der Baath-Partei in der nordsyrischen Stadt Al-Heseke eine Demonstration gegen die US-Truppen in Syrien.
Ein anderes militärisches Bild liefern die Stadt und die Region Aleppo im Nordwesten Syriens. Dort gibt es eine stärkere faktische Zusammenarbeit, wenn von kleineren Reibungen abgesehen wird, zwischen der YPG und der SAA. So wird der von der YPG beherrschte Stadtteil Sheikh Maqsud von der FSA und dem Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front beschossen. Hunderte Zivilisten fanden in den letzten Monaten durch den Beschuss dieser „moderaten Opposition“ ihren Tod, ebenso wie Zivilisten der von der SAA beherrschten Stadtteile. Damit gibt es mehr oder weniger koordinierte Militäroperationen zwischen YPG und SAA. Unter anderem beschießt die YPG die einzig gebliebene Zugangsstraße der „moderaten Opposition“ zu den von ihr beherrschten Stadtteilen. Auch in der vor wenigen Monaten großen Befreiungsaktion der SAA im Nordwesten Aleppos fand eine unausgesprochene, jedoch faktische militärische Zusammenarbeit zwischen YPG und SAA statt.
Man kann den Eindruck gewinnen, dass die PYD/YPG eine „flexible“ Politik betreibt. Auch einen anfänglichen Nutzen US-amerikanischer Bombardements der Stadt Kobani gegen die Stellung des IS zur offenen Zusammenarbeit mit US-Bodentruppen. Gleichzeitig wird der Draht nach Russland und der syrischen Regierung nicht vollkommen abgeschnitten. Es gibt sogar neben russischer Luftunterstützung punktuelle Zusammenarbeit mit der SAA. Auf politischer Ebene liegt der Widerspruch objektiv gesehen anders. PYD verfolgt nach wie vor die Prinzipien ihrer Mutterorganisation, der Union der Gemeinschaften Kurdistan (KCK), einem demokratischen Konföderalismus und damit der Ablehnung eines Separatismus im traditionellen Sinne. Die PYD möchte in einem künftigen einheitlichen Syrien verbleiben. Für diese Prinzipien ist Russland in seinen Möglichkeiten offener, da es im Gegensatz zum US-Imperialismus keine langfristige strategische Partnerschaft mit der Türkei hat.
Die syrisch-kurdische Frage und die Beziehungen der PYD als Hauptkraft in der kurdischen Bevölkerung Syriens und der syrischen Regierung hat ihren langen historischen Gang. Die Arabisierungsversuche der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der Jahrzehnte dauernde Entzug der Staatsbürgerschaft für Hunderttausende syrischer Kurden (die 2011 von der syrischen Regierung mit Beginn der Krieges zügig rückgängig gemacht wurden), die fehlende Investition in die von Kurden bewohnten Gebiete und damit ihre ökonomische Rückständigkeit müssen mittels geduldiger vertrauensbildender Maßnahmen zurückgedrängt werden. Ob der gemeinsame Kampf gegen den sogenannten IS und andere Terror-Gruppen eine solide Grundlage bietet, wird die Zukunft weisen. Die enge Kooperation mit dem US-Imperialismus erschwert die Vertrauensbildung.
Die syrischen Kommunisten haben bereits in der Vergangenheit Beiträge geliefert zur Stärkung der arabisch-kurdischen Verbrüderung. Sie unterstützen die berechtigten Forderung der kurdischen Bevölkerung und lehnen den Separatismus sowie die Abhängigkeit vom Imperialismus ab.