Am Vorabend wollte man sich noch im „Sodom und Gomorra“ in der Torstraße vergnügen, am nächsten Tag – weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit – im Steigenberger-Hotel am Kanzleramt tagen. Am 27. März fand in Berlin die 13. Sicherheitstagung von Bundesverfassungsschutz (BfV) und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e. V. statt. In diesem Jahr war die Konferenz dem Thema „Extremismus – steigende Gefahren für Sicherheit und Reputation von Unternehmen“ gewidmet.
Die Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) ist ein bundesweiter Interessenverband der deutschen Wirtschaft mit Ablegern in den Bundesländern. Folgt man der Eigendarstellung, dann befasst sich die ASW mit sämtlichen Bedrohungen für deutsche Unternehmen und will sie vor allem vor Wirtschaftskriminalität, Spionage, Cyber-Crime, Terrorismus, aber auch vor Extremismus „schützen“. Die ASW sieht sich als „aktiver Partner in der politischen Gesetzgebung. Kommunikationspartner der Medien“ und als „Scharnier zwischen Sicherheitsbehörden und der Wirtschaft“. Sie kooperiert dabei eng mit „allen wichtigen Organisationen der nachrichtendienstlichen und polizeilichen Gemeinschaft und anderen Sicherheitsbehörden“, beispielsweise mit dem Bundesnachrichtendienst, dem Bundeskriminalamt und dem BfV.
Wie eng die Kooperation zum Beispiel mit dem Verfassungsschutz ist, der sich als Dienstleister für die Unternehmen sieht, konnte man auch den spärlichen Veröffentlichungen über die Tagung entnehmen. In einer gemeinsamen Presseerklärung hieß es: „Extremistische Aktivitäten können die Attraktivität des Standorts Deutschland beeinträchtigen und die Reputation von Firmen schädigen. Anschläge aus allen Extremismusbereichen bedeuten immer auch ein Risiko für die Betriebsabläufe der deutschen Wirtschaft.“
Was man unter Extremismus versteht und dass man vor allem den „Linksextremismus“ und dabei kapitalismuskritische und antikapitalistische Proteste im Blick hat, machten Volker Wagner, Vorstandsvorsitzender der ASW-Bundesverbandes, und der Stellvertretende Verfassungsschutzchef Selen bereits in ihren Eingangsstatements mit dem Verweis auf G20, den Hambacher Forst usw. deutlich. Wagner, der nach seinem Wechsel von der Telekom seit 1. Februar 2018 zugleich Leiter Unternehmenssicherheit bei der BASF SE in Ludwigshafen am Rhein ist, beklagte: „Die deutsche Wirtschaft ist immer wieder direkt von Extremismus betroffen. Die Grenze zwischen bürgerlichen Interessenbekundungen und extremistischen Handlungen sind dabei fließend.“ 29 500 Linksextremisten registriere der Verfassungsschutz. Etwa 9 000 davon sind – angeblich – gewaltbereit. „Sie sind auch Feinde der Wirtschaft“, so der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Sinan Selen. Was Sicherheitsexperten und Unternehmen wie RWE gleichermaßen umtreibt, ist „die Entgrenzung von bürgerlichem Protest und Extremismus“. Die Gewalt gegen RWE sei ein Beispiel, wie sich Linksextremisten in Proteste einmischen.
Doch die Gefahr von rechts, erklärte der Stellvertretende Verfassungsschutzchef, sei nicht weniger gefährlich und vielleicht sogar nachhaltiger als der Linksextremismus. Wenn Randale wie im Sommer 2018 in Chemnitz weltweit für Schlagzeilen sorgen, dann wird das Land unattraktiv für Investoren und Fachkräfte. „Die Marke ‚Deutschland‘ leidet.“
„Theoretisch“ wurde das Umschlagen von friedlichen Protesten in „extremistische Gewalt“ dann von Prof. Udo Di Fabio, früherer Verfassungsrichter (1999 bis 2011), begründet, der u. a. wegen seines Rechtsgutachtens „Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem“ (Januar 2016), das er im Auftrag der bayerischen Staatsregierung erstellt hatte, bekannt wurde. Dass 2015 – auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsströme – die deutschen Grenzen von der Bundesregierung nicht geschlossen wurden, ordnete er damals, ganz im Interesse der CSU, als Verstoß gegen geltendes Recht ein. Thema von Di Fabios Referat auf der Sicherheitstagung war „Populismus und Extremismus – Die Grenzziehung zwischen Meinungstoleranz und freiheitlicher Selbstbehauptung“.
Später, in geschlossener Sitzung, sprachen unter anderem der Leiter der Konzernsicherheit bei RWE, Stefan Engelbrecht, über „Unternehmen als Ziele linksextremistischer Agitation“. Kommunikationsstrategien für Unternehmen, die in das Visier von „Extremisten“ geraten, zeigte Christiane Schulz von Weber Shandwick auf. Weber Shandwick, eine international agierende PR-Firma, ist Teil der US-amerikanischen Interpublic Group of Companies und arbeitet unter anderem für Nestlé, die Deutsche Telekom, Honeywell und Toyota. Auf dem Programm standen aber auch Vorträge über „Reichsbürger und Selbstverwalter als Problem für Unternehmen“ und andere.
Übrigens: Die Party in der Bar „Sodom und Gomorra“ fand nicht statt. Sie wurde – wie der „Tagesspiegel“ einen Tag später berichtete – an einen geheim gehaltenen Ort verlegt. Angeblich wegen der „Linksextremisten“, die an jenem Abend zu Protesten gegen die Konferenz aufgerufen hatten.