Gefährlicher Gegenwind

Arnold Schölzel zum Landesparteitag der Linkspartei Sachsen

Am vergangenen Wochenende fand in Dresden ein Landesparteitag der Partei „Die Linke“ statt. Im Mittelpunkt stand die Suche nach den Ursachen für das schlechte Abschneiden der Partei bei den Landtagswahlen am 1. September. Sie sackte um 8,5 Prozent auf 10,4 Prozent ab und damit auf etwa 50 Prozent ihres Ergebnisses vor zehn Jahren. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr verlor die Partei in Sachsen zudem ein Drittel, oft die Hälfte ihrer Mandate. Die Tageszeitung „Neues Deutschland“ zitierte am Montag die mit 60,1 Prozent der Delegiertenstimmen neugewählte Landesvorsitzende Susanne Schaper (ihr Kovorsitzender Stefan Hartmann, Mitglied des „forum demokratischer sozialismus“, erhielt 62,4 Prozent), in der Hälfte der Landkreise Sachsens sei „die Arbeitsfähigkeit in Frage gestellt“.

Der zentrale Beschluss des Parteitages, in dem die Krise der Partei als „existenziell“ bezeichnet wird, steht unter dem Titel „Aufbruch 2020“. Er wirkt wie ein Kompromiss zwischen scharfer Analyse und ratlosem Weiterwursteln. In dem Dokument wird unter anderem eine innerparteiliche Kritik zitiert, in der für „Die Linke“ insgesamt festgehalten wurde: „Der Partei fehlt in der praktischen Politik eine überzeugende Gegenmachtstrategie, die Systemfrage stellt sie kaum noch.“ Das soll sich, sei an dieser Stelle eingeschoben, offenbar auch so fortsetzen. In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“, der am ersten Tag des Landesparteitages erschien, schrieb der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Dietmar Bartsch, jedenfalls: „Wir als Linke werden uns als Hoffnungsträger für eine Mitte-Links-Regierung aufstellen. Die Wahl in Thüringen hat gezeigt, dass die Linke viele Menschen mobilisieren kann, wenn sie erleben, dass pragmatische und erfolgreiche linke Politik in Regierungsverantwortung ihr Leben verbessert.“

Angesichts der Situation in Sachsen und im Bund wirkt das realitätsfern, vor allem aber wie eine Wiederholung. Vor der Bundestagswahl 2002 hatte der damalige PDS-Wahlkampfleiter Bartsch in derselben Zeitung, die damals noch eine eigene Politikredaktion hatte, seine Partei faktisch als Westentaschenreserve der Gerhard-Schröder-SPD angeboten. Bis auf zwei Direktmandate verschwand die PDS danach aus dem Bundestag. Der große Besen, den Gregor Gysi symbolträchtig auf dem Gründungsparteitag der SED/PDS im Dezember 1989 schwang, schien seine Aufgabe erfüllt zu haben: Marxismus, Sozialismusbezug und letztlich Antikapitalismus schienen getilgt.

Es kam wegen der Proteste gegen die „Agenda“-Politik seit 2003 anders.

Und heute? In seinen Schlussfolgerungen erklärt der Landesparteitag, „Die Linke“ stehe „nicht nur in Opposition zu den Regierenden, sondern zum Kapitalismus und der herrschenden Klasse sowie zur Zerstörung von Natur und Umwelt durch die gegenwärtige Wirtschaftsordnung“. Das bleibt abstrakt und es folgt Widersprüchliches. So ist zum Beispiel die Rede von „kulturellen Entfremdungsprozessen der Linken gegenüber lohnabhängig Beschäftigten, sozial Benachteiligten und Unterprivilegierten“. Ursache dafür seien „Sprache und unsere innerparteiliche Kommunikation“. Demnach wäre die Verpackung zu kritisieren.

Nun soll unter anderem ein „Stimmungsumschwung“ in der Mitgliedschaft herbeigeführt werden. Das Wahlergebnis sei auch Kritik an der „unklaren Rolle im sächsischen Parteienspektrum“. In der Tat verstand sich die bisherige sächsische Parteiführung ganz im Sinne Bartschs als Regierung im Wartestand. Das setzt sich fort. Linke-Parteivorsitzender Bernd Riexinger verspürte in Dresden sogar Rückenwind und nannte als Beleg dafür das Wahlergebnis in Thüringen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz-IV-Sanktionen sowie den Berliner Mietendeckel. Der Beschluss des Landesparteitages warnt allerdings: Es herrscht Gegenwind, der für „Die Linke“ lebensgefährlich werden kann.

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"Gefährlicher Gegenwind", UZ vom 22. November 2019



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