Innenministerium legt Strategiepapier gegen „Extremismus“ vor. Das Ziel: abweichende Meinungen eindämmen

Gefährliche Gedanken

Das hatte sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) anders erhofft. Der mediale Hype der willfährigen Hauptstadtpresse blieb aus. Bis dato lassen die Reaktionen auf das am 22. Mai vorgestellte Strategiepapier „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus“ auf sich warten. Faeser stellt fest: „Unsere Demokratie ist unter Druck“ und warnt auf 57 entnervend langatmig verfassten Textseiten vor der um sich greifenden Unterwanderung der als sicher und unerschütterlich geglaubten Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Mit „extremistischen Handlungen; Desinformationskampagnen und Cyberangriffen auf staatliche Stellen (…) versuchen die Feinde der Demokratie, diese zu schwächen und zu destabilisieren. Besonders im digitalen Raum werden Hass und antidemokratische Einstellungen mannigfaltig verbreitet und zum Teil sogar als mehrheitsfähig wahrgenommen.“ Die Situation ist ernst, da muss das Innenministerium mit den Getreuen des Verfassungsschutzes wahrlich neue Konzepte zum Kampf um die Köpfe einsetzen. Das Problem des Strategiepapiers ist, dass es den Leser, sollte er es tatsächlich geschafft haben, sich durch das Dickicht verschachtelter Nebensätze zu kämpfen, mit beklommener Ratlosigkeit zurücklässt. Was in den kommenden Monaten ins Haus steht, immerhin, das lässt sich herauslesen: „Radikalisierungstendenzen frühzeitig erkennen und vorbeugen: Prävention ausbauen“ und „Verschwörungserzählungen, Desinformation und Hass im Netz besser erkennen und konsequent begegnen“.

Eigentlich nichts Neues also. Zur Tagesordnung sollte man gleichwohl nicht übergehen, verrät das Papier doch einiges über den Abbau demokratischer Rechte und die grobe Linie des fortgesetzten reaktionären Staatsumbaus. Diesmal geht es nicht um den Ausbau des politischen Strafrechts und die Effektivierung der Strafverfolgung, sondern um den „vorgelagerten Phänomenbereich“, sprich, verschwörerisch ausgerichtetes „Gedankengut“, also um das Denken, das auf dem Sprung ist, in „extremistisches Handeln“ umzuschlagen. Denn unsere Werte „stehen nicht zur Disposition“.
Dass es in Zukunft in dieser Frage kein Pardon mehr gibt, will Faeser mit allen Mitteln durchsetzen, ob mit „Bildungsangeboten“, die das ganze Leben begleiten sollen, oder ihrem breiten Raum einnehmenden „ganzheitlichen Demokratiekonzept“. Ganz meint ganz, das wird deutlich, wenn es beispielsweise um die Prävention geht. In drei Stufen soll primär, sekundär und tertiär dafür gesorgt werden, dass aufrührerisches Denken im Zaum gehalten wird. Während sich das Innenministerium auf Stufe eins und zwei um Menschengruppen und Organisationen kümmert, ist die tertiäre Prävention als Sorge um das Individuum beschrieben. Denen, die „von der Bahn abgekommen“ sind, soll der Ausstieg aus verschwörungstheoretischen Zusammenhängen erleichtert werden. Eine „Task Force“ zur frühzeitigen Erkennung missliebiger Meinungsbilder ist schon gebildet worden. Von dieser Spielart gedankenpolizeilicher Prävention wird in Kürze mehr zu hören sein.

Warum die bürgerliche Journaille solche Allmachtsfantasien nicht begierig aufgegriffen hat, lässt sich erahnen. Das Strategiepapier strotzt nicht gerade von klaren Aussagen. Bewusst ist es von seinen Verfassern so gehalten, dass sich damit in Zukunft alles legitimieren lässt. So nimmt es nicht Wunder, dass eines der üblichen Textanalyseprogramme, das mit dem Text des Strategiepapiers gefüttert wurde, bescheinigt, dass der Text „schwer verständlich“ sei und mit einem Stil arbeite, der an Dissertationen aus dem Bereich der Soziologie erinnere. Die KI -Software fragt, ob an der Erstellung etwa künstliche Intelligenz beteiligt gewesen wäre. Auszuschließen ist das nicht, aber einstweilen reicht die Fantasie der Ministerialbürokraten in den Projektabteilungen des Bundesinnenministeriums noch aus, um eine solche Skizze Orwellschen Ausmaßes vorzulegen. Die nächsten Monate werden zeigen, welche Früchte diese Saat hervorbringt.

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"Gefährliche Gedanken", UZ vom 7. Juni 2024



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