Zum 27. Januar

Gedenken instrumentalisiert

Auch im 76. Jahr nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz bietet das offizielle Gedenken an dieses Ereignis in der Berliner Republik das gleiche Bild wie in den Jahren zuvor. Da ist zunächst einmal die inzwischen etablierte schlechte Tradition, die Befreier gar nicht oder nur in einem Beisatz zu erwähnen. Ausgeschlossen ist es erst recht, Worte des Dankes für sie zu finden. Der Weg nach Auschwitz, zu seiner Befreiung, wurde erkämpft von Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee, von denen tausende ihr Leben opferten. In einem bekannten sowjetischen Lied dieser Tage heißt es: „Das soll der Krieg des Volkes, der Sieg der Menschheit sein.“ Wo wurde dieser Anspruch deutlicher eingelöst als bei der Befreiung von Auschwitz? In der Tat war dies ein Sieg der Menschheit. Aber noch nie kam man auf die Idee, Veteraninnen und Veteranen der Roten Armee zur Gedenkveranstaltung in den Bundestag einzuladen. Dass dies ein Grund ist, sich zu schämen, dürfte den Verantwortlichen kaum bewusst sein.

Es fehlte nicht an Worten der Betroffenheit und am beschwörend wiederholten „Nie wieder!“. Wie passt es zu diesen hehren Worten, dass sich die Bundesrepublik einen Inlandsgeheimdienst leistet, der mörderische Nazi-Strukturen mit Aufbauhilfe versorgt? Der NSU beging seine Verbrechen unter den Augen des Staates. Unangemessen ist hier das Gerede von „staatlichem Versagen“, denn niemand pumpt aus Versehen oder Unvermögen Geld in terroristische Gruppen. Skandalös ist in diesem Zusammenhang auch der Angriff auf die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA – einer Organisation, die genau für die Ziele und Werte steht, die an entsprechenden Gedenktagen gefeiert werden.

Hier empfiehlt sich der Blick auf strukturell-historische Ursachen. Es war der Chef des Verfassungsschutzes Schrübbers, der seine Behörde einst mit ehemaligen Angehörigen von SS und Gestapo nachhaltig prägte. Und dies geschah in einem Staat, der es passend fand, einen Hermann Josef Abs mit dem Großen Verdienstkreuz zu dekorieren. Zur Erinnerung: Abs war nicht nur Vorstandsmitglied der tief in Naziverbrechen verstrickten Deutschen Bank, sondern gehörte auch dem Aufsichtsrat der IG-Farben an, die in Auschwitz ein eigenes Lager unterhielt.

Das Wirken solcher „Ehrenmänner“ symbolisiert die tabuisierte Kontinuität des deutschen Strebens nach Weltmacht, heute politisch korrekt umschrieben als „Übernahme internationaler Verantwortung“. Treibende Kraft in der mörderischen Politik sowohl des Kaiserreiches als auch der Nazidiktatur war der niemals verschwundene imperialistische Expansionsdrang des eigenen Großkapitals.

Die herrschende Klasse und ihre politischen Vertreter nutzen heute den Gedenktag der Befreiung von Auschwitz, um sich der Welt als moralisch geläutert zu präsentieren. Wer von den edlen Motiven der Humanität und Toleranz beseelt ist, hat auch das Recht, seine Panzer bis an die russische Grenze rollen zu lassen oder seine Marine vor die chinesische Küste zu schicken. Eine offenkundige Anknüpfung an äußere Formen früherer deutscher Großmachtpolitik wäre hier kontraproduktiv. Aber das Wesen der Sache ändert sich dadurch nicht. Und dies besteht in Reaktion im Inneren und in Kriegsvorbereitung nach außen. Der damalige grüne Außenminister Fischer hatte die Dreistigkeit besessen, den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 mit dem Hinweis auf Auschwitz zu rechtfertigen. Seither müssen die Opfer der Shoa gegen solche und ähnliche entehrende Instrumentalisierungen in Schutz genommen werden. Wer ehrlich für Demokratie und Frieden eintreten möchte, sollte gewarnt sein, in diesem demagogischen Pseudo-Antifaschismus einen vermeintlichen Bündnispartner zu sehen.

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"Gedenken instrumentalisiert", UZ vom 5. Februar 2021



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