Gedanken über Ostdeutschland

Roman Stelzig über „blühende Landschaften“

Wieder hat eine Statistik bewiesen, dass die „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl den Bürgern der DDR versprochen hat, einfach wörtlich zu verstehen sind: Wo Industrien bestanden und den Menschen Arbeit und Perspektiven gaben, holt sich die Natur ihr altes Terrain zurück. Nicht nur Leipzig hat sich zu einer grünen Stadt entwickelt, die mit Parks und Erholungsgebieten Lebensqualität bietet, wenn man die Zeit dazu findet.

Denn gearbeitet wird im Osten 67 Stunden mehr im Jahr als im Westen für durchschnittlich 5 000 Euro weniger Lohn, wie die Partei „Die Linke“ in einer Auswertung der Daten aus statistischen Ämtern von Bund und Ländern ermittelt hat. Berücksichtigt man, dass ohne Angaben der Lebenshaltungskosten noch nichts über die Kaufkraft ausgesagt wurde, lässt sich daraus trotzdem schließen, dass diese Verhältnisse nach wie vor nichts mit einer deutschen Wiedervereinigung zu tun haben.

Klarmachen muss man sich auch, dass der Lohnunterschied auf einem Bruttogehalt von 2 500 Euro beruht. Und daran wird mancher zu Recht zweifeln. Als Verkäufer, Friseur, Pfleger oder Lagerarbeiter 40 Stunden in der Woche im Schichtdienst zu arbeiten und mehr oder weniger als 1 000 Euro im Monat zur Verfügung zu haben, ist oft mehr ostdeutsche Realität. Von Leiharbeit, Befristung und dass betriebliche oder gewerkschaftliche Organisation für die meisten fremd sind, ist dabei noch gar keine Rede.

Lebensqualität definiert sich aber nicht nur durch Löhne und Arbeitszeiten, sondern beruht auch auf Perspektiven auf berufliche Entwicklung, Freizeitgestaltung, kulturelle Angebote, soziale Verankerung und die eigene Identität. Viele Menschen, die nicht in Metropolen wie Leipzig mit einem relativen Aufschwung wohnen, finden das Leben in Kleinstädten nicht attraktiv. Hier mischen sich oft eigene Abstiegsangst und Perspektivlosigkeit mit Armutserscheinungen und einem Gefühl von Überfremdung. Was darin wahrgenommen wird, wirkt zwar meist eingeredet, bringt aber Meinungen hervor, die reaktionären Konzepten Vorschub leisten und sich im Alltag kaum überhören lassen.

Hinzu kommt, dass es hier früher einmal besser war. Das ist schmerzlich, bietet aber einen Vorteil gegenüber dem Westen. Mit der Erinnerung, schon eine andere Welt erlebt zu haben, könnte der Osten die Nase vorn haben – wenn er sich dazu bekennt.

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"Gedanken über Ostdeutschland", UZ vom 31. August 2018



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