Rüdiger Bernhardt: Julius Mosen (1803–1867) Dichter, Dramaturg und Jurist, ein gebürtiger Vogtländer. Muldenhammer: concepcion SEIDEL. Vogtland Verlag 2017, 206 S., 14.95 Euro
Ein neues Buch über Julius Mosen? Aber wer ist das? Viele Menschen kennen seinen berühmten Text „Zu Mantua in Banden/der treue Hofer war“, der heute Hymne von Tirol ist, aber ursprünglich als Gedicht zum Kampf um die Einheit Deutschlands aufrufen wollte. Den Namen des Dichters kennen wenige. Sehnsucht nach der Heimat verbindet sich für zahlreiche Menschen, besonders in Mitteldeutschland, mit dem Gedicht „Wo auf hohen Tannenspitzen,/Die so dunkel und so grün“; nur, wer hat es gedichtet? Auch dieser Mosen. Kurt A. Findeisen bezeichnete ihn 1925 als „ersten tiefen Künder des deutschen Heimwehs“.
Den heldenmütigen Kampf der polnischen Freiheitskämpfer 1830/31 gegen Fremdherrschaft griff Mosen ebenfalls auf und stand an der Seite der Geschlagenen und Flüchtenden, unter anderem in dem oft übersetzten Gedicht „Die letzten Zehn vom vierten Regiment“. Das Gedicht hat hymnischen Charakter und ist noch heute in Polen bekannt. Aber für Mosen war es auch ein Gedicht für eine deutsche Einheit, von der 1830 weit und breit nichts zu sehen war, vielmehr herrschte die Restauration. Wer sich etwas auskennt, dem fällt ein, dass Friedrich Engels den Dichter Julius Mosen neben Ferdinand Freiligrath stellte und ihn aus der Literatur seiner Zeit hervorhob. Viel mehr war nicht bekannt und auch Literaturgeschichten nicht zu finden.
Ein neues Buch über Julius Mosen belegt nun, dass dieser Dichter aus dem Vogtland mehr war als ein Hymnen- und Liederdichter, dass er mit seinen Essays zur Kultur und Literatur anregend wirkte für die Dramatik im 19. Jahrhundert, besonders für die Entwicklung des „sozialen Dramas“. Dabei hat er selbst keine geschrieben, dafür zahlreiche historische Stücke, die heute berechtigt vergessen sind: Mosen, der glaubte, ein Dramatiker zu sein, war es nicht, obwohl er die dramatischen Regeln sehr genau kannte. Aber er war ein herausragender Dramaturg, der seine Denkmethode von Hegel bezogen hatte, dessen glühender Anhänger er wurde, um sich dann mit den Junghegelianern zu verbünden. Seine dialektische Weltsicht bekam einen sozialen Unterbau durch Philosophen wie Voltaire, Rousseau und die Französische Revolution von 1789, entsprechend sah er die Weltgeschichte: „Die Weltgeschichte ist der Prozess der Entwickelung des Menschengeschlechts zum Selbstbewusstsein.“ Er war gegen Gewalt. Aber wenn eine Revolution notwendig sei, müsse sie kommen. Nachdem die „Gesetze der Weltgeschichte“ erkannt seien, müsse der Gedanke zur Tat werden und das historische Drama aktuelle Probleme lösen. Was Mosen dachte und am Hoftheater Oldenburg umzusetzen trachtete, fand seinen Weg über den Dramentheoretiker Hermann Hettner (Das moderne Drama, 1852) zu dem Ahnherrn des europäischen modernen Dramas Henrik Ibsen und schließlich im deutschen Naturalismus. Gerhart Hauptmanns Webern, die einen historischen Stoff von 1844 so aktuell aufbereiteten, dass sie nach ihrem Erscheinen 1892 sofort verboten wurden und ein langer Streit um die Aufführung begann, ist ein bekanntes Stück, dass auf dieser Dramaturgie aufbaute.
Ein weiterer Gewinn des Buches ist, dass es auf einen Kreis kritischer Schriftsteller aufmerksam macht, der sich 1830 in Leipzig um Carl Herloßsohn, Ernst Ortlepp und die Zeitschrift Komet, eine der einflussreichsten Zeitschriften im deutschen Vormärz, zusammenschloss, die Namen haben einen guten Klang auf dem Felde der zeitkritischen Literatur im Vorfeld der Revolution von 1848. Gemeinsam versuchten sie die Zensur zu umgehen und zeitkritisch zu wirken; in der Zeitschrift erschienen Auszüge aus Mosens Novelle Georg Venlot, in denen der Titelheld – ein Alter Ego Mosens – Hegel persönlich begegnet wie auch den Brüdern Grimm, Julius Mosen war auch ein engagierter Märchensammler.
Der 1803 in Marieney im Vogtland geborene Dichter und Dramaturg, der von Beruf Jurist war, wuchs auf dem Dorfe auf, besuchte ab 1817 die Lateinschule in Plauen, studierte anschließend ab 1822 in Jena – 1824 ehrte er Goethes Freund, den Großherzog Karl August, mit einem Huldigungsgedicht zum Universitätsjubiläum und wurde dafür ausgezeichnet. Er kehrte 1828 ins Vogtland zurück zum Erlernen der juristischen Praxis, ging 1830 nach Leipzig, angeregt von der Julirevolution in Frankreich. Von den Jungdeutschen wurde er anerkannt und er bemühte sich als Dramaturg, ihre verbotenen Werke aufzuführen. Der Literaturwissenschaftler Hermann Hettner stellte ihn neben Georg Herwegh als „Dichter der Freiheit“. Diese Entwicklung Mosens, die vom Liberalen bis zum Linkshegelianer führte, wird in dem Buch erstmals in dieser Klarheit beschrieben. Das Buch ist keine Biografie, sondern die Beschreibung einer geistesgeschichtlichen Entwicklung in der bürgerlichen Welt, die von der Geschichtsschreibung schon im 19. Jahrhundert verdrängt wurde. Schon Mosens Sohn Reinhard wählte für die Biografie seines Vaters die Fakten so aus, dass oft vom Romantiker Mosen zu lesen ist. Doch war er gegen nichts kritischer als gegen die Romantik, auch das wird in dem Buch deutlich: Nutzte er als junger Mann romantische poetische Anregungen, so sah der Dramaturg Mosen nur eine in Polemik sich aufreibende Romantik, die sich ganz der Restauration hingegeben hatte. Das, was die Romantik an Bleibendem geschaffen hatte – nicht zuletzt ihre Volkslieder- und Märchensammlungen – schlug Mosen der Volksdichtung zu und beließ der Romantik nur die Kunstmärchen. Er orientierte sich geistig noch an der Aufklärung und war dem kritischen Realismus bereits schon verpflichtet.
Unter bildungsbürgerlichen Standpunkten des ausgehenden 19. Jahrhunderts sah man einen sehr verkürzten Mosen, alles andere wurde verdrängt und verschwand. Es war umso leichter, als Mosen schon kurze Zeit nach dem Beginn seiner Tätigkeit als Dramaturg in Oldenburg schwer erkrankte, was dem Großherzog die Möglichkeit gab, die fortschrittlichen Züge seines Theaters, die Orientierung an den Jungdeutschen und den Junghegelianern, zu tilgen und es ganz bloßer Unterhaltung zu verpflichten.
In Dresden, wo er bis 1843 erfolgreiche und glückliche Jahre erlebte, gehörte er 1835 dem Kreis um Ludwig Tieck an und galt, nach einem zeitgenössischen Bericht, als „der Begabteste unter allen diesen“, parallel dazu entstanden freundschaftliche Beziehungen zu Junghegelianern, zu Arnold Ruge und zu Adolf Stahr, der ihn auch nach Oldenburg vermittelte.
Wichtig für ein heutiges Verständnis von Dichtungen und ästhetischen Ansichten war seine Vorstellung, die Literatur sei der geistige Ort für das Gedächtnis einer Nation. Seine Studien zur Kunst der Malerei eröffnete er mit dem methodischen Grundsatz: „Die Geschichte der Kunst ist zugleich die Geschichte des Seelenlebens der Menschheit in seinen höchsten Ergebnissen.“
Der Autor des Buches, bekannt als Verfasser zahlreicher Biografien und literaturgeschichtlicher Werke, auch als Literaturkritiker in dieser Zeitung, hat sein umfangreiches Wissen eingesetzt, um das vielseitige Bild Julius Mosens wiederherzustellen. Ein Vorwort von Frieder Spitzner, dem Vorsitzenden der Vogtländischen Literaturgesellschaft Julius Mosen e. V., verdeutlicht die Absicht, die Autor, Verlag und Gesellschaft ohne jede Unterstützung der eigentlich dafür verantwortlichen Stellen verfolgten: Es war die „Besorgnis über den Umgang mit wertbeständigem geistig-kulturellen Erbe“.