Die kolumbianische Linke wartete zweihundert Jahre auf einen Wahlsieg

Geburtstag für Kolumbien?

Am 19. Juni wäre der langjährige Chefredakteur der kolumbianischen KP-Zeitung VOZ, Carlos Lozano, 74 Jahre alt geworden. Wie kaum ein zweiter hat er sich Zeit seines Lebens für eine friedliche Lösung des kolumbianischen Konflikts eingesetzt und dabei nie die Perspektive einer linken Regierung aus den Augen verloren. Die Losung der Kolumbianischen KP war entsprechend immer die nach einem „Frieden mit gesellschaftlicher Gerechtigkeit“.

Ob der erste Sieg eines linken Kandidaten seit der Republikgründung 1821 eine Art Geburtstag für Kolumbien sein kann? Am 19. Juni hat nach gut 40 Prozent im ersten Wahlgang der Kandidat des Linksbündnisses „Pacto Histórico“, Gustavo Petro, die 50 Prozent knapp überspringen können. Sein Gegner in der Stichwahl, Rodolfo Hernández, erreichte etwa 47 Prozent; er gratulierte Petro bald nach Bekanntgabe des Ergebnisses. Damit wachsen die Hoffnungen auf eine Anerkennung des Ergebnisses durch die maßgeblichen Kreise im Bürgerkriegsland; allerdings gehört Hernández nicht der Clique des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe an, die das Land mit eiserner Faust drangsaliert. Sicher ist eine friedliche Abgabe der politischen Macht insofern keineswegs.

Eineinhalb Wochen vor der Stichwahl gab es einen für Kolumbien nicht ungewöhnlichen, in seiner Tragweite dennoch bemerkenswerten Vorgang: Die Zeitschrift „Semana“ veröffentlichte Dutzende Stunden Video-Mitschnitte von internen Debatten der Petro-Partei „Colombia Humana“. Damit wollte man angebliche Übergriffe der Linken in der Wahlkampagne offenlegen. Offenbar wurde aber eher ein kolumbianisches Watergate: Nämlich, dass Regierung und Geheimdienst Gespräche zur Wahlkampftaktik des politischen Gegners mitgeschnitten haben. Das diente nicht allein einer Diffamierung kurz vor der Stichwahl, sondern in erster Linie der Verbesserung der eigenen Chancen.

Kolumbien, angeblich die älteste und stabilste Demokratie Lateinamerikas, sah vom 19. Jahrhundert an Jahrzehnte eines Zweiparteiensystems von Liberalen und Konservativen, bevor 1948 ein linker Wahlsieg durch Tötung des Kandidaten verhindert wurde und der Krieg der Herrschenden gegen die Bauern begann. Angesichts von tausenden von Massakern mit zehntausenden Morden durch Militär und Paramilitärs – sowie von allein in der Uribe-Zeit um die zehntausend extralegalen Hinrichtungen Unbeteiligter, die das Militär als getötete Guerilleros ausgab – von „Demokratie“ zu sprechen, ist geradezu menschenverachtend. Trotz diverser Friedensschlüsse – der letzte 2016 mit der kommunistisch orientierten FARC, der kaum eine der vertraglich garantierten Gegenleistungen des Staats folgte – ging der Krieg immer weiter. Verändert hat sich nach dem Rückzug der FARC nur, dass in vielen Gegenden für die Landbevölkerung kein militärischer Schutz mehr vorhanden ist. Die Morde an Menschen, die sich für gewerkschaftliche, soziale oder Frauenrechte einsetzen, gingen auch deshalb ungehemmt weiter.

Mit diesem Wahlergebnis sind manche Bedingungen formal besser geworden, aber fraglich ist, ob der knappe Sieg von Petro die Verhältnisse grundsätzlich, nur oberflächlich oder überhaupt verändern kann. Die Kurzlebigkeit der Linksregierungen in lateinamerikanischen Nachbarländern zeigt, dass nachhaltige Strukturänderungen in vier Jahren nicht zu erreichen sind. Selbst wenn die Militärkommandos einen Wechsel mitmachen (was angesichts ihrer Verstrickung in Drogenhandel, Paramilitarismus, viele Massaker und daher möglicherweise folgender juristischer Aufarbeitung nicht zu erwarten ist): Unternehmerschaft, Drogenmilieu sowie weite Teile von Medien und Kirche sind fest in rechter Hand.

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"Geburtstag für Kolumbien?", UZ vom 24. Juni 2022



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