„Auserwählt und ausgegrenzt“ – leider nicht nur „tütendoof“

Gebührenfinanzierte Kriegsdemagogie

Von Klaus Wagener

Es gibt Filme, die sind so gruselig, dass man am liebsten kein Wort über sie verlieren möchte. Mit der Bemerkung, „So tütendoof wie sein Gegenstand“, wird der Journalist Friedrich Küppersbusch zitiert. Nun aber, vielleicht auch durch das geschickte Spiel über die Verbots-Bande, ist die „Dokumentation“ im Auftrag des WDR „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf die Juden in Europa“ zum Medienereignis geworden. Wie häufig in solchen Fällen, betätigte sich die Bild-Zeitung als investigative Vorkämpferin, die natürlich den so schändlich zensierten Streifen dem auf diese Weise interessierten Publikum präsentieren konnte. Dass der WDR und Arte Filme, an denen sie die Rechte halten, nun zeigen, oder es eben auch lassen können, hat nun nicht gleich etwas mit Zensur zu tun. „Die ARD hat den gesetzlichen Auftrag, mit ihren Programmen der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen“ (ARD). Manipulation und Propaganda gehören eigentlich nicht dazu. Aber so, als „verbotener Film“ aufgehypet, erreichte der Streifen bei der Erstausstrahlung immerhin 1,19 Mio. Zuschauer. Es sei „die mit Abstand beste und klügste und historisch tiefste, zugleich leider hochaktuelle und wahre Doku zu diesem Thema“, verkündete Ex-Bundeswehrhistoriker Michel Wolffsohn. Und natürlich schlug der Götz Aly in die gleiche Kerbe: „Beachtliche und außerordentlich facettenreiche journalistische Leistung.“

Kein Entrinnen

Wem nun noch nicht klar war, was da in den folgenden 90 Minuten kommen würde, dem macht es der Film von Joachim Schroeder und Sophie Hafner schon in der Eingangssequenz klar. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bei einer Rede vor dem EU-Parlament. Abbas verbreite „eine der Ritualmordlegenden, die seit dem Mittelalter in Europa kursieren, um Juden zu vertreiben und zu ermorden“, und er zitiere „bekannte Menschen“. Dabei im Bild: „Stürmer“-Herausgeber Julius Streicher. Die bekannte „antideutsche“ Assoziationskette, Israelkritik – Antizionismus – Antisemitismus – NS-Ideologie – Holocaust ist sofort parat. Nun ist Joachim Schroeder kein Unbekannter. Immerhin zeichnet er als Regisseur für „Entweder Broder – Die Deutschland-Safari“, mit dem unsäglichen Henryk M. Broder verantwortlich. Es verwundert schon, dass die WDR- und Arte-Verantwortlichen nicht geahnt haben wollen, was am Ende herauskommt, wenn man einem Regisseur wie Schroeder einen solchen Auftrag erteilt.

Im Weiteren macht die Linguistik-Professorin Monika Schwarz-Friesel denn auch klar, dass es vor dem Antisemitismusverdikt kaum ein Entrinnen gibt. Zum Antisemitismus gehöre eine große „Besessenheit“. Und weil die „Besessenen“ von ihren Obsessionen nicht lassen könnten, wichen sie aus auf „indirekte Sprechakte“, sie sagten nicht „Juden beherrschen den Finanzmarkt“, sie sagten „Rothschild, Goldman Sachs“. Sie sagten nicht das „internationale Finanzjudentum“, sondern das „internationale Finanztum“. Sie sagten nicht „die Juden“, sie sagten „jene einflussreichen Kreise“, „Banker von der Ostküste“, „Zionisten“, „die Israel-Lobby“ usw. Der vom Antisemitismus „Besessene“ denkt also in seinen „Sprechakten“ seinen Antisemitismus immer mit – ganz gleich was er tatsächlich sagt. Und damit ist er – ganz gleich was er sagt – eben Antisemit. So geht Wissenschaft.

Frau Professorin deutet aber auch an, wen sie, und mit ihr die Filmemacher, bei ihren „Besessenen“ so denkt: Kritiker des entgrenzten Finanzkapitalismus, Globalisierungskritiker, Kritiker des zionistischen Expansionismus, also ein im weitesten Sinne eher linkes Milieu. Und es sind vor allem jene, die von Anfang an unter Einsatz ihres Lebens gegen Militarismus und Faschismus kämpften und die als erste in den Konzentrationslagern und auf dem Schafott landeten. Die Sozialisten und Kommunisten. Ihre Frontstellung auch zum zionistischen Rassismus, zum Landraub und Expansionismus sei ein Psychodefekt, wie uns ein Stephan Grigat nahebringt, der seine Ursache in einer tiefen Kränkung habe, die dadurch entstanden sei, dass das Proletariat die revolutionären Hoffnungen nicht erfüllt und sich stattdessen zu großen Teilen in das Vernichtungsprogramm des Nationalsozialismus integriert habe. Darum ist der gekränkte Kommunist eben auch ein verkappter Antisemit geworden.

Dass rechte und rechtspopulistische Gruppierungen in den letzten Jahren genuin linke Themen in demagogischer Absicht ebenso adressieren, wiederholt in der Tat eine Erscheinung aus den 1920/30er Jahren, es wird aber im Film weder thematisiert noch untersucht und ändert nichts an der generellen Stoßrichtung gegen links. Die rechte Demagogie bietet aber unter dem Stichwort „Querfront“ zusätzliche Munition zu Delegitimierung linken Protestes.

Natürlich ist es ein Leichtes, zu einem beliebigen Thema Interviewpartner zu finden, welche die gewünschten Urteile oder Vorurteile bestätigen. Die Mainstream-Medien verfolgen dieses Konzept mit einer gewissen Beharrlichkeit. Die neoliberalen Formierungsforderungen werden regelmäßig durch „Stimmen aus dem Volk“ entweder positiv vorgetragen, oder ihre Ablehnung wird negativ delegitimiert. Es soll der Eindruck der gesellschaftlichen Legitimierung und Berechtigung ja einer breit verankerten Forderung entstehen.

Rassismus der Besserverdienenden

Auch wenn die Realität eine völlig andere ist. So auch hier. Die „Besessenen“ erscheinen als naiv (religiös motivierte IsraelkritikerInnen), fanatisch-hasserfüllt (Rapper, Musiker und Free-Palestine-Aktivisten), dumpf-deutschtümelnd-aggressiv (AfD, Pegida-Demonstranten) oder korrupt (UNRWA-Behörde in Gaza). Besonnen, reflektiert, deeskalierend erscheinen natürlich die prozionistischen Kronzeugen. Dass der Ex-Haganah-, Ex-Palmach- und Ex-Mossad-Kommandeur Rafael Eitan, als quasi „sachverständiger“ Kronzeuge, die große Vertreibung von 800 000 Palästinenser 1948 (Al Nakba) unwidersprochen als mehr oder weniger unblutigen, freiwilligen Umzug darstellen kann, ist nur eines der zahlreichen skurrilen Details.

Typischerweise verharrt auch diese „Dokumentation“ in der individuellen political correctness, der persönlichen Einstellung, einzelnen unterstellten oder tatsächlich geäußerten rassistischen, fremden- oder ausländerfeindlichen Aussagen oder Einstellungen. Und tatsächlich ist der Anteil der „besserverdienenden“ Bevölkerung, der für solche Thesen anfällig ist, erheblich, wie die Umsatz- und Medienerfolge des SPD-Mannes Thilo Sarrazin beweisen. Auch das Aufklärungsorgan Bild-Zeitung hat sich um die Popularisierung von Sarrazins Rassismus kräftig bemüht. Diese Saat ist, wie die AfD beweist, auf fruchtbaren Boden gefallen. In der Perspektivlosigkeit der Krise und der eisernen Durchhaltepolitik der vier neoliberalen Kartellparteien greifen viele auch nach braunen Strohhalmen. Sarrazins Rassismus, er ist nur einer von vielen in Europa, ist den Filmemachern allerdings keine Sekunde wert. Es geht hier ja schließlich gegen die Muslime.

Nicht aus jedem rassistischen Vorurteil wird ein Kriegs- und/oder Vernichtungsprogramm. Das gilt auch für den Zionismus. Um gesellschaftliche Relevanz zu erreichen, ist die Verbindung mit ökonomischer und militärischer Macht, ist ein entsprechend mächtiges Interesse notwendig. Der Kapitalismus war mit einem universalen Emanzipationsanspruch, der Verkündung der Menschenrechte, in die Welt getreten. Aber einhundert Jahre nach der Großen Revolution der Franzosen hatten sich aus der Konkurrenz der vielen Kleinen die mächtigen Kartelle der wenigen Monopole entwickelt. Ihr Kampf um die Weltmärkte, um die Weltmacht, die Eroberung der Kolonien und die Unterdrückung der Völker erforderten neue Legitimitätsideologien. Statt der universalen Menschenrechte propagierten die Herrschaftsmedien nun die Überlegenheit der weißen Rasse. Ihre göttliche Bestimmung zur Zivilisierung des Globus. Ein Pseudo-Biologismus lieferte die „wissenschaftlichen“ Argumente. Mit der Entwicklung des Imperialismus lief notwendig auch der Rassismus, ob biologisch, ethnisch, national, kulturell oder religiös, zu großer Form auf, bis er dann im Faschismus zu seiner bislang aggressivsten und menschenverachtendsten Form gefunden hatte. Hier ging es um die Vernichtung der Menschen, die – „Wer Jude ist, bestimme ich!“ (Göring) – biologisch-rassistisch als „Juden“ definiert wurden, aber auch um 30 Millionen „Slawen“ und anderer „Untermenschen“. Dass diese biologisch-rassistische Zuschreibung, zwar mit gewendetem Vorzeichen, gerade auch im staatlich verordneten Anti-Antisemitismus wie im „antideutschen“ Scheinrevoluzzertum unbekümmert weiterverwendet wird, ist mehr als ein Symptom.

Indem der Imperialismus seine Große Alternative sowohl real als auch als Denkmöglichkeit zerstörte, warf er den Kampf um Veränderung, gegen den globalen imperialen Herrschaftsanspruch, in weiten Teilen auf vormoderne Formen und Ideologien zurück. Die „Zerstörung der Vernunft“ hatte ihren „vorläufigen Endsieg“ errungen. Sowohl in seinem waffenstarrenden Überlegenheitsanspruch als „westliche Wertegemeinschaft“, als auch im nach Kräften geförderten, religiösen Fundamentalismus seiner Unterworfenen und Vasallen, schuf sich der Imperialismus im „Kampf der Kulturen“ eine Welt nach seinem Bilde.

Imperialistische Herrschaftsideologie heute beleuchtet vor allem die kulturelle und ideologische Minderwertigkeit der Rebellierenden. Die brutale Wirklichkeit des von George W. Bush ausgerufenen – ewigen – Global War on Terror (GWOT), ein Krieg um die weltweit wichtigsten Ressourcen und Verkehrswege, um geostrategische Raumbeherrschung, zu dem Israels zionistische Führung einen nicht unmaßgeblichen Beitrag leistet, soll als notwendiger Kampf der freien, liberalen Welt, gegen die „Mächte der Finsternis“, gegen „das Böse“, gegen religiösen Fanatismus und Rassismus erscheinen. Die plutokratische „westliche Wertegemeinschaft“ verantwortlich für zig-Millionen Kriegs- und Hungertote, für das Elend von Milliarden, für den drohenden Klimagau ebenso wie für globale Totalüberwachung und die Verblödung im massenmedialen „Tittytainment“, zeigt mit dem Finger auf die angebliche Dumpfbackigkeit ihrer niedergestreckten Underdogs.

Legitimierung des „Kriegs gegen den Terror“

Der staatlich verordnete Anti-Antisemitismus, in den „Antideutschen“ zu seiner militant-dreistesten Form gekommen, versucht mit beispiellosem Zynismus, der nur in der rosa-olivgrünen „Rampe von Srebrenica“ seine Entsprechung findet, die Verbrechen des deutschen Faschismus für Krieg und Unterdrückung zu instrumentalisieren. Es geht dabei nicht nur um Legitimation für das zionistische Eretz-Israel-Projekt, sondern um die Legitimation des imperialistischen Krieges, um die Delegitimierung des antiimperialistischen Kampfes ganz generell. Der Zionismus hat in „Eretz Israel“ seit Theodor Herzl‘s Zeiten den „Vorposten“ des geostrategischen Projekts des europäischen und, nach den 1960ern, des US-amerikanischen Imperialismus gesehen und inkorporierte damit zwangsläufig ebenso rassistische Ideologeme wie militärische Aggressivität. Was in Gaza und der Westbank passiert, steht beispielhaft auch für die „westliche Wertegemeinschaft“ und die künftige „Verantwortung Deutschlands“. Diesen brutalen Rassismus mit Anti-Antisemitismus plausibel machen zu wollen, ist der Film von Schroeder/Hafner vielleicht tatsächlich der „mit Abstand beste und klügste und historisch tiefste“ Streifen. Eine „beachtliche Leistung“ ist er in jedem Fall. Ebenso wie Rudolf Scharpings „Hufeisenplan“ oder Peter Strucks „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“.

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"Gebührenfinanzierte Kriegsdemagogie", UZ vom 30. Juni 2017



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