Riad: US-Wirtschaftskrieg kein Konzept mit Zukunft

G20, Corona und die Kontinentaldrift

Auf dem Höhepunkt der letzten großen Krise 2008/2009 mobilisierten die westlichen Führungen eine deutlich größere Gruppe von Staatsführern als den üblichen exklusiven Kreis der sich als die eigentlichen Herren der Welt verstehenden G7. Die Angst vor einem Rückfall in den Protektionismus und Merkantilismus führte zu der Einladung auch allenfalls regional bedeutender Regierungschefs an den Tisch der Weltmächte. In drei Jahren trafen sich die G20 fünf Mal zum Krisengipfel.

Nun, in der Corona-Doppelkrise, fand das G20-Treffen in Riad statt. Pandemie-bedingt als Videokonferenz. Seit 2008 hat sich die Situation fundamental geändert. Die Krise ist mit großer Wucht wieder zurück. Durch die Überlagerung mit dem Pandemieausbruch hat sie sich zur schlimmsten Krise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren entwickelt. Die Wirtschaft ist in vielen Staaten durch die Lockdowns in manchen Sektoren buchstäblich zum Stillstand gekommen. Aber anders als 2007 ff. ist heute der Protektionismus längst Wirklichkeit geworden. Und er wird durch die „Mutterländer des Freihandels“, das US-Imperium und die Staaten des Westens, vorangetrieben. Das US-Imperium überzieht China, Iran und Russland, aber auch viele andere Staaten wie Venezuela, Kuba, Jemen, Belarus, Irak, Nicaragua mit einem massivem Wirtschafts-, Technologie- und Sanktionskrieg und mit Investitionsbarrieren. Die Sanktionsliste des US-Finanzministeriums beispielsweise enthält 35 Einträge. Aber auch Europa beteiligt sich an dieser Sanktions- und Protektionismusoffensive. Vor allem gegen den neuen alten Feind Russland.

In dieser globalen Krise – von den großen Ökonomien wird nur China in diesem Jahr Wachstumszahlen schreiben können – sind vor allem China und Russland zu Vorkämpfern eines UN-Charta-basierten Multilateralismus, einer internationalen ökonomischen und politischen Kooperation, eines offenen und freien Handels- und Entwicklungsprogramms sowie einer entschlossenen gemeinsamen Virusbekämpfung geworden. Das am 15. November 2020 unterzeichnete weitreichende asiatisch-pazifische Freihandelsabkommen RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) hat einen deutlichen Hinweis auf eine anders geartete, nicht-imperialistische Perspektive erbracht. China ist Teil dieses Handelsabkommens, welches 15 Staaten, darunter die regionalen „Power-Häuser“ Japan, Südkorea und eben China, die ASEAN-Staaten, aber auch Australien und Neuseeland umfasst. Die USA hatte diesen Zusammenschluss außerhalb ihres unmittelbaren Einflussbereiches, der 2,2 Milliarden Menschen und 30 Prozent des globalen BIP repräsentiert, nicht verhindern können. Die wirtschaftliche Dynamik dieser Staaten wird den RCEP-Raum in wenigen Jahren zum ökonomisch größten und bedeutendsten der Welt machen. Eine Dynamik, die sich durch die Belt-and-Road-Initiative mit dem eurasischen Raum und Afrika verbindet.

Nur wenige Tage vor dem G20-Treffen hatte das 12. Treffen der BRICS-Staaten ebenfalls als Videokonferenz stattgefunden. Der BRICS-Verbund war von vielen westlichen Kommentatoren wegen der Spannungen mit den nationalistischen und rechtspopulistischen Führern Jair Bolsonaro und Narendra Modi längst tot geschrieben worden. Es zeigt sich aber, dass die geduldige Diplomatie Moskaus und Pekings trotz erheblicher politischer und diplomatischer Differenzen, wie beim 11. Treffen in Brasilien, und sogar militärischer Konflikte, wie im Himalaja, zu für alle Seiten erfolgreichen Ergebnissen führen kann. Die ökonomische Attraktivität Chinas, der politische Einfluss Russlands und die finanziellen Möglichkeiten der BRICS-New Development Bank verhelfen den BRICS zu beeindruckenden ökonomischen Erfolgen und einem weiterhin dauerhaften globalen „Fußabdruck“.

Regionale internationale Zusammenschlüsse außerhalb des Kommandobereichs des US-Imperiums wie ASEAN, RCEP oder auch BRICS verweisen auf den geschrumpften Einfluss Washingtons, des Westens ganz allgemein. Der von Donald Trump, aber auch von Joseph Biden erhobene Führungsanspruch des US-Imperiums erweist sich in der Krise immer stärker als eine repressive, ökonomisch wie auch militärisch destruktive Haltung. Der „Make America Great Again“-Präsident demonstrierte seine Ablehnung des Multilateralismus durch demonstratives Golfspiel während der G20-Sitzung. Ein Auslaufmodell. Der G20-Gipfel hat keine konkreten Beschlüsse gefasst. Aber die tektonischen Verschiebungen sind auch so spürbar.

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"G20, Corona und die Kontinentaldrift", UZ vom 27. November 2020



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