Kapital und Kabinett privatisieren Risiken und Krisengewinne – Da hilft nur Widerstand!

Fürchtet euch nicht

In diesen Tagen erreichen die Zahlen von Corona-Neuinfektionen in Deutschland neue Höchstwerte. Deutschland befinde sich in einer „sehr ernsten Phase der Corona-Pandemie“, so Kanzlerin Merkel in einer Botschaft an die Bundesbürger. Die Ausbreitung des Coronavirus sei noch schneller als zu Beginn vor mehr als einem halben Jahr. Es reiche nicht mehr aus, Abstand zu halten und Maske zu tragen. „Wir müssen jetzt noch weiter gehen. Die Wissenschaft sagt uns klar: Die Ausbreitung des Virus hängt direkt an der Zahl der Kontakte, der Begegnungen, die jeder von uns hat.“ Gesundheitsminister Spahn assistiert: „Es geht um die größten Freiheitseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik, es geht um Zumutungen für den Einzelnen und für die Gesellschaft.“

Doch mit der Umsetzung des Appells lassen die Kanzlerin und ihr Assistent die Bürger allein. Nicht allein hingegen sind die Menschen, die sich morgens auf dem Weg zur Arbeit oder in die Schule in überfüllte Busse quetschen. Auch die Pflegerinnen, die ohne Arbeitskleidung die Bewohner der Seniorenheime betreuen, können keinen Abstand halten. Ebenso wenig die Schülerinnen und Schüler, die sich schon mal Winterjacken für den Unterricht bei offenem Fenster kaufen können.

Gemäß der kapitalistischen Profitlogik darf Corona-Schutz möglich nichts kosten, jedenfalls nichts, was die Gewinne der Konzerne schmälern könnte. Das Kapital verschweigt die immensen Gewinne in vielen Branchen und nutzt hingegen die Verunsicherung der Menschen, um sie auf Verzicht einzustimmen. Aktuell erklärte der Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger vor dem Hintergrund der Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie, es gebe für die knapp vier Millionen Beschäftigten nichts zu verteilen, momentan stehe alles im Minus. Lohnerhöhungen seien weder dieses noch kommendes Jahr realistisch. Alle müssten einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten, auch die Beschäftigten. Die von der IG Metall vorgeschlagene Vier-Tage-Woche selbst nur mit einem „gewissen“ Lohnausgleich sei unbezahlbar. Vor einem Jahr klang der Metallboss noch moderat: „Ich will Tarifverträge, die Beschäftigte und Unternehmen gerne anwenden.“

Dieser Richtungswechsel ist keiner. Denn entgegen der Beschwörung der „Sozialpartnerschaft“ hat es diese nie gegeben, wenn man das Verhältnis eines Tigers zu einer Ziege nicht als ein partnerschaftliches bezeichnen möchte.

Verzicht verlangen auch die Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst. Zuerst hatten sie darauf gesetzt, dass die Gewerkschaften corona-bedingt nicht kampfbereit seien und eine von ver.di vorgeschlagene Verschiebung der Tarifrunde abgelehnt. Dann legten die Arbeitgeber erst gar kein Angebot vor, und nun will uns der Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber (VKA), Ulrich Mädge, weismachen, dass das Angebot seine „Kompromissbereitschaft deutlich signalisiert“. Ein Prozent Lohnerhöhung pro Jahr ist jedoch eher eine Provokation als ein ernstzunehmendes Angebot. Den einst als systemrelevant gefeierten Busfahrerinnen und Busfahrern im öffentlichen Nahverkehr wird selbst ein solches vorenthalten.

Die arbeitenden Menschen im Land haben ihren Beitrag geleistet, um mit und in der Krise zu leben. Sie waren weitestgehend auf sich allein gestellt, in Zeiten geschlossener Kitas und Schulen ihre Kinder zu betreuen. Sie haben, wo möglich, die Produktion aufrecht erhalten und trotz berechtigter Angst vor dem Virus alles getan, um die gesamte Daseinsvorsorge aufrecht zu erhalten. Das war häufig verbunden mit Einkommensverlusten beispielsweise durch Kurzarbeit. Für viele haben sich die Zukunftssorgen verstärkt, die angekündigten Entlassungswellen geben dazu reichlichen Anlass.

Die arbeitenden Menschen brauchen heute keine Appelle. Sie brauchen starke Gewerkschaften, die mit ihnen um jeden Arbeitsplatz kämpfen und auch um die Anerkennung der Arbeit. Denn der Druck auf die Kolleginnen und Kollegen durch die Bosse wächst: Unsolidarisch sei es zu Corona-Zeiten, auf die eigenen Bedürfnisse zu pochen, und dann auch noch die leeren Kassen von Konzernen und Kommunen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Ohne die Beschäftigten läuft nichts. Nicht die Monopolkonzerne und ihre Eigner sind systemrelevant, sondern die Menschen, die den Laden am Laufen halten. Unsolidarisch ist es, sie alleine kämpfen zu lassen. Die arbeitenden Menschen in Ost und West brauchen dauerhaft mehr Geld, mehr Freizeit und mehr Unterstützung in den laufenden Kämpfen.

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"Fürchtet euch nicht", UZ vom 23. Oktober 2020



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