Sevim Dagdelen auf dem UZ-Pressefest in Berlin

Für Heizung, Brot und Frieden

Neben den zahlreichen kulturellen Veranstaltungen war das 21. UZ-Pressefest, das am 27./28. August in Berlin stattfand, auch ein wichtiger Treffpunkt zum Austausch über Strategien im Kampf gegen den deutschen Imperialismus. Aus Anlass des Weltfriedenstags dokumentieren wir die Reden von Sevim Dagdelen, Abgeordnete der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, sowie von Patrik Köbele, Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei. (jW)

Im Vorfeld des UZ-Pressefestes wurde ich von einem Spiegel-Journalisten gefragt, ob ich mich »rechtfertigen« wolle, dass ich zu dieser »umstrittenen Veranstaltung« hier gehe. Es gibt nichts zu rechtfertigen. Ich bin gern gekommen, und ich danke, dass ihr so zahlreich erschienen seid.

Wer sich Diskussionen im Vorfeld des UZ-Pressefestes vor Augen führt, wird sich unwillkürlich an Thomas Manns berühmtes Diktum gegen den Antikommunismus erinnern. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs bekannte Thomas Mann, er könne nicht umhin, »in dem Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Wort Kommunismus, diesem Schrecken, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, etwas Abergläubisches und Kindisches zu sehen, die Grundtorheit unserer Epoche«.

Die Grundtorheit der Epoche von Thomas Mann ist leider auch die Grundtorheit unserer Epoche. Warum hat es diese Grundtorheit auch in unsere Epoche geschafft? In letzter Instanz, weil sie nichts als das Kettenhemd der kapitalistischen Ausbeutung ist. Der Panzer, mit dem die immer ungerechteren Eigentumsverhältnisse auch nur vor der leisesten Kritik und vor dem kleinsten Protest geschützt werden sollen.

Für mich war hier immer wichtig dagegenzuhalten. Deshalb bin ich auch stolz, dass ich eingeladen worden bin, hier auf der Hauptbühne zu sprechen. Ich bin gerne gekommen.

Wir leben aber nicht nur in Zeiten des Antikommunismus. Wer sich umhört und umschaut, muss erkennen, wir leben bereits auch hier in Deutschland in den Zeiten des Krieges. Kein Tag vergeht, an dem nicht die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen an die Ukraine von einer ganz großen Koalition aus Union, SPD, FDP und Grünen gefordert wird. Dabei ist klar, dass von diesen Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet nur die Aktionäre der Rüstungsschmieden profitieren, während die Menschen in der Ukraine auf der Strecke bleiben. Es ist fatal, dass die Außenministerin Annalena Baerbock einem Siegfrieden das Wort redet. Nicht Diplomatie, sondern ein militärischer Sieg gegen Russland soll jetzt das Ziel sein. Erst gestern (26. August, jW) wieder hat sie das bekräftigt. Es sind immer mehr Waffen, und es wird brandgefährlich: Hier wird eine Ausweitung des Krieges zu einem dritten Weltkrieg mit Atomwaffen in Europa riskiert.

Und deshalb müssen wir ganz klar sein, liebe Freundinnen und Freunde: Wir lehnen diesen Krieg ab. Wir wollen, dass dieser Krieg beendet wird. Wir wollen aufhören mit dem Mästen deutscher Waffenschmieden. Und wer uns weismachen will, dass man mit immer mehr Waffen einen Krieg beendet, der meint wahrscheinlich auch, dass man mit Benzin ein Feuer löschen kann! Das ist doch absurd.

Und dann höre und lese ich, wie sie geifern: Wer keine Waffen liefern will, sei ein »Putin-Freund«. Oder »Putins Sprechpuppen«, wie es Stefan Reinecke von der Taz geschrieben hat über Sahra Wagenknecht, Klaus Ernst und mich, weil wir gegen Waffenlieferungen sind, gegen die verheerenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die ja auch die große Mehrheit der Bevölkerung hier schlimm treffen. Und nicht zuletzt, weil wir für einen sofortigen Waffenstillstand sind und uns für eine diplomatische Lösung aussprechen.

Warum tun sie das denn? Das ist die Logik des deutschen Militarismus. Wer nicht in den Krieg gegen den äußeren Feind ziehen will, der wird zum inneren Feind erklärt. Reinecke und seinesgleichen laufen – wie einst Diederich Heßling der Kutsche des Kaisers in Heinrich Manns »Untertan« – der grünen Außenministerin Baerbock mit Hurrarufen hinterher, die das Kriegsziel, »Russland zu ruinieren«, ausgegeben hat.

Wir aber stehen gegen diesen Militarismus und lassen uns nicht mundtot machen von Schreiberlingen, die am Ende nichts anderes sind als die Sprechpuppen des US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden.

Und es geht um noch mehr: Der Schriftsteller Jack London hat es vor über 100 Jahren auf den Punkt gebracht. Sozialismus bezeichnete er als »die Politik und die Frohbotschaft des einfachen Mannes im Kampf gegen die Erhabenen, die ihre Erhabenheit dadurch gezeigt haben, dass sie allen Reichtum der Welt zusammengerafft haben«.

Und diese falsche Erhabenheit wird eben von Leuten geschützt, die kein Problem damit haben, dass »Pressefreiheit die Freiheit von zweihundert reichen Leuten ist, ihre Meinung zu verbreiten«, wie es Paul Sethe, der Gründungsherausgeber der FAZ, 1965 so treffend formulierte.

Wir erleben die gleiche Vorgehensweise im Hinblick auf die sozialen Proteste. Hier will man uns jetzt weismachen, dass wir bei den Demonstrationen einen Gesinnungstest machen sollten, weil, wenn da ein einziger käme, der nicht links ist, die ganze Demonstration nicht stattfinden soll.

Mit dieser Lampenputzermentalität hätte es in Deutschland wahrscheinlich nicht eine einzige progressive Demonstration, nicht einen einzigen sozialen Protest gegeben. Mit dieser Mentalität treibt man der AfD die Hasen regelrecht in die Küche, die müssen ja nur einen schicken – und schon haben sie die Sache vereinnahmt. Es ärgert mich wirklich, und es zeigt, wie tief die Krise der Linken in Deutschland ist, dass darüber ernsthaft diskutiert wird.

Ich plädiere dafür, von hier aus ein Zeichen zu setzen: Wir brauchen gemeinsame Demonstrationen gegen Hungern, gegen Frieren und gegen die Wirtschaftssanktionen, die das Leben des Großteils der Menschen hier zu ruinieren drohen.

Lassen wir uns nicht kirre machen von denen, die versuchen, uns in die rechte Ecke zu schieben, die uns vorschreiben wollen, an welchem Wochentag ihnen unser Protest denn genehm ist. Denn in Wahrheit wollen sie doch Ruhe an sieben Tagen in der Woche. Aber wir müssen sagen: Schluss mit der Friedhofsruhe in diesem Land.

Die Gasumlage von Robert Habeck und Olaf Scholz ist nichts anderes als eine Kriegsanleihe. So wie 1914 die Kriegskredite, so muss man auch die Gasumlage verstehen. Diese Gasumlage muss weg. Das sollte der Minimalkonsens sein, um auf die Straße zu gehen mit vielen Tausenden Menschen in diesem Herbst.

Wir sagen nein zu denen, die bis zum letzten Ukrainer Krieg führen und keinen Verhandlungsfrieden wollen!

Wir sagen nein zu denen, die sagen, wir sollen Waschlappen kaufen und frieren und hungern, wenn wir die Preise nicht mehr zahlen können, während sich die eigenen Oligarchen am Krieg bereichern. Damit muss Schluss sein, liebe Freundinnen und Freunde!

In diesem Sinne: Sprecht mit euren Freunden, mit euren Familien, mit den Nachbarn. Ich treffe viele Menschen, die bereit sind, dafür auf die Straße zu gehen, dass sie im Winter nicht frieren. Das muss Grund genug sein für uns, mit diesen Menschen zu demonstrieren. Lasst uns auf die Straße gehen für Heizung, Brot und Frieden!

Quelle: junge Welt vom 1. September 2022

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