Der Berliner CSD am Samstag fordert, die § 175-Opfer zu rehabilitieren

Für Gleichstellung auf die Straße

Von Markus Bernhardt

Die Kampagnenseite der BISS:

www.offene-rechnung.org

Mehrere Zehntausend Menschen werden am kommenden Sonnabend zum Christopher Street Day (CSD) in Berlin erwartet. Unter dem Motto „Danke für nix!“ rufen verschiedene schwul-lesbische Organisationen zu Protesten für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen auf.

Die CSD-Demonstrationen, die in allen größeren bundesdeutschen Städten stattfinden, sind in diesem Jahr deutlich politischer geprägt als in den Vorjahren. Die Berliner Organisatoren positionieren sich gegen rechte Gewalt und Hetze, warnen vor weiteren Erfolgen der rechtspopulistischen AfD und fordern Solidarität mit schwulen und lesbischen Flüchtlingen.

Einen politischen Schwerpunkt bildet außerdem die Forderung nach Rehabilitierung der nach § 175 verfolgten schwulen Männer. Vor wenigen Wochen hatte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) angekündigt, endlich einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung von Männern vorlegen zu wollen, die aufgrund ihrer Homosexualität auf Grundlage des Strafrechtsparagraphen 175 verurteilt worden sind. Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren e. V. (BISS) hatte daraufhin die Kampagne „Offene Rechnung: § 175 StGB“ ins Leben gerufen. Gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) fordert die BISS darin die Aufhebung der Urteile, die Rehabilitierung und Entschädigung der noch lebenden Opfer und eine kollektive Entschädigungszahlung, die der Aufarbeitung des Unrechts und Maßnahmen für Respekt und Akzeptanz dienen soll.

Zuvor hatte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) in einem Rechtsgutachten, das vom Staatsrechtler Prof. Dr. Martin Burgi von der Ludwig-Maximilians-Universität München im Auftrag der ADS erstellt worden war, festgestellt, dass die Aufhebung der gegen schwule Männer gerichteten Urteile nicht nur juristisch zulässig sei. Vielmehr habe der Gesetzgeber „aufgrund seiner Schutzpflicht sogar den verfassungsmäßigen Auftrag“ die Betroffenen zu rehabilitieren. „Die mehr als 50 000 Opfer sind durch Verfolgung und Verurteilung im Kernbestand ihrer Menschenwürde verletzt worden. Sie müssen es ertragen, dass die Urteile gegen sie dennoch nie aufgehoben wurden. Diese Ungerechtigkeit darf der Gesetzgeber nicht länger hinnehmen“, kommentierte Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, das Ergebnis der Studie.

Viele schwule Männer, die bereits während des deutschen Faschismus nach § 175 kriminalisiert und verfolgt worden waren, waren auch nach ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern weiterhin interniert worden, da der § 175 auch in der Nachfolgerepublik des „3. Reiches“, der Bundesrepublik Deutschland, weiterhin Bestand hatte. Noch bis ins Jahr 1969 hatte der § 175 in der von den deutschen Faschisten erlassenen Form gegolten, was noch 1957 vom Bundesverfassungsgericht als rechtmäßig bezeichnet wurde. Erst 1994, infolge der Annexion der DDR und der damit einhergehenden Rechtsangleichung, war der Paragraph in der Bundesrepublik ersatzlos gestrichen worden. Im vormals sozialistischen Teil Deutschlands war der gegen Schwule gerichtete Paragraph hingegen bereits 1988 ersatzlos gestrichen worden. Faktisch war er jedoch aufgrund der DDR-Strafrechtsreform 1957 bereits nicht mehr angewandt worden. Der von den Nazis verschärfte § 175 StGB lieferte in der Bundesrepublik die Grundlage, um rund 100 000 schwule Männer zu verfolgen und 50 000 zu verurteilen.

Die Linkspartei kritisierte die Rehabilitierungspläne des Justizministers als „vollkommen unzureichend“. „Offenbar will sich die Bundesregierung um eine vollständige Entschädigung aller noch lebenden Opfer drücken, zudem soll ein Teil der Urteile überhaupt nicht aufgehoben werden“, sagte Jasper Prigge, innenpolitischer Sprecher der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus sieht das Eckpunktepapier, das jetzt bekannt geworden ist, „Nachweispflichten“ seitens der Opfer vor, die diese in der Regel nicht werden erfüllen können. „Wer vor 30, 40 oder 50 Jahren zu einer Haftstrafe nach § 175 StGB verurteilt worden ist, wird die entsprechenden Unterlagen wohl kaum zur freundlichen Erinnerung in sein Fotoalbum geklebt haben. Vielmehr dürften die meisten Opfer entsprechende Unterlagen vernichtet haben“, stellt Prigge fest. Die meisten Opfer seien ohnehin geprägt durch ihre gesellschaftliche Stigmatisierung; „es wird ihnen schwer genug fallen, überhaupt eine Entschädigung zu beantragen“. Nachweispflichten seien in diesem Zusammenhang ein Hohn und eine hohe Hürde. „Notwendig ist vielmehr eine unbürokratische und schnelle Entschädigung“, so der Innenpolitiker weiter. Derzeit ist davon auszugehen, dass auch die schwul-lesbische Community den Druck auf die Bundesregierung künftig noch erhöhen dürfte.

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"Für Gleichstellung auf die Straße", UZ vom 22. Juli 2016



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