Für eine Handvoll Euro

Es soll ja Menschen geben, die noch an so etwas wie die „grüne Kernkompetenz“ bei den Grünen glauben. Sozusagen an den grünen Weihnachtsmann. Der trat tatsächlich am Ende der vorigen Woche vor die Presse und verkündete die Modalitäten des Ausstiegs aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Und was der vom Uni-Maoisten über den Dosenpfand-Fundamentalisten zum Atomindustrie-Versteher geschmeidig gewandelte Jürgen Trittin verkündete, war vor allem eine Zahl: 23.3 Mrd. Euro.

Bis 2022 zahlen die Big Four, E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall, diese überschaubare Summe in einen staatlichen Fonds und sind damit für alle Ewigkeiten aus dem Schneider.

Zumindest was die Kosten der Zwischen- und Endlagerung des beim Abwracken der Kraftwerke noch reichlich auflaufenden „Atommülls“ angeht. Nun gibt es nach 50 Jahren Atomindustrie bislang schon rein technisch keine befriedigende Entsorgungs-Lösung. Die teilweise extrem langen Halbwertzeiten der verschiedenen radioaktiven Substanzen im „Atommüll“ machen einen Planungshorizont von 1 Mio. Jahre plus erforderlich. Und allein für die „Asse“ werden die Kosten schon jetzt auf mittlerweile 10 Mrd. Euro beziffert. Aber was soll’s?

Mit Jürgen Trittin und seinen Co-Vorsitzenden Ole von Beust (CDU) und Matthias Platzeck (SPD) war jedenfalls die geeignete Große Koalition für diese elegante Entsorgungslösung gefunden. Dank der von ihnen geleiteten „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs“ (KFK) können sich die Big Four mit dieser, sagen wir mal, Spende, aus der Verursacherhaftung verabschieden. Man müsse dafür sorgen, dass die Kuh, die man melken wolle, nicht vorzeitig geschlachtet werde, sorgte sich in alter SPD-Tradition der in Großprojekten erfahrene Melkmeister Platzeck. Und Trittin, ganz generöser Weltmann, glaubte, dass „die Unternehmen damit gut leben können“. Die Big Four hatten noch etwas Kulissenkrawall inszeniert und den „Kompromiss“ abgelehnt. Wie die Gesellschaft damit wird leben können, interessierte beim gegenseitigen Schulterklopfen eher weniger.

Selbstverständlich sind auch diese 23,3 Mrd. Euro ein Hoffnungswert. Noch ist nicht 2022. Noch gibt es diesen Fonds nicht. Und da offensichtlich das Wirtschaftlichkeitsprinzip das Verursacherprinzip schlägt, darf als nicht ausgeschlossen gelten, dass sich die Big Four in der Zwischenzeit so outgesourced und zurechtgespalten haben, dass sie dann erfolgreich die Hosentaschen nach außen ziehen können.

Nun gehen die Stromriesen, anders als in ihrer momentanen Armuts-PR, nicht unmittelbar am Bettelstab. Immerhin haben sie von uns in der Zeit von 2002 bis 2012 die nicht ganz unerhebliche Summe von rund 1,6 Billionen Euro kassiert. Bei ihrer durchschnittlichen Umsatzrendite von 8,1 Prozent macht das einen Profit von 130 Mrd. Euro. Das wäre so übel nicht, wenn er denn tatsächlich der Gesellschaft zugute käme.

In der Energiewirtschaft und insbesondere in der Atomindustrie zeigt sich die leistungssteigernde und verbraucherfreundliche Logik des neoliberalen „Privat vor Staat!“ in ihrer ganzen Pracht. Immerhin sind laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut DIW satte 54 Mrd. Euro Staatsknete in den Aufbau der privaten Atomindustrie geflossen. Und nun wird auch noch der Ausstieg subventioniert. Zu vermutlich noch deutlich höheren Beträgen. Wenn schon privat kassiert wird, kann ja privat nicht auch noch gehaftet werden.

Gleiches gilt für die kleinbürgerliche Konkurrenz-Romantik. Alles kann man nun nicht haben: Global Energy Players – und die Konkurrenz des Kartoffelmarktes. Ein einheitlich effizientes europäisches Stromnetz – und die subsistenzwirtschaftliche Unabhängigkeit der mittelalterlichen Windmühle. Daher funktioniert die „Energiewende“, wenn sie denn funktioniert, wiederum nur über massive öffentliche Subventionierung, über Großtechnologie, eben dadurch, dass der private Strom-Kunde staatlich zwangsweise zur Kasse gebeten wird.

Die Bereitstellung von Energie ist eine infrastrukturelle Basisaufgabe. Ohne Energie läuft buchstäblich nichts. Und vom Klimawandel ist hier noch nicht einmal die Rede.

Und wenn hier schon ohne den Staat nichts läuft und die Gesellschaft letztlich für alles haftet, warum soll sie dann nicht die elementaren, für alle lebenswichtigen Investitionsentscheidungen selber treffen und auch die entstehenden Profite kassieren?

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"Für eine Handvoll Euro", UZ vom 6. Mai 2016



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