„Der Jurist ist seiner Natur nach ein furchtsamer Mensch. Er bewegt sich nur ungern dort, wo es heiß, staubig, laut und gefährlich ist“, sagt Ex-Bundesrichter Thomas Fischer über das Arbeitsethos seiner Berufskollegen. Fischers Auffassung mag auf die große Mehrheit der über 200.000 Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte zutreffen. Sie halten als kleine Rädchen im Getriebe Tag für Tag den Justizapparat am Laufen. Bis ins Letzte durchdeklinierte Verfahrensordnungen sorgen dafür, dass sich die Produktion von Recht, der Ausstoß von Einzelfallentscheidungen, möglichst reibungslos vollzieht.
Jede Entscheidung reproduziert herrschendes Recht, Macht und das Interesse, das ihr zugrunde liegt. Gleich ob im Mietrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht oder Strafrecht – wer Sand in dieses Getriebe streut, lebt gefährlich. Schon Fritz Bauer, in den 1960er Jahren hessischer Generalstaatsanwalt und Nazi-Jäger, war sich dessen bewusst, als er zu Lebzeiten einem Weggefährten anvertraute: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.“ Das von Bauer entgegen aller politischen und behördeninternen Widerstände initiierte Verfahren gegen Spitzen der NS-Justiz, die an den Euthanasie-Morden beteiligt waren, wurde nach seinem Tod im Jahr 1968 geräuschlos durch Einstellung ad acta gelegt.
Ein Jahr später proklamierte Bundeskanzler Willy Brandt verheißungsvoll: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Kaum war die Tinte unter der Regierungserklärung trocken, stand mit dem „Radikalenerlass“ die Säuberung des Staatsdienstes von „verfassungsfeindlichen Elementen“ auf der Agenda. In seinem Gefolge wurden vom Verfassungsschutz Lebensläufe und politische Aktivitäten von circa 3,5 Millionen Menschen überprüft. Die bundesweite Protestbewegung gegen die Berufsverbote führte am 25. März 1972 zur Gründung der „Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen“ (VDJ). Die Mitglieder der VDJ sahen sich von Beginn an den „Leitprinzipien Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ verpflichtet, wie es in der Satzung heißt.
Der bloße Umstand, dass Mitglieder und Sympathisanten der DKP als Einzelpersonen in der VDJ aktiv waren, brachte der Vereinigung alsbald den Generalverdacht ein, eine „Vorfeldorganisation“ der Kommunisten zu sein. In dieser Konsequenz wurden fortan demokratisch denkende Juristen mit Berufsverboten überzogen, wie 1975 das SPD- und ÖTV-Mitglied Charlotte Niess-Mache, die allein wegen der Mitgliedschaft in der VDJ (und der impliziten Kontaktschuld zur DKP) in Bayern nicht Richterin werden durfte.
In der aktuellen Arbeit konzentriert sich die VDJ auf eben jene Bereiche, die „heiß, staubig, laut und gefährlich“ sind und erarbeitet auf Tagungen systematische Handreichungen für Juristen, die in ihrer täglichen Arbeit die Interessen der Arbeiterschaft und sozial Schwachen an die erste Stelle setzen. Gemeinsam mit Bürgerrechtsorganisationen und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte-Verein (RAV) gibt die Vereinigung den alljährlich erscheinenden Grundrechte-Report heraus, der sich als explizites Gegenprojekt zum Verfassungsschutzbericht versteht. Am Samstag, den 24. September, feiert die VDJ im Frankfurter Literaturhaus unter dem Brechtschen Motto „Besser als gerührt sein ist: sich rühren“ ein halbes Jahrhundert Streit für ein anderes, besseres Recht.