Zum EU-Wahlprogramm-Entwurf der Linkspartei

Für die Vereinigten Staaten von Europa?

Während die „linken“ Aktivisten in Bayern und Hessen mitten im Landtagswahlkampf stecken, konzentriert sich der Parteivorstand auf die Erarbeitung eines EU-Wahlprogramms. Zwar verfügt das Parlament der Europäischen Union nicht über diejenigen Rechte, die gemeinhin ein demokratisches Parlament ausübt – zum Beispiel darf die gewählte Versammlung der EU-Abgeordneten keine eigenen Gesetze initiieren – jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei „Die Linke“ wieder Abgeordnetensitze erhält, relativ hoch. In München und Wiesbaden ist hingegen davon auszugehen, dass diesmal kein „Linker“ in die Landtage einzieht.

Der Entwurf ist ein Angebot, schon im ersten Satz heißt es: „Liebe Wähler*innen, die anstehenden Europawahlen werden mitentscheiden: Schaffen wir es, aus den vielen Krisen herauszukommen? Denn viele wichtige Entscheidungen werden längst auf europäischer Ebene getroffen.“ Politisch interessierte Leserinnen (und Leser) werden sich fragen, ob diese Behauptung in Unkenntnis der demokratischen Verfasstheit des imperialistischen Bündnisses EU geschrieben wurde. Die Entscheidungen fallen auf Ebene der EU-Minister oder -Staatschefs. Das Parlament darf sie dann legitimieren.

Im Programmentwurf, den der Parteivorstand einstimmig verabschiedet hat, heißt es hingegen: „In der vergangenen Legislatur haben wir im Europaparlament einiges erreicht: Auf unsere Initiative hat das Europaparlament die Freigabe von Impfpatenten beschlossen. Wir haben dazu beigetragen, dass ein armutsfester Mindestlohn in Europa eingeführt wird. Wir haben im Europaparlament entscheidenden Druck für das Gesetz zum Schutz von über 28 Millionen Arbeitenden auf den digitalen Plattformen gemacht. Das zeigt: Eine starke ‚Linke‘ stärkt soziale Sicherheit in Europa und baut aus, was Leben und Alltag besser macht.“

Wer sich beim Lesen dieser Erfolgsgeschichte fragt, wo die freien Impfpatente oder der armutsfeste Mindestlohn geblieben sind, der sei auf das Gewaltverhältnis zwischen Kapital und Arbeit hingewiesen. Dieses nämlich regelt nicht nur im von manchen bereits totgeglaubten Nationalstaat die Machtverhältnisse. Es setzt sich auch, vermittelt durch seine Agenturen der gesamtkapitalistischen Interessenhüter (sogenannte Regierungen), in der Europäischen Union durch, die in der Konsequenz ein Pakt der Regierungen der Mitgliedstaaten ist und deswegen als imperialistisches Bündnis agiert. Es ist kein Zufall, dass die vier „Grundfreiheiten“ der EU sogenannte „Kapitalfreiheiten“ sind.

Mit dem Programmentwurf macht der Parteivorstand der „Linken“ in völliger Ignorierung dieser Verhältnisse trotzdem Vorschläge für „eine EU, in der die Menschen mehr zählen als der Profit“. So heißt es zum Beispiel zu den Empfehlungen gegen Rassismus und Intoleranz von von der Leyens Kommission, dass diese endlich in den Staaten umgesetzt werden müssten. Und weiter: „Nichtumsetzung muss sanktioniert werden.“ Diese EU, in der Menschen mehr zählen als der Profit, soll also eine supranationale Union sein, die über den Staaten steht.

Diese kosmopolitischen Vorstellungen sind alt, doch ändern sie nichts daran, dass die politische Macht des Kapitals sich anders organisiert hat. Der Verlauf der Eurokrise 2012 hat vor Augen geführt, in welchem Verhältnis die supranationalen EU-Institutionen zu den Mitgliedstaaten steht. Dass diese vereinigten Staaten reaktionär sind, weil die klassenneutrale Wunschvorstellung unmöglich ist, lässt sich jeden Tag aufs Neue beobachten.

Doch anstatt die EU wie bisher als imperialistisches, undemokratisches und militaristisches Bündnis anzugreifen, möchte der Parteivorstand um den EU-Parlamentarier Martin Schirdewan integrieren und weiterhin Erfolge feiern. Wie diesen hier zum Beispiel: „Wir wollen ein europäisches Mindesteinkommen (…) Das Europäische Parlament hat im März 2023 auf unseren Antrag hin eine verbindliche Richtlinie beschlossen, jetzt muss sie umgesetzt werden!“. Na dann, Glück auf!

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"Für die Vereinigten Staaten von Europa?", UZ vom 22. September 2023



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