In Zeiten wachsender Kriegsgefahr muss die Friedensbewegung zusammenhalten. UZ sprach mit der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen („Die Linke“) über Anfeindungen gegen Friedenskräfte und die Notwendigkeit, den Kriegswahnsinn zu stoppen.
UZ: Gegen den „Aufstand für Frieden“ am 25. Februar in Berlin wurde schon im Vorfeld gehetzt und von einer angeblichen „Querfront“ gesprochen. Dann kamen Zehntausende, um für den Frieden einzustehen. Rechte spielten keine Rolle und mussten mit der Lupe gesucht werden. Eigentlich hätten die großen Medien den Querfront-Mythos abschreiben müssen – doch sie hielten daran fest. Steckt dahinter eine Strategie?
Sevim Dagdelen: Das von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierte „Manifest für Frieden“ mit mittlerweile einer Dreiviertelmillion Unterzeichnern und die Kundgebung „Aufstand für Frieden“ mit Zehntausenden am Brandenburger Tor in Berlin am 25. Februar haben alle Erwartungen übertroffen. Der große Zuspruch aus breiten Kreisen der Bevölkerung für eine diplomatische Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg anstelle immer weiterer und immer schwererer Waffen lässt sich nicht mehr negieren. Auch wenn die Panzerfans, allen voran bei den Grünen und der FDP, toben und noch so lautstark Stimmung gegen die Friedensbewegung zu machen versuchen, sie haben keine Mehrheit bei den Bürgerinnen und Bürgern. Diffamierungen wie „Friedensschwurbler“ oder „Putin-Freunde“ zielen darauf ab, einen inneren Feind zu konstruieren. Doch das verfängt nicht, die Strategie der Ausgrenzung und Abschreckung ist als gescheitert zu bewerten. Das Friedensmanifest und die große Berliner Friedenskundgebung sind ein Mutmacher, laut die eigene Stimme für einen Waffenstopp und Diplomatie zu erheben und auf die Straße zu gehen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dies auch bei den Ostermärschen sehen werden.
UZ: Der Auftakt der Ostermärsche ist an diesem Samstag in Potsdam. Der Kreisvorstand der Partei „Die Linke“ hat sich von der Friedenskundgebung zurückgezogen. Auch hier spielen Querfront-Vorwürfe eine Rolle. Warum nimmst du am 1. April dort trotzdem als Rednerin teil?
Sevim Dagdelen: Der 22. Potsdamer Ostermarsch steht unter dem Motto „Die Waffen nieder! Für eine friedliche Welt“. Die Friedenskoordination Potsdam tritt ein gegen Militarismus, Nationalismus, Rassismus und Krieg und ruft auf, die internationale Zusammenarbeit zu fördern, nicht die Konfrontation. Wer das unterstützt, ist herzlich willkommen, und natürlich bin ich der Einladung der Potsdamer Friedensfreunde gerne gefolgt, dort zu sprechen. Es ist bedauerlich, dass der „Linke“-Kreisvorstand in Potsdam den Potsdamer Ostermarsch nicht unterstützt.
Die Spitze der Bundespartei oder die Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert, die mit ihren Forderungen nach Waffenlieferungen bei Grünen und FDP andocken kann, oder auch Bodo Ramelow, der schwere Waffen „in jedem erforderlichen Umfang“ gegen Russland liefern lassen will, sind eine schwere Hypothek für eine Zusammenarbeit mit der Friedensbewegung. Andererseits nehme ich erfreut zur Kenntnis, dass die Parteibasis in Potsdam ausdrücklich für den Ostermarsch am 1. April ab 15 Uhr zum Brandenburger Tor in Potsdam mobilisiert.
UZ: Was rätst du denen, die gegen Waffenlieferungen sind, sich aber aufgrund der vielen Anfeindungen nicht trauen, offensiv für eine friedliche Lösung einzutreten?
Sevim Dagdelen: Die teils wirklich unerträglichen Anfeindungen gegen Friedenskräfte sind ein Angriff auf die Demokratie. Die Versuche, Andersdenkende mundtot zu machen, wie wir es ja schon bei Corona erlebt haben, haben totalitäre Züge angenommen. Aber wer für Waffenstopp und Frieden eintritt, kann dies mit voller Überzeugung und Selbstbewusstsein tun. Die große Mehrheit der Staaten und der Bevölkerungen global folgt dem Kurs der USA und NATO ja gerade nicht. Bei dem von den USA auf deutschem Boden ins Leben gerufenen „Ramstein-Format“, in dem Waffenlieferungen an die Ukraine abgesprochen werden, beteiligen sich drei Viertel aller Staaten weltweit nicht. Wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, dass es für Waffenlieferungen und mehr Krieg keine Mehrheiten gibt. 87 Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern des Globalen Südens, die sich weigern, sich dem Wirtschaftskrieg gegen Russland und dem NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine anzuschließen, darunter die bevölkerungsreichsten Länder China und Indien sowie Indonesien, Pakistan, Nigeria, Brasilien, Südafrika, Bangladesch, Mexiko, Äthiopien und Ägypten.
UZ: In Umfragen setzt sich eine Mehrheit der Deutschen für mehr diplomatisches Engagement der Bundesregierung ein, um den Ukraine-Krieg zu beenden. Wie kann dieses Potential auf die Straße gebracht werden?
Sevim Dagdelen: Zunächst einmal sollten selbstbewusste Linke endlich damit aufhören, ständig aufzuzählen, wer alles nicht zu einer Antikriegskundgebung kommen darf, und in übler Verfassungsschutzmanier einen Gesinnungs-TÜV zu veranstalten. Wenn die Franzosen bei den Protesten gegen die neoliberale Rentenreform in Frankreich sich die Debatte, wie sie in Deutschland in Bezug auf die Friedensdemonstrationen geführt wird, zu eigen machen würden, dann dürfte da niemand mehr protestieren. Die Denunziation der Friedensdemonstrationen soll abschrecken und gleichzeitig für die üble Regierungspolitik mobilisieren. Hier muss man voll dagegenhalten. Angesichts der großen Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges, in den Deutschland mit der Lieferung immer schwererer Waffen immer tiefer verstrickt wird, muss man diese im Kern rechte Staatsschutzlogik zurückweisen.
Willkommen sind alle, die ehrlichen Herzens für Frieden eintreten, wie Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer dies richtigerweise für die Manifestation in Berlin gesagt hatten. Die Einladung gilt natürlich ausdrücklich auch für Mitglieder und Wähler von SPD, Grünen, FDP und Union, die im Dissens zum Kriegskurs ihrer jeweiligen Partei stehen. Wer aber meint, eine Friedenskundgebung in eine rechte Versammlung ummünzen zu müssen, kann zu Hause bleiben.
UZ: Die Bundesregierung zeigt sich unterdessen unbeeindruckt. Trotz Friedensinitiativen, zum Beispiel aus China, hält sie an Waffenlieferungen und Eskalationskurs fest. Damit wächst die Gefahr eines atomaren Schlagabtauschs. Wie kann dieser Wahnsinn gestoppt werden?
Sevim Dagdelen: Den Wahnsinn des Krieges zu stoppen, ebenso wie den selbstmörderischen Wirtschaftskrieg, muss unsere Hauptaufgabe sein. Die Bundesregierung hintertreibt im Schlepptau der USA eine Friedenslösung. Kanzler Scholz hat mit seinem Ja zu Kampfpanzerlieferungen Deutschland von den USA wie einen Vasallen ins Feuer schicken lassen und er zeigt offensichtlich wenig Interesse, den Terroranschlag auf Nord Stream aufklären zu lassen, für den der US-Enthüllungsjournalist Seymour Hersh Präsident Biden verantwortlich macht und jetzt zudem von einer Komplizenschaft von Kanzler Scholz berichtet, die den Tatbestand des Hochverrats erfüllt.
Der Wahnsinn des Krieges wird gestoppt mit Diplomatie, Waffenstillstandsverhandlungen und daraus resultierend Friedensverhandlungen, die zu einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands führen müssen. Die Weigerung des globalen Südens, beim Stellvertreterkrieg der NATO mitzumachen, ist ein sehr positives Zeichen. Der Widerstand gegen den westlichen Neokolonialismus wächst weltweit. Das ist in den Berliner Regierungskreisen bisher noch nicht angekommen. Hier findet man sich immer noch gedanklich in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, indem man dem globalen Süden mit moralischen Belehrungen und gnadenloser Ausbeutung entgegentritt.