Am 8. und 9. Mai vor einem Jahr legten allein in Berlin Zehntausende an den sowjetischen Gedenkstätten der Rotarmisten und der 27 Millionen Toten der Sowjetunion Blumen und Kränze nieder. In diesem Jahr ist das Gedenken mehr noch als 2020 mit Warnungen vor einem neuen Krieg gegen Russland verbunden.
Besonders das am 1. Mai gestartete „XXL-Manöver des Jahres“ (Deutscher Bundeswehrverband) „Defender Europe 2021“ demonstriert Geschichtsvergessenheit und Unbelehrbarkeit. Es ist die größte Übung des Westens seit dem Ende des Kalten Krieges. Der Bundeswehrverband (DBwV) jubelt daher auf seiner Website: „28.000 Soldaten aus 26 Nationen bei simultan laufenden Operationen in 12 Ländern – die Zahlen hinter der Großübung ‚Defender-Europe 2021‘ lesen sich fantastisch.“ Die „Interessenvertretung aller Menschen der Bundeswehr“ meldet stolz: „;Aufgrund der geostrategischen Lage Deutschlands im Herzen Europas ist die Bundesrepublik regelmäßig Transitland und Drehscheibe für militärische Transporte und Bewegungen unserer alliierten Partner‘, bestätigt ein Sprecher des Presse- und Informationszentrums Kommando Streitkräftebasis auf Anfrage des DBwV.“ Rund um den 8. und 9. Mai steigen einige zu Höchstform auf.
Eine „Rechtfertigung“ gibt es für Aggressoren immer. So zitierte die „Berliner Zeitung“ am 26. April eine Darstellung der die Bundesregierung beratenden Stiftung Wissenschaft und Politik, wonach Bundeswehr und andere NATO-Streitkräfte nach dem Ende des Kalten Krieges auf Auslandseinsätze wie in Afghanistan ausgerichtet worden seien. Daher hätten „die meisten NATO-Staaten verlernt, ihre Streitkräfte im Bündnisgebiet, das heißt auf europäischem Territorium, rasch bereitzustellen, zu bewegen und im Einsatzraum zu kooperieren. Das müssen sie nun wieder in allen Facetten erlernen.“ Ähnlich habe sich der zuständige Bundeswehrgeneral Martin Schelleis bei Ankunft der ersten US-Truppen für das Manöver 2020, das wegen der Pandemie nur in reduzierter Form stattfand, geäußert: „Was sich die NATO jetzt wieder aneignet, kann Russland schon lange.“
Deutsche bürgerliche Politiker und Journalisten begleiten das Militär beim „Wiedererlernen“ mit Hetze. Eine Auswahl: Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Alexander Graf Lambsdorff, am Freitag auf „sueddeutsche.de“: „Wir müssen Russland dort treffen, wo es wirklich wehtut.“ Er schlug „eine Sanktionspolitik“ vor, „die einem Embargo nahekäme“. Zuvor hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer laut „spiegel.de“ vom 17. April erklärt, Russland betreibe aktuell „Kriegsführung mitten in Europa“. Am 30. April forderte Kommentator Alan Posener auf „zeit.de“, die Bundesrepublik müsse dringend einen aggressiveren Kurs gegen Russland einschlagen, es gelte Hemmungen fallenzulassen: „Gerade die kulturelle Linke“ müsse sich „von der Vorstellung lösen“, „der Frieden mit Russland um beinahe jeden Preis sei wegen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion 1941 eine moralische Pflicht“.
Seit 1945 waren die Sowjetunion und nun Russland bemüht, eine Wiederholung des Überfalls vom 22. Juni 1941 zu verhindern. Abrüstung war und ist in ihrem Interesse, Aufrüstung in dem des Westens. Am Montag erhielt Posener eine Antwort. Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ berichtete, in NATO-Kreisen sei die russische Unterwasserdrohne „Poseidon“ „anfangs als Hirngespinst abgetan“ worden, inzwischen wachse „das Entsetzen“. Wer den 8. und 9. Mai 1945 vergessen machen will, erhält die Quittung.