„Waanvlucht“-Konzert des Ernst-Busch-Chors Berlin und des Brecht-Eisler-Koors Brüssel

Für den Frieden der Welt – sagt Nein!

Von Hilmar Franz

„Wünsch mir die Welt, in der die Völker sagen, wir haben endlich den Krieg verloren und können ihn nicht wiederfinden.“ Das Bonmot des Dichters Peter Maiwald in einem harmonisch geschärften Satz für vierstimmigen gemischten Chor von Hartmut Fladt ist neu im Repertoire des Berliner Ernst-Busch-Chors. Im themenbezogenen Konzert am Wochenende mit dem Brecht-Eisler-Koor aus Brüssel bestanden rund 60 Sängerinnen und Sänger des gastgebenden Veteranenchors vor großer und mitgerissener Anhängerschaft eine anspruchsvolle Selbstherausforderung im „International“, dem Präsentationskino an der Karl-Marx-Allee.

Daniel Selke, sein für das Treffen auch organisatorisch geforderter Chor und Luca Carbonaro, flexibler Könner und rhythmischer Sachwalter am Piano, hatten ihren Programmteil mittelfristig vorbereitet. Als zum vorjährigen Internationalen Tag des Friedens (21. September) der initiierende Brecht-Eisler-Koor in Brüssel (Leitung Lieve Franssen) und sechs weitere belgische Chöre dem staatsoffiziellen Weltkriege-Gedenken 2014 mit „Waanvlucht“ erstmals eine künstlerisch ausstrahlende Friedensalternative entgegensetzten, konnten gleichzeitig in Berlin der Hans-Beimler- und der Ernst-Busch-Chor für ihr Publikum programmatisch einstimmen: „Frieden auf unserer Erde“.

Wie Chöre aus Wien und London, aus Bremen, Oldenburg und München, die niederländischen aus Groningen und Hengelo beteiligen sich „Beimlers“ und „Buschs“ damit noch bis 2017 an einem länderübergreifenden, weiter wachsenden Projekt. Es besteht der Wunsch, dass durch videoübertragene „Pflicht- und Kür“-Einstudierungen gemeinsam im Internet auch etwas Neues, nach Übersee, Afrika oder Asien hin Ausstrahlendes entsteht.

„Waanvlucht“ ist ein flämisches Wortspiel, ein Plädoyer zur Unterstützung aller Widerstandsformen gegen Kriegswahn, für Fahnenflucht. Denn die zum Anlass genommenen Weltkriegsgeschehen waren nur „groß“ in Wahn und Zerstörung, sagt der in der Kampftradition der revolutionären Arbeiterchöre stehende Brecht-Eisler-Koor, wenn er die Wahlheimat der Namensgeber, seiner proletarischen „Schutzheiligen“, besucht. „Wir träumen davon – die Strategen haben einen Kriegsplan, aber keiner wird sich beteiligen.“ Der semiprofessionelle, auch auf zeitgenössisches Liedgut orientierte Chor wirbt für die freie Beteiligung an seinem Projekt – Kriegsverweigerung als Friedensstrategie. Ein politisch bekennender US-Amerikaner, der seit langem in Belgien lebende Komponist Frederic Rzewski (Jahrgang 1938), schrieb ihm das Auftragswerk „Sag Nein!“ als vierstimmigen Chor a cappella. Es steht nun für jeden anderen interessierten Chor zur universellen Nutzung im Rahmen des Projekts.

Rzewski, seit 2014 Mitglied der Berliner Akademie der Künste, verwendete darin zum einen Wolfgang Borcherts bekannten Text von 1947, zum anderen, an die Jungen gerichtet, Schlusszeilen aus Kurt Tucholskys 1922 verfasstem Gedicht „Drei Minuten Gehör!“: „Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg! Nie wieder Krieg!“. Dem reizvoll mit chorisch-rhythmischem Sprechen, Flüstern und Singen verschränkten originalen Kompositionssatz „Sag Nein!“ (vorzüglich: Brecht-Eisler-Koor) folgte eine erleichternde Einrichtung (Daniel Selke) für den Ernst-Busch-Chor mit erweitertem, dafür deutlicher vernehmbarem Sprechchor-Anteil.

Direkte inhaltliche Bezüge kamen nicht bloß in den separaten Berliner und Brüsseler Programmblöcken zum Vorschein. Bereits der eingangs gemeinsam gesungene Friedenskanon „Peace on Earth“ (Hermann Reichenbach/Hanns Eisler) trug die eindeutige Botschaft. Im fulminanten Finale noch einmal unter beiden Dirigenten präzis und kräftig zusammenwirkend, vermochten sich die Chöre beim „No More War“ (Stop the War, 2005) von Frederic Rzewski begeisternd zu steigern. Es hat das Zeug zu einem Einigungssignal, im Voranschreiten untergehakt auf den Straßen zu singen, wie es der Brecht-Eisler-Koor bei „Grandola, Vila Morena“ in Erinnerung an die portugiesische Nelkenrevolution demonstrierte.

Ein „Spezialtitel“ der „Buschs“, geschrieben 1949 von den beiden österreichischen Marxisten Ernst Fischer und Hanns Eisler, ist das „Lied über den Frieden“: Kraft jedermanns großem Nein muss er von den Völkern der Welt für alle Zukunft errungen werden. „Nötig wie Nahrung ist uns dennoch der Widerstand“, heißt es in Odysseas Elytis’/Mikis Theodorakis’ „Nur diese eine Schwalbe“ (aus „Axion Esti“), das Stephan Kiesling gleichsam gegen das Finanzdiktat der Troika mit dem Busch-Chor sang. Wenig später antwortete der halb so große Brecht-Eisler-Koor mit der griechischen Anrufung einer „Sonne der Gerechtigkeit“ und des gepriesenen Myrthenzweigs aus demselben Zyklus. Für die derzeitige Verfasstheit der Friedensbewegung besonders aktuell erweist sich das weiter zurückreichende jiddische Klagelied von Mordechaj Gebirtig (1877–1942) „Es brennt, Brüder, es brennt! Die Hilfe kann nur durch euch kommen!“. Birgit Lohmann-Rosenbaum sang es eindringlich mit ihrem Ernst-Busch-Chor.

Politisch ins Tagesgeschehen eingreifend, wie es die Klassiker Brecht, Eisler und Busch vormachten, erweitert der Brüsseler Brecht-Eisler-Koor sein Repertoire besonderer Güte ständig um internationale, historisch sinnfällige Bezüge. „Seid entschlossen, nicht mehr zu dienen, und ihr seid frei!“ lautet z. B. die (französisch) übermittelte Botschaft eines um 1550 vermutlich 19-Jährigen, aktuell ebenfalls von Frederic Rzewski vertont. Der Kernsatz entstammt der Schrift „Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen“ über die Feigheit von Millionen, sich nicht gegen tyrannische, kriegerische Gewalt aufzulehnen und Potentaten hinwegzufegen. Verfasser ist der von sozialistischen und anarchistischen Denkern des 19. Jahrhunderts häufig zitierte Franzose Etienne de la Boétie (1530–1563). Als indirekte Antwort darauf kann das im vorherigen Berliner Programmteil vernommene „Wart auf mich“ gelten, ein Liebeslied von Konstantin Simonow/Matwej Blanter über den vaterländischen Befreiungskrieg der Sowjetunion gegen den deutschen Faschismus. In Bild und Ton eingespielt, sang es Ernst Busch; der Chor seines Namens lieferte live den Background dazu.

In Gorizia im Friaul an der Grenze zu Slowenien fielen im Sommer 1916 über 100 000 Soldaten. Ein Vokalduo der Brüsseler in Italienisch erinnerte an einen Deserteur in der hierzulande weitgehend unbekannten Schlacht des 1. Weltkriegs; sein künstlerisch dagegengesetztes „Bella Ciao“ an unverdrossene Partisanen im Widerstand. Eingebettet zwischen Paul Dessaus spritziger Vertonung von Kästners pazifistischer „Fantasie von Übermorgen“ und Eislers Ausbeutersong „Weiß ich, was ein Mensch ist?“ aus „Die Maßnahme“ (in vollendeter Brechtscher Haltung: Karim Zahidi) stellte der Brecht-Eisler-Koor zwei Sätze einer zeitgenössischen palästinensischen Chorkomposition als Besonderheit vor. „The Singer of Wind and Rain“ (Salem Jubran/Gregory Youtz) entwerfen Szenen über die mutige Anwesenheit von Straßensängerinnen an Checkpoints in Palästina. Seit vielen Jahren protestieren sie gegen das israelische Plattmachen von Beduinendörfern.

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"Für den Frieden der Welt – sagt Nein!", UZ vom 6. November 2015



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