Sanna Ghotbi und Benjamin Ladraa, Gründungsmitglieder der Organisation „Solidarity Rising“, fahren mit dem Fahrrad um die Welt, um auf die Situation in der besetzten Westsahara aufmerksam zu machen. UZ sprach mit ihnen über ihre Beweggründe, die Situation in der Westsahara und die Verantwortung westlicher Staaten.
UZ: Ihr fahrt mit dem Fahrrad um die Welt mit dem Ziel Westsahara. Warum?
Benjamin Ladraa: Obwohl die Westsahara seit 47 Jahren besetzt ist, wissen nur wenige Menschen von der Situation vor Ort. Die Westsahara ist von einer Medienblockade umgeben, die fast so massiv ist wie die 2.700 Kilometer lange Mauer, die das Land teilt. Die Bevölkerung lebt als Flüchtlinge in der Wüste und sind täglichen Verhaftungen und Folter ausgesetzt.
Deshalb haben wir beschlossen, mehr als eine Runde um die Welt zu radeln. Wir glauben, dass wir eine Bewegung von Menschen, Organisationen und Regierungen aus der ganzen Welt brauchen, um das Recht des saharauischen Volkes auf Selbstbestimmung einzufordern, das fest im internationalen Recht verankert ist. Wir werden innerhalb von zwei Jahren 48.000 Kilometer durch 40 Länder radeln. Wir sind im Mai in Schweden, unserem Heimatland, gestartet und radeln gerade durch die Tschechische Republik in Richtung Balkan. Nach Aserbaidschan werden wir durch fast ganz Asien fahren, durch Länder wie Indien, Thailand, China und Japan, bevor wir nach Europa zurückkehren und bis zu den Flüchtlingslagern in Tindouf, Algerien und in die befreiten Gebiete der Westsahara.
UZ: Warum habt ihr euch ausgerechnet jetzt auf den Weg gemacht?
Sanna Ghotbi: Die Lage der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (SADR) hat sich bereits seit dem Amtsantritt der Regierung Trump verschlechtert. Damals wurde vereinbart, dass die USA die marokkanische Souveränität über die Westsahara anerkennen, wenn Marokko im Gegenzug seine Beziehungen zu Israel normalisiert.
Für die SADR war dies ein schwerer Schlag. Für die internationale Solidaritätsbewegung und die SADR stellt sich nun die Frage, wie sie neue Allianzen und Partnerschaften aufbauen können mit Ländern und Menschen, die die Realitäten von Kolonialismus, Besatzung und Imperialismus kennen und verstehen. Für uns von „Solidarity Rising“ und unser aktuelles Projekt „Bike4Westernsahara“ ist dies eine Priorität.
UZ: Neben ehemals kolonisierten Ländern führt euch euer Weg auch durch kapitalistische Zentren. Warum habt ihr auch darauf einen Schwerpunkt gesetzt?
Benjamin Ladraa: Die Besetzung der Westsahara wird von vielen westlichen Ländern unterstützt – im Widerspruch zu deren rhetorischen Äußerungen, Nationen zu sein, welche die Menschenrechte und das Völkerrecht respektieren. Spanien zum Beispiel hat sich entschieden, die Westsahara nicht zu dekolonisieren, sondern Marokko und Mauretanien das Land im Gegenzug für wirtschaftliche Vorteile kolonisieren zu lassen. Frankreich, das sowohl Marokko als auch Algerien kolonisiert hat, versucht, seinen Einfluss in der Region aufrechtzuerhalten, indem es die marokkanische Besatzung unterstützt. Die USA unterhalten geheime „Verhör“-Zentren – das heißt Folterzentren – in Marokko und die beiden Länder arbeiten in vielen Fragen zusammen. Für die USA ist Marokko ein wichtiger Verbündeter in der Region und dient als Bollwerk des westlichen Einflusses in Nordafrika. Israel verkauft auch Drohnen an Marokko und Programme wie die berüchtigte Spionagesoftware „Pegasus“, die Marokko benutzt hat, um saharauische Aktivisten wie Aminatou Haidar auszuspionieren.
Westliche Unternehmen beuten auch die natürlichen Ressourcen der Westsahara in direktem Widerspruch zum Völkerrecht aus. Das Fischereiabkommen, das die EU-Kommission mit Marokko unterzeichnete, umfasste auch die Gewässer der Westsahara. Obwohl der Europäische Gerichtshof das Abkommen für rechtswidrig erklärt hat, gibt es immer noch europäische Schiffe, die die Gewässer der Westsahara befischen. Marokko stiehlt auch die riesigen Phosphatreserven in der Westsahara – und Länder in aller Welt nehmen Marokko gerne beim Wort, dass es die Zustimmung der Saharaui hat, wenn sie die gestohlenen Ressourcen kaufen.
UZ: Wie ist die Lage für die Saharaui konkret?
Sanna Ghotbi: Die Saharaui leben seit 47 Jahren – seit sie gezwungen waren, vor der marokkanischen Invasion zu fliehen – in der rauen algerischen Wüste. Sie sind völlig abhängig von humanitärer Hilfe und Unterernährung und Anämie – vor allem bei Kleinkindern und schwangeren Frauen – sind nach wie vor hoch, genauso wie die Arbeitslosenquote. Aber die Saharaui sind widerstandsfähig, und es gibt viele Organisationen, die momentan großartige Arbeit leisten. Bis vor einigen Jahren hatten sie keinen Strom und somit auch kein Internet. Deshalb versuchen jetzt viele lokale Aktivisten, die internationale Gemeinschaft über ihre Situation zu informieren. Es gibt eine Frauengewerkschaft, die erstaunliche Arbeit bei der Organisation von Kooperativen und autonomen Räumen für Frauen in den Flüchtlingslagern leistet und auch Druck auf die internationale Gemeinschaft ausübt, um die Frauen zu unterstützen, die in den besetzten Gebieten regelmäßig missbraucht werden. Die saharauische Gesellschaft ist die demokratischste und feministischste in der MENA-Region und in den Lagern herrschen sehr fortschrittliche Verhältnisse.
UZ: Ihr seid vorhin schon kurz auf den Zweck eurer Radtour eingegangen. Was erhofft ihr euch konkret zu erreichen?
Benjamin Ladraa: Wir wollen die ganze Welt dazu bringen, sich mit dem saharauischen Volk zu solidarisieren, indem wir über Afrikas letzte Kolonie informieren und in der Weltöffentlichkeit für die sofortige Durchführung eines freien und fairen Referendums in der Westsahara mobilisieren. Wir glauben, dass das saharauische Volk – wie von den UN versprochen – das Recht erhalten sollte, demokratisch über den künftigen Status seines Territoriums zu entscheiden.
Es ist jetzt wichtiger denn je, dass die internationale Gemeinschaft gegen das marokkanische Regime Stellung bezieht, das auch sein eigenes Volk unterdrückt und nicht nur die Saharaui. Es sollte einfach sein, da über 100 UN-Resolutionen deren Recht auf Selbstbestimmung anerkannt haben. Es ist Zeit, es vom Papier in die Praxis umzusetzen.