Neues Corona-Gesetz soll die Krisenlasten auf die Krankenkassen abladen

Für Arme nichts übrig

Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche den Entwurf zum „Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vorgelegt. Er soll Anfang Mai im Schnellverfahren das Parlament passieren. Folgt man Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), sind die hier getroffenen Regelungen – wie auch schon das erste Bevölkerungsschutzgesetz – Beleg dafür, dass „unser Staat dieser Krise gewachsen“ sei. Mit dieser Ansicht dürfte sie ziemlich allein stehen, rief doch das Bekanntwerden des Entwurfs heftige Gegenreaktionen beim Pflegepersonal, den Krankenkassen, den Kliniken und Sozialverbänden hervor. Der 73-seitige Gesetzesentwurf setzt sich im Wesentlichen das Ziel, die Grundlage für Covid-19-Massentests zu schaffen, die Meldepflichten von Krankenhäusern und Ärzten auszubauen sowie für die Krankenhäuser „angemessene Aufwandsentschädigungen“ in Aussicht zu stellen.

Nach acht Wochen Pandemie hat sich nun auch bei der Bundesregierung herumgesprochen, dass die wegen „Materialknappheit“ bisher nur sporadisch durchgeführten Tests zur Beurteilung der tatsächlichen Infektionslage unzureichend waren. Der Standard-PCR-Stäbchentest, für den bisher die Krankenkassen je Test 59 Euro ausgleichen, soll flächendeckend und symptomunabhängig zum Einsatz kommen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht von 4,5 Millionen Tests pro Woche aus, was bei den Kassen monatlich mit 1,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen würde. Die AOK zeigte Spahn die kalte Schulter: Keine Bereitschaft zur Kostenübernahme. Es handele sich nämlich um „eine Maßnahme zum allgemeinen Bevölkerungsschutz“ und damit um „Gefahrenabwehr“, für die der Staat selbst zuständig sei, konterte der Chef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch.

Auch der DGB springt in seiner Stellungnahme vom 24. April den Kassen bei und fordert eine Finanzierung der Tests aus Steuermitteln. Völlig unklar ist daneben, woher die Laborkapazitäten zur Prüfung der Tests kommen sollen: Anfang März lag die wöchentliche Laborkapazität in Deutschland noch bei etwa 35.000 Corona-Tests, momentan werden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts circa 400.000 Tests pro Woche ausgewertet. Diese Quote soll jetzt abermals um mehr als das 11-Fache gesteigert werden. Der im Gesetzesentwurf zu diesem Zweck vorgesehene Rückgriff auf die Tierarztpraxen dürfte wenig bringen: Laut Mitteilung des Bundesverbands praktizierender Tierärzte liegen die hier vorhandenen wöchentlichen Kapazitäten nur bei etwa 70.000 Tests.

Auch die Kliniken schlagen Alarm: Das St.-Theresien-Krankenhaus in Nürnberg sandte am 21. April einen Brandbrief an den Bundesgesundheitsminister: „50 Euro pro Fall für den zusätzlichen Aufwand sind ein schlechter Scherz. Wenn wir den Mitarbeitern keine Schutzkleidung stellen, können sie nicht arbeiten. Wenn wir auf die Verteilung von Schutzkleidung durch den Bund gewartet hätten, dann wären wir nicht mehr arbeitsfähig.“

In seiner Presseerklärung vom 23. April betont der Klinikverbund Hessen, statt bei „den tatsächlichen und tagtäglichen Schwierigkeiten anzusetzen“ erwarte der Koalitionsentwurf von den Kliniken „vor allem die Lieferung von Daten“ – und das unter Androhung von Sanktionen.

Der Gesetzenteswurf ist letztlich auch gekennzeichnet durch das, was er nicht enthält: Eine Aufstockung der Hartz-IV-Sätze, nachdem die Lebensmittelversorgung durch die „Tafeln“ zusammengebrochen ist und Kinder nicht mehr in der Schule oder Kita mit einem Mittagessen versorgt werden. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, stellt der Regierung ein Armutszeugnis aus: „Es ist beschämend, dass die Bundesregierung ausgerechnet für arme Menschen in ihrer Not in dieser Krise offenbar im wahrsten Sinne des Wortes so gut wie nichts übrig hat.“

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"Für Arme nichts übrig", UZ vom 1. Mai 2020



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