Stolz ist sie in der deutschen Öffentlichkeit gefeiert worden: die Berliner Libyen-Konferenz, zu der die Bundesregierung am 19. Januar geladen hatte. Sie sei „ein bedeutender Erfolg für die deutsche Außenpolitik“, triumphierte „Der Tagesspiegel“. Endlich habe Deutschland eine „Führungsrolle“ übernommen, notierte zufrieden die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Das „deutsche Engagement“ habe „einen Sog entwickelt“, dem sich keiner der in den Libyen-Krieg involvierten Staaten habe „entziehen“ können, lobte „Der Spiegel“, und die „Süddeutsche Zeitung“ formulierte, die deutsche Kanzlerin habe als eine „sanfte Schutzpatronin des Multilateralismus die Kraftmeier der Weltpolitik zur Räson gebracht“. Einig waren sich die Leitmedien außerdem darin, es sei nun „Deutschlands Verantwortung“, sich „maßgeblich“ – so lautete etwa die Version der FAZ – „an der Herstellung von Sicherheit“ in Libyen und „an der Konstruktion eines libyschen Gemeinwesens“ zu beteiligen, gegebenenfalls auch mit einem Einsatz der Bundeswehr. Das sei, verkündete die SZ, „Deutschlands Beitrag zum Frieden in der Welt“.
„Führungsrolle“? „Erfolg“? Nun, das stolze Geprahle der Hauptstadtkommentatoren verdient einen genaueren Blick. Libyen hatte die Bundesregierung lange Zeit nicht sonderlich interessiert, seit es im März 2016 – dies tatsächlich unter maßgeblicher deutscher Mitwirkung – gelungen war, in der Hauptstadt Tripolis mit Fayiz al Sarradsch einen offiziell anerkannten Ministerpräsidenten zu installieren. Sarradsch war schwach, beherrschte zunächst nicht mehr als ein paar Hafengebäude – aber das war durchaus im Sinne Berlins, denn er nickte von nun an sämtliche EU-Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr brav ab und verschaffte damit Aktionen wie der Aufrüstung libyscher Milizen zur „Küstenwache“ die erwünschte Legitimität. Tieferes Interesse entwickelte die Bundesregierung erst wieder im Spätsommer 2019. Damals zeichnete sich klar ab, dass äußere Mächte erheblichen Einfluss auf das militärische Geschehen gewonnen hatten – die Türkei auf der Seite von Sarradsch, Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate auf der Seite von dessen Gegner Khalifa Haftar. Zudem gab es Hinweise, Moskau und Ankara könnten versuchen, ihrerseits einen Waffenstillstand zu vermitteln und damit faktisch das syrische Modell auf Libyen zu übertragen, sich also zu den dominanten äußeren Kräften in dem Land aufzuschwingen. Im September 2019 forderte daraufhin Berlin Mitsprache ein – mit der ersten Ankündigung seiner Libyen-Konferenz.
Der in Aussicht gestellte Termin musste freilich, weil der deutsche Einfluss in Libyen längst nicht ausreichte, um die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu zwingen, immer wieder verschoben werden. Erst als Moskau und Ankara mit ihren Waffenstillstandsbemühungen ernst machten, ergab sich für Berlin die Chance, auf den fahrenden Zug aufzuspringen und zu versuchen, den Führerstand zu übernehmen. Nachdem Russlands Präsident die deutsche Kanzlerin empfangen und ihr Rückendeckung zugesagt hatte, konnte die Berliner Libyen-Konferenz endlich stattfinden. Sie hat freilich nur auf geborgter Macht basiert.
Daraus folgt zweierlei. Zum einen stehen die Chancen, dass die Bundesregierung aus eigener Kraft einen Waffenstillstand erzwingen kann, eher schlecht. Zum anderen haben die westeuropäischen Mächte die Kontrolle über Libyen womöglich auf Dauer an die Türkei, Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate verloren. Es wäre nach Syrien das zweite Land der arabischen Welt, in dem der alte Westen nichts mehr zu sagen hätte – und das in einer Zeit, in der auch im Irak die westliche Militärpräsenz schärfer attackiert wird denn je. Ob das historische Kräfteverschiebungen sind? Einiges spricht dafür. Aufhalten ließen sie sich nach Lage der Dinge allenfalls mit Gewalt, und das heißt: mit einer Intervention der Bundeswehr. Genau darauf läuft das Gerede von deutscher „Verantwortung“ für Libyens „Sicherheit“ hinaus.