Es ist Mittwoch Abend, als zwei Beamte in der Polizeiwache in Leipzig Connewitz ihren Dienst verrichten. Im Stadtteil sind sie nicht gern gesehen. Die Errichtung der Wache vor einem Jahr gilt bei vielen als eine Provokation gegenüber einer autonomen Lebenskultur, die sich nicht gern vom Staat in die Karten gucken lässt.
Plötzlich stürmen 20 Vermummte von der Straße auf das Gebäude und werfen Steine und Farbbeutel. Es herrscht Chaos, und noch bevor die beiden Beamten verstehen, was geschieht, greifen weitere 30 Personen den Hinterhof an und setzen einen Streifenwagen in Brand. Kaum zwei Minuten vergehen – nach Aussage der Polizisten –, bis sich die Angreifer zurückziehen, Krähenfüße hinterlassen und eine Verfolgung verhindern. Verletzt wird niemand, der Schaden beträgt mehrere tausend Euro und der Schreck der Polizisten sitzt tief – sie sprechen von Todesängsten, die sie ausgestanden haben.
Es ist Mittwoch, der 7. Januar 2015 und der zehnte Jahrestag, an dem der Asylbewerbers Oury Jalloh im Dessauer Polizeirevier den Tod fand. „Das war Mord“, sagen Freunde und Angehörige, und es spricht viel dafür, dass die Staatsanwaltschaft ein Verbrechen vertuscht, ein Beamter wird wegen fahrlässiger Tötung zu 10 800 Euro Strafe verurteilt. Ein kafkaeskes Verfahren, in dem Beweise verschwinden und über Zusammenhänge nicht berichtet wird, hält an, und es sieht nicht danach aus, als ob die von Flüchtlingsinitiativen geforderte politische Aufarbeitung stattfindet.
Was sich am 7. Januar 2015 in Leipzig ereignet hat, war kein Akt blinder Gewalt – auch wenn bürgerliche Medien und Politiker es gern so darstellen. Dass beiden Polizisten – trotz erheblichem Sachschaden und einem Schreck fürs Leben – von den 50 Angreifern nicht ein einziges Haar gekrümmt wurde, ist kein Zufall, sondern zeigt den Charakter der Aktion: Sie war geplant, organisiert durchgeführt und besaß eine politische Botschaft, die in einem Bekennerschreiben mitgeteilt wurde: Wir haben Wut auf einen Staat, der unschuldige Menschen politischer Gewalt aussetzt und uns kein legales Mittel gibt, unser Recht zu bewahren.
Damals gehörte es zum guten Ton von Journalisten und Politikern aller Parteien, sich von der Aktion zu distanzieren und darauf hinzuweisen, dass Gewalt nicht das Mittel der Wahl politischer Kämpfe sein sollte. Eine echte Auseinandersetzung mit den Ursachen, Motiven und Zusammenhängen der Tat fand nicht statt. Nun, zwei Jahre nach der Aktion, hat die Staatsanwaltschaft Halle, die das Verfahren im Juni übernahm, ihre Mordermittlungen im Fall Oury Jalloh eingestellt, weil keine hinreichenden Gründe für eine Fortsetzung vorliegen würden.
Sollte das nicht wenigstens einige von denen, die angesichts der unbequemen Connewitzer Krawalle 2015 ihre Hände in Unschuld wuschen, in nachträgliche Erklärungsnöte bringen? Wahrscheinlich nicht. Erst wenn wieder Autos brennen und Steine fliegen, beginnt der nächste Wettlauf, wer sich am weitesten von der Gewalt der Straße distanziert.