Zur Deindustrialisierung

Frontalangriff

„Wenn es nach den Wünschen der Unternehmen ginge, wären wir nichts anderes als Austauschware und im Zuge von Wirtschaftskrisen und einem Wandel in der Industrie gerade so verschieb- und abbaubar, wie es gerade passt.“ So beschrieb die IG Metall schon im vergangenen Jahr ebenso nüchtern wie zutreffend die Lage der Beschäftigten bei Buderus Edelstahl. Rund 180 Vollzeitstellen wurden damals im Stahlwerk in Wetzlar gestrichen. Inzwischen hat der österreichische Stahl- und Technologiekonzern voestalpine den gesamten Standort verkauft. Der neue Besitzer – ein international agierender Investmentfonds – hat bereits angekündigt, Tarifflucht zu begehen. Wie viele der noch verbliebenen rund 1.250 Beschäftigten ihren Job behalten, ist vollkommen unklar.

Damit nicht genug. Continental will seine hessischen Standorte in Wetzlar und Schwalbach bis Ende 2025 schließen. Insgesamt 1.200 Stellen sollen gestrichen und weitere 1.100 Arbeitsplätze ins Rhein-Main-Gebiet verlagert werden.

Wie unter einem Brennglas kann man in der mittelhessischen Industriestadt eine inzwischen gängige Kapitalstrategie beobachten. Ob Thyssenkrupp, VW, Bosch oder Schaeffler, geht es nach den Managern in den Vorstandsetagen gibt es nur eine Antwort auf Krise und Transformation: Arbeitsplatzabbau, Werksschließungen und Lohnverzicht. Hunderttausende industrieller Arbeitsplätze stehen so auf dem Spiel oder wurden bereits vernichtet.

Eine Deindustrialisierungswelle wie in den 1980er Jahren droht. Damals war zuerst der Steinkohlebergbau betroffen, dann folgten die Textilindustrie und der Schiffbau und schließlich auch die Stahlindustrie. Heute sollen neben den Beschäftigten aus den verbliebenen Stahlwerken auch die Kolleginnen und Kollegen in der Automobil-, der Metall- und Elektroindustrie dem Kahlschlag zum Opfer fallen.

Die Folgen wären nicht nur der Verlust von in der Regel tarifgebundenen und mitbestimmten Industriearbeitsplätzen, sondern auch ein Wegbrechen gewerkschaftlich hochorganisierter Betriebe mit arbeitskampferfahrenen Belegschaften. Mit einer solchen Schwächung der „stärksten Bataillone“ der Gewerkschaftsbewegung würde sich das Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit weiter verschieben. Wer angesichts dieses Frontalangriffs der Kapitalseite immer noch die „Sozialpartnerschaft“ beschwört, ist entweder naiv oder betreibt das Geschäft des Klassengegners.

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"Frontalangriff", UZ vom 6. Dezember 2024



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