Wandern und Bergsteigen gehören zu den bürgerlichsten Dingen, die man tun kann. Bevor sich das Bürgertum hervortat, gab es niemanden in den Alpen, der freiwillig auf Berge stieg. Sie waren unheimlich und gefährlich. Wer nicht unbedingt hoch musste, blieb im Tal. So ist das Bergwandern mehr oder weniger eine Erfindung geschäftstüchtiger Fremdenverkehrsleute aus dem 19. Jahrhundert, samt Folklore mit Lederhose und Dirndl. Demnach richtet sich der Bergtourismus nach den neuesten Trends und reißt „gute und alte“ Traditionen innerhalb eines Wimpernschlags ab.
Aktuell verschwinden immer mehr der „guten und alten“ Berghütten, in denen der Alpinist für wenig Geld auf einer harten Holzpritsche nächtigen konnte, bevor er frühmorgens zum Gipfel aufbrach. Heute will der Gast, der immer öfter aus Fernost kommt, auch auf 2000 Meter über Null den Komfort eines 4- bis 5-Sterne-Hotels nicht missen.
So werden für viel Geld und mit ungeheurem Aufwand riesige „Berghütten“ mit W-LAN und Sauna-Bereich in ökologisch höchst sensible Hochtäler und Bergkuppen betoniert. Immer mehr Helikopter werden gebraucht, um den anspruchsvollen und zahlungskräftigen Gast bei seinem Naturerlebnis „in der schroffen und ursprünglichen Natur der Alpen“ angemessen zu bewirten. Aufwendige Aussichtsplattformen aus Stahl und Fiberglas werden in den Fels getrieben, um dem ungeübten Besucher die tollsten und atemberaubendsten Ausblicke in alle Himmelsrichtungen zu ermöglichen.
Immer noch erklimmen die Renn-Rentner, Menschen biblischen Alters, die fitter sind als die meisten 20jährigen, die Gipfel. Immer noch begegnet man meist Lehrern und Verwaltungsbeamten in ihren perfekten und immer sauberen Wanderoutfits. Immer noch entdeckt man den einen oder anderen Einsiedler-Typen, der meditativ versunken Höhenmeter um Höhenmeter nimmt, und ab und zu den „guten und alten“ Touristen, der schmerzerfüllt am Wegesrand kauert, weil er mit seinen Flipflops umgeknickt ist. Das passiert abseits der neuesten Erfindung geschäftstüchtiger Fremdenverkehrsleute aus dem 21. Jahrhundert. Sie sind und werden immer mehr ein Überbleibsel eines analogen Bergtourismus. Die digitale Version des Frohlockens in dünner Luft ist im Entstehen, bis genau dieser wieder die gute und alte Tradition sein wird.