Polizeimord an Mouhamed Dramé: Todesschütze äußert sich erstmalig vor Gericht

„Froh, wenn man trifft“

Im Strafprozess gegen fünf der Polizisten, die an dem tödlichen Einsatz gegen Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 in Dortmund beteiligt waren, hat erstmals der mutmaßliche Todesschütze Fabian S. ausgesagt. Er soll mit einer Maschinenpistole sechs Mal auf den 16-jährigen Geflüchteten Dramé geschossen haben, der im geschlossenen Innenhof einer Jugendeinrichtung in einer Mauernische kauerte.

Am 13. Verhandlungstag am vergangenen Mittwoch schildert Fabian S. den Einsatz in nüchternem Beamtendeutsch. Er sei mit der wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagten Kollegin Pia Katharina B. und einem weiteren Kollegen Streife gefahren. Etwa 100 Meter vom Tatort entfernt seien sie mit weiteren Einsatzkräften zusammengetroffen. In der Einsatzbesprechung sei von einem mutmaßlich suizidalen Jugendlichen die Rede gewesen, der sich ein Messer an den Bauch hielt. S. erzählt, er habe eine MP5 als Sicherungsschütze zugeteilt bekommen. Auf Nachfrage von Oberstaatsanwalt Carsten Dombert räumt S. später ein, er habe die Wahl gehabt zwischen einem Distanzelektroimpulsgerät und der Maschinenpistole. Frau B. habe bereits zum Taser gegriffen gehabt. „Ohne Frau B. zu nahe treten zu wollen“, begründet S. seine Wahl, „die Waffe wird schwer, wenn man sie lange hält.“

Nachdem man zivile Einsatzkräfte zwecks Aufklärung vorgeschickt hatte, hätten seine Kollegen und er Stellung bezogen. Er habe sich etwa sechs Meter von Mouhamed Dramé entfernt positioniert. In dem engen Innenhof habe es nicht viele Möglichkeiten gegeben, Sicht auf den Jugendlichen zu haben, ohne Kollegen in der Schusslinie zu haben. Eine Vorschrift der Polizei Nordrhein-Westfalens sieht vor, dass Polizisten mindestens sieben Meter Abstand zu Menschen halten sollen, die mit einem Messer bewaffnet sind.

Der kurze Versuch eines Polizisten in Zivil, mit Dramé auf Spanisch in Kontakt zu treten, fruchtete nicht. Der Jugendliche befand sich in einer psychischen Ausnahmesituation. Er sprach weder Deutsch noch Spanisch, wohl aber Wolof, Mandinka, Französisch und Arabisch. Einsatzleiter Thorsten H. ordnete daraufhin den Einsatz von Reizgas an. Jeannine Denise B. habe den Befehl über Funk zunächst nicht gehört, sagt S. Er sei dann über den Zaun gerufen worden, hinter dem B. stand. Auch sie ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Das Reizgas habe er gesehen, sagt S. Es sei „eher wie Nebel“ statt als konzentrierter Strahl bei Dramé angekommen.

Daraufhin sei Dramé aufgestanden, habe sich kurz orientiert und sei dann schnell auf die Beamten zugekommen. „Ich sah mich veranlasst, als Sicherungsschütze tätig zu werden“, sagt S. Er habe auf die Körpermitte gezielt und fünf bis sechs Schüsse abgegeben. „Man ist froh, wenn man überhaupt trifft“, sagt Fabian S. Man hört Menschen im Gerichtssaal nach Luft schnappen. Man sehe nicht, ob man getroffen habe, behauptet S., nur, ob eine Reaktion erfolge. Er habe gewollt, dass Dramé stehen bleibe.

Als der Vorsitzende Richter Thomas Kelm die Verhandlung schließen möchte, meldet sich S. noch einmal zu Wort. Er wolle drei bis vier Sätze an die Nebenklage richten. In Richtung von Sidy und Lassana Dramé, Mouhameds Brüder, sagt er, „das Ganze“ betreffe ihn sehr und mache ihn traurig. Für Mouhameds Familie müsse es sehr schwer sein, ihren Bruder so zu verlieren. Er erwarte nicht, dass man ihm das glaube, aber er wolle Familie Dramé sein aufrichtiges Mitgefühl aussprechen.

Es ist das erste Mal in diesem Prozess, dass einer der Angeklagten Bedauern über den Tod Mouhameds äußert. Als Besucher und Pressevertreter den Gerichtssaal verlassen, weint Sidy Dramé in seine Jacke. Sein Körper bebt.

Auf der Anklagebank wirkt die Stimmung gelöst.

Wir berichten im UZ-Blog ausführlich über den Prozess, in dem sich zum ersten Mal in der Geschichte der BRD ein Polizist wegen Totschlags im Amt verantworten muss.

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"„Froh, wenn man trifft“", UZ vom 31. Mai 2024



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