8. Mai: Aufrichtige Ehrung oder Geschichtsvergessenheit?

Friedliche Zukunft mit Russland

Wenn „Mitregierende Botschafter“ bundesdeutsche Kabinette Mores lehren wollten, entpuppten sie sich schnell als antidiplomatische Wadenbeißer. Was für Angela Merkel der dumpf drohende amerikanische Grenell war, ist dem Olaf Scholz ein Noten und Weisungen erteilender ukrainischer Melnyk. Selbst Bundespräsidenten sind vom Gusto des Bandera-Verehrers und emphatischen Verteidigers des Neo-Faschisten-Bataillons „Asow“ nicht ausgenommen. Den altrussophoben Gauck herzte er auf den Rängen des Bundestages. Über Steinmeier, der einer besonnenen Russlandpolitik lange zuneigte, diktiert er einer sich anschmiegenden Presse nur Verachtung in die Spalten. Früh schon habe das deutsche Staatsoberhaupt „ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft“ und Leute involviert, die nun in der Ampel die Strippen zögen. Stringente Außenämter hätten einen solchen Botschafter einbestellt, aber keiner wird sich getraut haben, Annalena Baerbock das zu sagen. Nun ist es zu spät, denn das Staatsoberhaupt hat dem Zensurengeber das geforderte „Mea culpa“ zu Füßen gelegt. Damit ist ein als günstig erinnertes staatsmännisches Verdienst in den Orkus geworfen: sein Plädoyer für vernünftige deutsch-russische Beziehungen an einer Brücke Europas hin zum aufstrebenden Asien.

09 Kolumne koenig hartmut 1331 - Friedliche Zukunft mit Russland - Antifaschismus, Geschichte der Arbeiterbewegung, Repression - Positionen

Die erschütternden Kriegsereignisse in der Ukraine ändern nichts daran, dass das jahrzehntelange Streben nach einem tragfähigen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessenausgleich mit Russland richtig war. Hätte es sich gegen die Störfeuer des angemaßten Washingtoner Hegemonen behauptet und wären die Chancen einer gedeihlichen eurasischen Partnerschaft von Lissabon bis Wladiwostok – wofür es im Bundestag einmal Standing Ovations gab – innovativ in Angriff genommen worden, dann wäre es zu diesem Krieg nie gekommen.

Von den Flugfedern der Europäischen Union hätte sich zukunftsverlorene Trägheit lösen können und der „alte Kontinent“ wäre womöglich als selbstbewusster Player in die Sphären einflussreicher Weltpolitik zurückgekehrt. Diese Option musste verschüttet werden. Sie hatte den amerikanischen Drang nach fortgesetzter Weltherrschaft in Zeiten US-basierter Werteverformung gestört. Dabei hat die Hybris dieser „Pax americana“ in der Vergangenheit immer wieder leidvolle Spannungen und Kriege geschürt, bevorzugt auf weit entferntem Weltgelände. In solchem Geist forcierte man auch die Osterweiterung der NATO und wurde die Ukraine als Prellzone geostrategischer Scharmützel auserkoren.

Jetzt haben die Sprecher der westlichen Wertewelt Putin zum Paria erklärt, zielen aber auf alles Russische, etikettieren das als Zeitenwende und kriegen verdächtig dumpfen Applaus. Die diplomatischen, ökonomischen, wissenschaftlichen, monetären und zivilgesellschaftlichen Brücken abbrechen, Verkehrsverbindungen kappen, Städtepartnerschaften niederschlagen, russische Kunst dem – zunächst ideellen – Scheiterhaufen überantworten …? Lasst uns doch bei Sinnen bleiben! Welche Torheit denkt, am Nachbarn Russland ließe sich solange radieren, bis er aus der Landkarte fällt? Günter Verheugen, einst stellvertretender EU-Kommissionspräsident, sagte Anfang April mit rarem Sinn für Realismus: „Wir müssen bereit sein, Russland wieder die Hand zu reichen.“ Man müsse reden, „je eher, desto besser“.

Schon der nahe 8. Mai wird zeigen, ob Bundespräsident Weizsäckers hellsichtige Worte von einem Tag der „Befreiung“ hierzulande redundant geworden sind oder ob die 27 Millionen Sowjetbürger, die dem Hitlerkrieg zum Opfer fielen, aufrichtig geehrt werden. Und mit ihnen die für unsere Befreiung gefallenen Rotarmisten. Alle!

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"Friedliche Zukunft mit Russland", UZ vom 29. April 2022



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