Bürgerliche Meinungsmacher betonen in den Leitmedien mit einer gewissen Freude, Putin sei es nicht gelungen, den Westen in innere Widersprüche zu verstricken. Auch die Regierungen der EU-Staaten stellen sich geschlossen mit der NATO-Führungsmacht gegen Russland. Die Widersprüche zwischen den verschiedenen EU- und NATO-Staaten treten vor dem gemeinsamen Gegner für eine begrenzte Zeit in den Hintergrund. In Washington sagte Vizekanzler Robert Habeck („Bündnis 90/Die Grünen“), Deutschland sei bereit, „eine dienende Führungsrolle auszuüben“. Auf Reise in den Niederlanden beschreibt das Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Partei „Die Linke“) so: „Emotional ist es im Moment so, dass es ein stärkeres Binnen-Wir wieder gibt.“
Der Ratspräsident und thüringische Ministerpräsident spricht wie der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi. Als letzten Monat bei der historischen Sitzung des Bundestags ein Aufrüstungsprogramm von 100 Milliarden Euro beschlossen werden sollte, wollte Gysi, dass seine Fraktion dem grundlegenden Antrag der Bundesregierung gegen Russland zustimmt. Angesichts der phantastischen Summe wurde ihm die Gefolgschaft verweigert und so versucht er nun im Vorfeld des kommenden Parteitags im Juni die Weichen für eine außenpolitische Wende zu stellen. In mehreren Gesprächsformaten zum Beispiel bei der „Süddeutschen Zeitung“ oder dem „RBB“ stellte er die prinzipielle Gegnerschaft zur NATO in Frage. So stelle sich für ihn die Frage, ob die Ukraine überhaupt angegriffen worden wäre, wäre sie bereits in der NATO gewesen. Und auch die Kampagnen für einen NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens finde er „nicht uninteressant“.
Als der Parteitag von „Die Linke“ das letzte Mal in Erfurt tagte, wurde dort ihr Programm beschlossen. Damals setzte sich Gysi für eine schwammige Formulierung zur NATO ein, die die Auflösung des Bündnisses in den Vordergrund stellte – was nur möglich ist, wenn alle Mitglieder dem zeitgleich zustimmen. Diejenigen, die damals Sorge hatten, dass der Beschluss das Papier nicht wert sei, auf dem er geschrieben steht, wurden vom damaligen Parteiliebling Oskar Lafontaine beruhigt: Dieser versprach der Mitgliedschaft, dass es keine Aufweichung der Gegnerschaft zur NATO geben werde.
Mehr als zehn Jahre später beschimpft Gysi diejenigen Abgeordneten, die trotz der sich überschlagenden Ereignisse prinzipienfest für Abrüstung und Frieden eintreten. Unterstützung bekam Gysi dabei von der Parteispitze, so schrieb Susanne Hennig-Wellsow Anfang März: „Sagen wir weiterhin jenen, die ihre Sicherheit in der NATO suchen, dass deren Auflösung unser programmatisches Ziel ist?“. Sie fragte auch, „was es denn politisch heißt, einem überfallenen Land Selbstverteidigungsrecht zuzusprechen?“. Und Gysi weiß, dass zwar Deutschland (aus historischen Gründen) keine Waffen liefern dürfe, aber …
Dieser Anbiederung an grüne beziehungsweise „wertebasierte“ Politik folgte Mitte März der Austritt Lafontaines, der in linkssozialdemokratischer Tradition auf „Völkerrecht und Frieden“ setzt – „Die heutige Linke hat diesen Anspruch aufgegeben“.
Wie schlimm es wirklich um die ehemalige Friedenspartei steht, wird sich auf dem Parteitag im Sommer zeigen. Bis dahin spitzt sich der Kampf um die Friedenspolitik in den Parteigremien zu. Letzte Woche erklärte der Ältestenrat der Linkspartei unter Führung von Hans Modrow zur Lösung des Konflikts „zwischen den kriegsführenden Ländern, Russland und Ukraine“: „Jetzt ist Diplomatie gefragt (…) Die deutsche Außenpolitik liefert Waffen und setzt auf Stärkung der Bundeswehr. Die deutsche Diplomatie kann keine tragende Rolle spielen.“ Die Gesprächsnotiz sorgte für Furore. So suggerierte zum Beispiel Janis Ehling, Mitglied des Linke-Parteivorstands und bei „marxistische linke e. V.“, das Papier sei kein Ausdruck einer Diskussion im Ältestenrat gewesen, und kündigte an, dass auf der Parteivorstandstagung am Wochenende Konsequenzen beraten werden. Dieser beschloss mit Bezugnahme auf eine Vorversion des Papiers, in dem von einem „Bürgerkrieg“ die Rede ist, dass „diese Ausführungen“ „inakzeptabel“ seien, die Zusammenarbeit „dysfunktional“ und der Ältestenrat in einem Monat neu berufen, also neu zusammengesetzt, wird.