Jetzt kommt das Jahresende, und mit ihm das obligatorische Zurückschauen auf und Bilanzieren der letzten zwölf Monate. Blöd nur, wenn es dort wenig Positives gab. Da wird der Jahreswechsel schnell zum Anlass für Grübeleien und negative Gedanken. Die Notfallhotlines von Seelsorgern sind nach Weihnachten noch gar nicht wieder richtig abgekühlt, schon glühen sie wieder. Zumindest in den Teilen des Landes, in denen die Hilfsangebote – „Wie überlebe ich einigermaßen unbeschadet den ganzen kapitalistischen Wahnsinn?“ – noch nicht dicht gemacht worden sind zu Gunsten von Aufrüstung und überteuerten Infrastruktur-Milliardengräbern.
Das ist auch eine Kategorie zur Beurteilung des gesellschaftlichen Ist-Zustandes: Leisten wir uns noch Angebote zur Bewältigung der kapitalistischen Alltagszumutungen? Oder besteht die neoliberal-reaktionäre Herrschaftsvariante bereits flächendeckend darauf, dass es ausreicht, wenn die Stärksten durchkommen? Um den Rest ist es ohnehin nicht schade. Und wer möchte nach dieser Logik nicht zu den Stärkeren zählen? Also: Weg mit der sozialen Hängematte. Grenzen dicht für Arme und Ungelernte. Weg mit Bildungs-, Betreuungs- und Integrationsangeboten. Her mit Steuererleichterungen für Reiche und Kettensägen-Sonderangeboten im Baumarkt unseres Vertrauens. Wenn ein am Horizont aufziehendes Jahr 2025 bereits mit einem Bundestagswahlkampf beginnt, der vor Heuchelei, Kriegshetze, Durchhalteparolen und Ankündigungen von Sozialkürzungen nur so strotzt, wie gut kann es dann werden?
Vor diesem Hintergrund war ein Weihnachtserlebnis für mich sehr erhellend. Zum zweiten Mal in meinem Leben war ich Teil einer Weihnachtsmesse. Ob nun zu Integrationszwecken oder durch Zufall: Die oberpfälzische Gemeinde, in der dieses für mich sehr neue kulturelle Event stattfand, hatte sogar einen Fränkisch dialektenden Pfarrer für die Weihnachtspredigt organisiert. Das hat mir das rein akustische Verständnis der um mich herum stattfindenden Prozesse sehr erleichtert.
Besagter Pfarrer verwies gleich zu Beginn seiner Predigt auf die bereits viel zitierte und vielfach real gefühlte „krisenhafte Zeit“. Dieses Gefühl anerkennend, bat er doch um Wachsamkeit, weil es bei aller berechtigten Besorgnis immer noch schlimmer kommen könne. Schließlich befänden wir uns noch nicht direkt in einem Kriegszustand.
Es folgten einige Ausführungen zu den Themen Frieden und Sicherheit. Die „Sicherheit“ des Predigers war wohl eher in Richtung göttlichen Fürsorgeversprechens gemeint, und natürlich bin ich mir über die höchst reaktionäre Rolle von Religion und ihrer Vertreter im militarisierten Kontext bewusst. Dennoch empfand ich die Formel „Frieden stirbt mit Sicherheit“ durchaus anknüpfungsfähig. Auch die Erinnerung an den Gedanken, dass es bei aller berechtigten Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen nicht ausreicht, sich in Fatalismus und Nichtstun zu üben, nehme ich als Ansporn gerne mit ins neue Jahr.
Natürlich könnten die Zustände in diesem Land noch viel schwieriger sein. Es lohnt sich auch, daran zu erinnern, unter welchen oftmals noch weit schwierigeren Bedingungen unsere Genossinnen und Genossen weltweit Gegenwehr organisieren. Auch aus diesen Gedanken lässt sich Kraft und Motivation für unsere eigenen Kämpfe gegen Militarisierung und Krieg schöpfen.
Wer Krieg für ein vertretbares Mittel der Politik hält, dessen Risiken kalkulierbar seien, dem sei ein Silvester-Nachtdienst im Altenheim empfohlen. Wenn dort um kurz nach elf die ersten Böller und Raketen starten, beginnen auch die ersten verzweifelten Schreie all der hochbetagten Bewohnerinnen und Bewohner, die an lange verdrängt geglaubte Kriegs- und Bombennächte erinnert werden. Wer dann sieht, wie der afghanische Kollege kurz nach Mitternacht eine schreiende Dame in den Armen wiegt, während ihm selbst Tränen übers Gesicht laufen, der weiß wieder, warum jedes verteilte Antikriegsflugblatt und jede Unterschrift unter dem Berliner Appell seinen Sinn und seine Berechtigung hat.
Auf ein möglichst aktionsreiches, möglichst friedensreiches Jahr 2025!