Vor 100 Jahren gründeten Glühlampenkonzerne das Phoebus-Kartell – mit weitreichenden Folgen

Freunde der Finsternis

An Heiligabend des Jahres 1924 trafen sich die Konzernspitzen der größten Glühlampenproduzenten der Welt am Ufer des Genfer Sees, um sich und ihren Unternehmen ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk zu machen. Gekommen waren unter anderem Vertreter von Osram aus Deutschland, International aus den USA, Philips (Niederlande), Compagnie des Lampes (Frankreich) und Tungsram aus Ungarn. Gemeinsam gründeten sie Phoebus, das erste weltweit agierende Kartell der Geschichte, benannt nach einem Beinamen von Apollo, dem griechischen Gott des Lichtes.

Der an diesem Abend unterzeichnete Vertrag sollte dazu dienen, „die Zusammenarbeit aller Vertragsparteien sicherzustellen, zur Vorsorge für eine vorteilhaftere Ausnutzung ihrer Fabrikationsmöglichkeiten bei der Herstellung von Lampen, Sicherung und Aufrechterhaltung einer gleichmäßig hohen Qualität, Verbesserung der Wirtschaftlichkeit bei der Verteilung des Absatzes und Steigerung der Wirksamkeit elektrischer Beleuchtung und Erhöhung des Lichtverbrauchs zum Vorteil des Verbrauchers“. So beschrieb es zumindest William Meinhardt, Osram-Direktor und geistiger Vater des Kartells, in seinem 1932 erschienen Buch „Entwicklung und Aufbau der Glühlampenindustrie“. Ein bis heute spürbares Ergebnis des Kartells war die Entwicklung der internationalen Standardsockel E-27 und E-14 („E“ steht für Edison, die Zahl für den Durchmesser in Millimetern). Den von Meinhardt hervorgehobenen „Vorteil des Verbrauchers“ hatte Phoebus allerdings nicht im Sinn.

Stattdessen teilten sich die Vertragspartner den Weltmarkt auf. Penibel wurden „Heimatmärkte“ für die Monopolisten und Verkaufskontingente für den Absatz darüber hinaus festgelegt. Wer mehr verkaufte als erlaubt, musste Vertragsstrafen zahlen. Die Strafzahlungen wurden durch einen gemeinsamen Fonds abgesichert, an dem sich alle Mitglieder des Kartells beteiligten. Um die Verwaltung und Kontrolle kümmerte sich die Abteilung Verkauf der im Jahr 1925 in Genf eingetragene Firma Phoebus S. A. Compagnie Industrielle pour le Développement de l’Éclairage. Dass das gemeinsame Unternehmen in der Schweiz gegründet wurde, war kein Zufall. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gab es dort keine kartellrechtlichen Regelungen, die den umfangreichen Absprachen der Glühlampenhersteller im Wege standen.

Neben dem Verkauf verfügte Phoebus über weitere Abteilungen: Preispolitik, Propaganda und – das Herzstück des Kartells – Technik. Die technische Abteilung war für die Durchsetzung und Kontrolle des zentralen Anliegens der Phoebus-Mitglieder zuständig: die Reduzierung der Lebensdauer von Glühlampen auf 1.000 Brennstunden.

1.000 Stunden

„Ende der 1920er Jahre kann man die Metallfaden-Glühlampe als technisch weitestgehend ausgereift charakterisieren. Die Lichtausbeute ist beachtlich, die Brenndauern liegen mühelos bei 2.500 Stunden und mehr“, schrieb Markus Krajewski von der Universität Basel in seinem Essay „Fehler-Planungen. Zur Geschichte und Theorie der industriellen Obsoleszens“. Der Standard in der Massenproduktion lag bei 1.500 bis 2.000 Stunden.

Mit der verabredeten Verringerung der Lebenszeit auf 1.000 Stunden wurde eine neue Art der Forschung in den Entwicklungsabteilungen der Glühlampenkonzerne eingeführt. Es ging nicht länger um technischen Fortschritt oder eine Verbesserung des Produkts, sondern um die Erhöhung des Absatzes durch einen vorzeitigen Verschleiß, also um den zuverlässigen Einbau eines „Verfallsdatums“. Das Kartell untersagte seinen Mitgliedern, mit dem bis dahin üblichen Werbeversprechen einer langen Brenndauer aufzutreten. Zwei Kontrollinstanzen sollten für die Einhaltung des Vertrages sorgen. Die Unternehmen wurden verpflichtet, ihre Lampen in den eigenen Forschungslaboren zu testen und die Werte an Phoebus zu senden. Zudem sammelte das Phoebus-Labor nach dem Zufallsprinzip Glühlampen ein, um ihre Lebensdauer zu überprüfen.

Abweichler wurden mit hohen Strafzahlungen belegt, die in einem Katalog festgehalten waren. Das ökonomische Kalkül dahinter geht aus dem internen Schriftverkehr des Phoebus-Kartells hervor, der zum Teil in den Osram-Akten des Berliner Landesarchivs erhalten ist: „Aus kommerzieller Sicht ist es von großer Bedeutung, die Brenndauer von 1.000 Stunden so wenig wie möglich zu überschreiten, denn jede Überschreitung von nur 10 Stunden bedeutet einen weltweiten Absatzverlust von 1 Prozent oder etwa 4.000.000 Einheiten. Technisch ist es möglich, eine durchschnittliche Lebensdauer von 1.000 Stunden bis auf wenige Prozente genau zu erreichen, wenn man sorgfältig produziert.“

Auf der technischen Ebene drehte sich fortan (fast) alles um den Wolfram-Draht in den Lampen, der am leichtesten zu manipulieren war. Die Ingenieure der Konzerne experimentierten mit unterschiedlichen Materialien und Ausformungen, um die gewünschte Sollbruchstelle einzubauen. Neben der luftleeren Glühlampe wurde zudem ein gasgefülltes Modell eingeführt, das von Beginn an über eine kürzere Lebensdauer verfügte. Das Phoebus-Labor arbeitete zudem auch noch an anderen Fragen: In einer Versuchsreihe ging es beispielsweise darum, die Lebensdauer von Batterien und Glühbirnen in Taschenlampen aufeinander abzustimmen. Die Forschungsbemühungen waren von Erfolg gekrönt. Nicht einmal zehn Jahre nach der Gründung von Phoebus produzierten die Kartellmitglieder keine Lampen mehr, die länger als 1.500 Stunden leuchteten. Die Annäherung an die magische Zahl 1.000 gelang im Durchschnitt immer besser.

Ihren Profit organisierten die Konzerne währenddessen auch über die Verringerung der Produktionskosten bei gleichzeitig hoch bleibenden Preisen, die von den jeweiligen Länderkommissionen des Phoebus-Kartells vereinbart wurden.

Geplante Obsoleszenz

Durch die Verkürzung der Lebensdauer ihrer Produkte machten sich die Glühlampenkonzerne zu den Vorreitern der sogenannten „geplanten Obsoleszenz“. Durch eingebaute Sollbruchstellen, vorzeitigen Verschleiß und die Verhinderung von Reparaturen wird für einen regelmäßigen Neukauf von eigentlich langlebigen Produkten gesorgt. Im digitalen Zeitalter sind beispielsweise fest verbaute und dadurch nicht mehr austauschbare Akkus in Mobilgeräten längst ein weit bekanntes Ärgernis.

Der Nachweis der entsprechenden Manipulationen ist jedoch oft schwer. Selten kommt es vor, dass Unternehmen für ihre absichtlich eingebauten Fehler zur Rechenschaft gezogen werden. Bekanntheit erlangte der Prozess gegen den US-Konzern Apple, der sich im Jahr 2003 vor Gericht verantworten musste, weil die kurzlebigen Akkus seines iPods die Lebensdauer des gesamten Produktes verkürzten. Das Verfahren endete in einem Vergleich, ebenso eine Sammelklage gegen die eingebaute Leistungsherabregelung des iPhones bei Alterung des fest verbauten Akkus.

Doch das Phänomen der geplanten Obsoleszenz beschränkt sich nicht nur auf das individuelle Geschäftsgebaren einzelner Konzerne. Politische Programme wie die „Abwrackprämie“ in Deutschland dienen dazu, noch funktionierende Produkte vom Markt zu nehmen, um die Verkaufszahlen anzukurbeln.

Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgte bereits der US-amerikanische Immobilienmakler Bernard London in seinem 1932 erschienen Aufsatz „Ending the Depression Through Planned Obsolescence“. Darin forderte London die „Umstrukturierung der Gesellschaft durch ein Expertengremium, das den Auftrag hat, ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage herzustellen, das die technologische Arbeitslosigkeit beseitigt“. Die angesprochenen Experten sollten alle Waren mit einem rechtlichen „Todesdatum“ versehen und mit Abwrackprämien einerseits und Strafen andererseits dafür sorgen, dass diese „toten“ Produkte ersetzt würden. Auf diese Weise wollte London die US-Wirtschaft nach der großen Krise von 1929 wieder in Schwung bringen: „Die Fabriken, Lagerhäuser und Felder sind noch intakt und bereit, in unbegrenzten Mengen zu produzieren, aber der Drang, weiterzumachen, wurde durch den Rückgang der Kaufkraft gelähmt. Die bestehenden Probleme sind von Menschen gemacht und die Abhilfemaßnahmen müssen von Menschen erdacht und ausgeführt werden.“

Elektrifizierung des ganzen Landes

Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg wurde das Phoebus-Kartell offiziell aufgelöst. Im Jahr 1942 klagte die US-Regierung gegen am Kartell beteiligte Unternehmen. Zu den Vorwürfen gehörten illegale Preisabsprachen und unlauterer Wettbewerb. Im Jahr 1953 wurde schließlich General Electrics verurteilt und die Verkürzung der Brenndauer von Glühlampen verboten. Die von den Klägern geforderten Geldstrafen wurden jedoch nicht verhängt.

Die Absprachen der Glühlampenkonzerne hielten aber noch lange über das offizielle Bestehen des Kartells und der gleichnamigen Firma hinaus. Zum EU-weiten Glühlampenverbot im Jahr 2012 lag die durchschnittliche Brenndauer in der Bundesrepublik bei etwa 750 Stunden. Eine Ausnahme bildete die Kriegswirtschaft während des deutschen Faschismus. In dieser Zeit wurden Glühlampen mit einer Brenndauer von 1.500 Stunden produziert – nur um anschließend wieder zur kürzeren Haltbarkeit zurückzukehren.

Anders sah es in den sozialistischen Ländern aus. In der Planwirtschaft gab es kein Interesse an einem möglichst schnellen Verfall von Gebrauchsgegenständen – im Gegenteil. Und gerade die Glühlampe spielte schon in den frühen Tagen der So­wjet­union, wo die Lampen in der Folgezeit knapp doppelt so lange brannten wie im Westen, eine wichtige Rolle. Lenins Diktum von „Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“ folgend, wurde die Glühlampe zum Kennzeichen des Fortschritts. Wo der Sozialismus hinkam, wurde es hell.

So auch in der DDR, wo der VEB Narva Kombinat Berliner Glühlampenwerk Anfang der 1980er Jahre seine „Langlebensdauer-Glühlampe“ vorstellte. Die Lampe brannte 2.500 Stunden lang, was auf Proteste aus dem Westen stieß. „Ihr wollt euch wohl alle arbeitslos machen“, protestierte ein Osram-Direktor auf der Leipziger Messe, wie die „taz“ berichtete.

Vieles im Dunkeln

Kein Wunder, dass die Narva nach der Konterrevolution ganz oben auf der Abschussliste der westlichen Elektrokonzerne stand. Schlimmes befürchtend, wandte sich der deutsch-brasilianische Unternehmer und Kartellkritiker Kurt Rudolf Mirow Ende des Jahres 1991 an die Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel. Mit Blick auf die mafiösen Strukturen der Elektroindustrie schrieb er: „Es besteht der Verdacht, dass dieses Kartell sich jetzt den Markt der Neuen Deutschen Bundesländer untereinander aufgeteilt hat. (…) Es wäre bedauerlich, wenn auf Grund der Unkenntnis der Organisationsformen der Elektroindustrie jetzt möglicherweise maschinell veraltete, aber doch sanierungsfähige Betriebe geschlossen würden, die Mitgliedern der IEA (Anm. d. Red.: International Electrical Association, eine Phoebus-Nachfolgeorganisation) einmal Paroli und Wettbewerb bieten könnten. Da alle Untersuchungen zeigen, dass es in der Elektroindustrie nie eine Marktwirtschaft gegeben hat, werden sich die Probleme der ostdeutschen Unternehmen vorerst nicht mit reinen marktwirtschaftlichen Instrumenten lösen lassen.“ Kurt Rudolf Mirow wurde wenige Monate später auf Bali von einem Auto überfahren und starb.

Mirow war nur einer von mehreren Beteiligten, die während der Narva-Abwicklung eines unnatürlichen Todes starben – zum Teil unter bis heute ungeklärten Umständen. Am 5. März 1991 stürzte Dieter Binninger zusammen mit seinem Sohn und einem ehemaligen NVA-Piloten in einem Privatflugzeug ab. Er hatte sich zuvor als Erfinder von Glühlampen mit extrem langer Brenndauer (in der Theorie bis zu 150.000 Stunden) einen Namen gemacht und vier Tage vor seinem Tod ein Kaufangebot für Narva abgegeben.

Kurz darauf gab Osram, inzwischen eine Tochter des Siemens-Konzerns, bekannt, dass sich das Unternehmen nicht an der Narva-Ausschreibung beteiligen würde. Das mussten sie auch nicht. Denn Siemens hatte schon frühzeitig eigene Manager in den Treuhand-Gremien platziert, die sich um die Narva kümmerten, wie die „taz“ damals recherchierte. Auf ihr Betreiben hin war bereits ein „Schließungsbeschluss“ ergangen, der dann allerdings vorerst rückgängig gemacht wurde. Siemens arbeitete also im Geheimen an der direkten Abwicklung von Narva und erweckte gleichzeitig – bis zum Tod Binningers – öffentlich den Eindruck, den Betrieb durch seine Tochtergesellschaft Osram erwerben zu wollen, um andere Investoren abzuschrecken. Am Ende wurde Narva wie gewünscht aus der Glühlampenproduktion gedrängt und die entsprechenden Betriebsstandorte abgewickelt.

Übrigens: Als sich die von zahlreichen Zerschlagungs- und Korruptionsskandalen durchsetzte Treuhandanstalt zunächst über das Drängen der Siemens-Manager nach einer schnellen Narva-Abwicklung hinwegsetzte, hieß der Treuhand-Präsident Detlev Rohwedder. Er wurde am 1. April 1991 in seiner Wohnung erschossen – laut „Bild“-Zeitung beim Auswechseln einer kaputten Glühbirne. Wenn die Dinger nur länger halten würden …

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"Freunde der Finsternis", UZ vom 20. Dezember 2024



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