Freiheit und Demokratie sind zum einen zentrale Begriffe im weltweiten Kampf des Imperialismus zur demagogischen Rechtfertigung seiner Ordnung und seiner globalen Kriege. Im Kampf gegen die Sowjetunion und die sozialistischen Länder war er damit erfolgreich und versucht gegenwärtig, diesen Erfolg zu wiederholen im Kampf gegen sogenannte autoritäre Staaten. Die Behauptung, allein in den parlamentarischen Republiken des Westens herrsche überhaupt Demokratie, ist zu einem festen Bestandteil der Alltagsideologie auch vieler Unterdrückter und Ausgebeuteter geworden. Zugleich wird in den gegenwärtigen Krisen und angesichts der vom Imperialismus geschürten Kriegsgefahr vielen Menschen immer wieder bewusst, dass sie weder auf lokaler Ebene noch bei allgemeinen oder weltweiten Problemen etwas am Gang der Dinge ändern können. Die Kluft zwischen dem Anspruch der westlichen Länder, Synonym für Demokratie zu sein, und der Realität, der Einschränkung von Freiheit und Demokratie, ist im Kapitalismus der Gegenwart größer geworden. Wir sollten uns überlegen, ob es nicht an der Zeit ist, wieder mit Lenins „Entwicklung der Demokratie bis zu Ende“ an die Öffentlichkeit zu gehen, d. h. Über sozialistische Demokratie als wirkliche Alternative zu sprechen. Dazu einige Überlegungen.
Angelegt ist die Kluft im bürgerlichen Begriff von Demokratie, d. h. Im im Parlamentarismus: Der Proklamation nach gewährt er allen gleiche Mitbestimmungsrechte, in Wirklichkeit ist er in den Händen von Wirtschafts- und Parteienkartellen. Die bürgerliche Demokratie gilt nie für alle – von Sklaven und Frauen in der sogenannten ältesten Demokratie der Neuzeit, den USA, angefangen bis zu Arbeiterklasse-Migranten heute. Die herrschende Klasse behält sich zudem stets vor, die parlamentarische Republik zu beseitigen, wenn die Interessen der Mehrheit sich auch in parlamentarischen Mehrheiten niederschlagen. Wir erleben in den USA, in der Bundesrepublik und anderswo gegenwärtig Versuche der herrschenden Klasse, sich für den Kampf gegen den Parlamentarismus eine Massenbasis zu schaffen.
Zum anderen sind Freiheit und Demokratie programmatische Orientierungen aller fortschrittlichen Kräfte, insbesondere von Kommunisten und Sozialisten. Beide Begriffe sind an konkrete Gesellschaftsformationen gebunden, d. h. Sie werden von den herrschenden Eigentumsverhältnissen bestimmt. Eine sozialistische Gesellschaft verkörpert einen höheren Typ von Freiheit und Demokratie als die bürgerliche Gesellschaft. Erst im Sozialismus-Kommunismus ist wirkliche Selbstbestimmung der Menschen möglich.
Unter Marxisten gibt es aber seit jeher Kontroversen darüber, in welchem Verhältnis die Demokratie in der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsformation, d. h. Als Erscheinungsform der Diktatur des Proletariats, zur Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaftsformation steht, d. h. Als Erscheinungsform der Diktatur der Bourgeoisie.
Marx vertrat z. B. Im „18. Brumaire“ die Ansicht, dass die vom revolutionären Bürgertum formulierten Menschenrechte über dessen Gesellschaft hinausweisen und „sozialistisch“ werden müssen: „Die Bourgeoisie hatte die richtige Einsicht, dass alle Waffen, die sie gegen den Feudalismus geschmiedet, ihre Spitze gegen sie selbst kehrten, dass alle Bildungsmittel, die sie erzeugt, gegen ihre eigene Zivilisation, dass alle Götter, die sie geschaffen, von ihr abgefallen waren. Sie begriff, dass alle sogenannten bürgerlichen Freiheiten und Fortschrittsorgane ihrer Klassenherrschaft zugleich an der gesellschaftlichen Grundlage und an der politischen Spitze angriffen und bedrohten, also ‚sozialistisch‘ geworden waren.“ (MEW 8, S. 153). Das schließt ein, dass alle fortschrittlichen Rechte von der Arbeiterbewegung gegen Beschränkung oder Beseitigung verteidigt werden müssen.
Von der Position einer gefestigten sozialistischen Gesellschaft aus vertrat der DDR-Rechtstheoretiker Gerhard Haney 1971 die Auffassung, zwischen beiden Gesellschaften auf deutschem Boden gebe es einen „unübersteigbaren Graben“, einen absoluten Gegensatz. Ein Vergleichen sei nur anhand der objektiven gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten möglich, wobei die Entgegensetzung und „höhere geschichtliche Wertigkeit des Sozialismus“ sofort hervortrete. Außerhalb dieses Bezugspunktes seien „beide Ordnungen unvergleichbar“, insbesondere wenn einzelne Seiten aus dem jeweiligen System herausgelöst würden und z. B. Recht, Demokratie oder Wahlsystem isoliert betrachtet würden. Das laufe darauf hinaus, diese Begriffe aus sich selbst heraus zu erklären, also angeblich „systemfrei und entideologisiert“, d. h. Letztlich idealistisch, nicht historisch-materialistisch. (Haney: Die Demokratie – Wahrheit, Illusionen und Verfälschungen, Seite 47/48)
Eine andere Position, die nach meiner Meinung der von Marx, Engels und Lenin vertretenen Auffassung näher kommt, vertrat der DDR-Rechtswissenschaftler Uwe-Jens Heuer und vertritt heute noch Ekkehard Lieberam: Nach ihnen schließt Demokratie im Sozialismus „spezifische Fragestellungen“ ein, die mit dem „Widerspruchsverhältnis von Massen und eigenem Staat“ im Sozialismus zusammenhängen. „Diese Eigenständigkeit wurde vernachlässigt“ (Lieberam: Wendige Vergesslichkeit, Seite 28). Beide betonen immer wieder: Die Demokratiefrage ist nicht mit der Machtfrage identisch, auch wenn beide in einem vielschichtigen Verhältnis zueinanderstehen. Die Vernachlässigung der Demokratiefrage in diesem Sinn allerdings sei ein strategischer Fehler gewesen.
Lieberam: „Machtsicherung mit diktatorisch-administrativen Mitteln war eine notwendige Aufgabe des sozialistischen Staates besonders in den Anfangsjahren.“ Unter Dubcek 1968 und Gorbatschow nach 1986 wurde es politisch tödlich, „ohne ein Konzept sowohl zur Sicherung der politischen Macht als auch zur Vitalisierung der wirtschaftlichen Entwicklung eine allgemeine Demokratisierung zu verkünden. Weder Walter Ulbricht in den Jahren1963 ff. noch Deng Xiaoping 1978 ff. haben diesen Fehler gemacht.“
Vor diesem Hintergrund möchte ich einige Bemerkungen zum marxistischen Freiheits- und Demokratiebegriff machen und am Schluss einige Aufgaben für die DKP nennen.
Marxistischer Freiheitsbegriff
Den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus betrachteten die Denker des vorrevolutionären Bürgertums als Herstellung eines Reiches der Vernunft. Vor ihr sollten sich alle Autoritäten rechtfertigen – staatliche, religiöse, geistige. Hegel hat als Anhänger der Großen Französischen Revolution von 1789 das in die Worte gefasst, Geschichte sei „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ – nicht als Fortschritt realer Freiheit, „sondern dass es im Laufe der Geschichte fortschreitend zu Bewusstsein komme, dass alles Recht aus der Freiheit hervorgeht“. Und umgekehrt: Freiheit kann nach dem Grundgedanken seiner “Rechtsphilosophie” nur dort herrschen, wo es Recht gibt, und zwar gesetztes, schriftliches Recht. Denn wo kein Recht ist, so sein Argument, herrscht Willkür. Freiheit schließt für ihn Leibeigenschaft und Sklaverei aus. Freiheit gab es aus seiner Sicht weder in der Antike noch in seiner Gegenwart unter bürgerlichen Demokratien wie in England, den Vereinigten Staaten oder Frankreich nach der Revolution von 1789.
Marx und Engels knüpfen daran unmittelbar an: Nach Engels hat Hegel als erster das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit, von Freiheit und dem Zwang, eine Not zu wenden, “richtig dargestellt” (MEW 20, 106). Freiheit sei begriffene Notwendigkeit und insbesondere Freiheit des Willens bestehe in der “Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können”. Das ist, bezogen auf den einzelnen, der Kern des marxistischen Freiheitsbegriffs.
Wirkliche Freiheit, so Marx im „Kapital“ analog mit Bezug auf die jeweilige Gesellschaftsformation, besteht darin, “dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden.” (MEW 25, 828) Das “wahre Reich der Freiheit” liegt dann allerdings “jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion, blüht auf dieser als dem “Reich der Notwendigkeit” auf. “Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung” (ebenda 829).
Das schließt ein, die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Angehörigen einer Gesellschaft in die Lage versetzt werden, Sachkenntnis zu erwerben und auf dieser Grundlage mitzuentscheiden. Freiheit ist die auf Einsicht in die objektiven Gesetzmäßigkeiten von Natur und Gesellschaft gegründete gemeinschaftliche Herrschaft von Menschen über Natur und Gesellschaft. Geistige Freiheit ist die Fähigkeit, diese Gesetzmäßigkeiten so genau wie möglich widerzuspiegeln. Verzichtet eine marxistisch-leninistische Partei darauf, diese Gesetzmäßigkeiten zu erfassen, führt das zu subjektivistischen Entscheidungen. Die bürgerliche Gesellschaft ist stets auf Illusionen über Gesellschaft und damit über Freiheit und Demokratie angewiesen, auf die „heroischen“ ihrer revolutionären Phase, auf irrationale nach der bürgerlichen Revolution.
Bürgerlicher Freiheitsbegriff
Der einflussreichste Antipode des marxistischen Freiheitsbegriffs war John Stuart Mill (On liberty, 1859), den Marx und Engels selbstverständlich kannten. Alle Freiheitsbegriffe des Liberalismus leiten sich mehr oder weniger von Mill her, etwa die von Karl Raimund Popper ersonnene „offene Gesellschaft“, die von Hannah Arendt gegen den Sozialismus gerichtete Erfindung der „totalen Herrschaft“ oder die Auflösung aller sozialen Gegensätze, insbesondere des Klassenkampfes, in „Kommunikationsverhältnissen“ durch Jürgen Habermas. Das dürfte die albernste Apologie der bürgerlichen Demokratie sein, die gegenwärtig auf dem markt ist.
Nach Mill ist Freiheit kein philosophischer Begriff, sondern eine teils angeborene, teils erworbene menschliche Verhaltenseigenschaft. Damit die eigenen Antriebe ausgebildet werden können, ist “gesellschaftliche Freiheit” erforderlich, d. h. Die Freiheitsfrage reduziert sich auf die “Grenzen der Gewalt, die füglich die Gesellschaft über den einzelnen ausüben sollte”. Darin ist unschwer ein Reflex der Reduktion von Freiheit auf Gewerbefreiheit zu erkennen. Mill unterscheidet zwischen einer kontinentalen, demokratischen Freiheitsidee, auf Grund deren für bestimmte Maßnahmen die Zustimmung der Gesamtheit oder einer Mehrheit notwendig ist, und der liberalen Idee einer Beschränkung der politischen Macht, gegen die bei Übertretung Widerstand gerechtfertigt ist. Diese Konstruktion, die Freiheit auf die Sphäre der Politik als Gegensatz zu individuellen Rechten reduziert, ist bis heute erfolgreich – man sehe sich die Freiheitsvorstellungen von CDU/CSU, FDP, Teilen der Grünen oder die zentralen Probleme solcher Bewegungen wie der “Querdenker” an.
Einschränkungen der Grundrechte in imperialistischen Staaten müssen alle Alarmglocken läuten lassen, zumal in Zeiten offener Kriegsvorbereitung. Das entlässt uns aber nicht aus der Pflicht zur politischen Analyse. Wenn aber z. B. Der DKP-Landesvorstand Brandenburg in seiner Stellungnahme vom 22. Januar mit Bezug auf die staatlichen Pandemie-Verordnungen von „Maßnahmen der Herrschenden zur restlosen Zerstörung der letzten demokratischen Regelungen des Grundgesetzes“ schreibt, dann ist das aus meiner Sicht politisch falsch. In Wirklichkeit haben wir es tagtäglich mit einem äußerst sanften behördlichen Umgang mit Demonstrationen gegen die Pandemiemaßnahmen zu tun, verfolgt wird niemand. Und: Ausnahmezustand herrscht dann, wenn geschossen wird. Geschossen haben bisher meines Wissens nur Maskenverweigerer, unter denen sich zahlreiche Faschisten und Gewalttäter tummeln. Es gibt auch reaktionäre Massenrevolten, und diese ist es in großen Teilen. Das haben wir nach meiner Meinung zu benennen.
Und nebenbei: Der bürgerliche Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim hat 1993 die Verfassung der Bundesrepublik als „Demokratie ohne Volk“, das war sein Buchtitel, bezeichnet. Marxisten sollten darüber hinausgehen. Und: Wer sich einige Artikel zu Grund- und Bürgerrechten im Grundgesetz ansieht, wird feststellen, dass etwa ab Artikel 7 die klaren Bestimmungen des jeweils ersten Satzes durch zahlreiche hinzugefügte Absätze oft faktisch aufgehoben werden. Das Grundgesetz ist schon längst so löchrig wie ein Schweizer Käse.
Die liberale Freiheitsdefinition, die letztlich identisch ist mit der des Anarchismus im Sinne von Herrschaftslosigkeit, hatte stets Ausbeutung und Unterdrückung zur stillschweigenden Voraussetzung. Sie schlägt seit mehr als 150 Jahren im Imperialismus sehr rasch um in Sozialdarwinismus – Freiheit ist das Recht des Stärkeren – und vor allem: Sie schloss seit ihren Anfängen im 17. Jahrhundert Sklaverei und koloniale Ausrottung mit ein. Die extremsten Varianten wurden in den Vereinigten Staaten seit deren Unabhängigkeit entwickelt. Die Ideologie der „White Supremacy“ war Vorbild für den deutschen Faschismus: Freiheit ist demnach allein der siegreiche Wille zur Macht, der auf Sklaverei und Menschenvernichtung beruht. Das war Nietzsches Botschaft, es ist der Grundstein imperialistischer Ideologie bis hin zum Faschismus. Erste Voraussetzung bürgerlichen Freiheitsversprechens ist nicht nur das Verschweigen sozialer Ungleichheit, sondern von Anfang an der Einsatz brutalster Gewaltmittel nach innen gegen die Arbeiterklasse und nach außen gegen die kolonialisierten Völker. Ungleichheit muss erhalten bleiben, das ist die wirkliche Devise dieses Freiheitsbegriffs.
Aus meiner Sicht besteht unsere Pflicht als Kommunisten darin, die ökonomischen Interessen, die diese Ideologie hervorbringen, zu analysieren und zu bekämpfen.
Freiheit im Kapitalismus und Imperialismus
Ich möchte nur zwei Aspekte nennen, die sich aus der Existenz des doppelt freien Lohnarbeiters ergeben:
a) Im Sinne des marxistischen Freiheitsbegriffs sind soziale Ungleichheit und Unterdrückung sowie die daraus folgenden Bildungsschranken, Bildungsprivilegien und die Abwesenheit von Mitbestimmung das Gegenteil von Freiheit. Jahrhunderte lang hat der Kapitalismus der Arbeiterklasse Bildung vorenthalten. Es sei nur daran erinnert: Die Geschichte der Kindheit im Europa der Neuzeit ist eine Geschichte des millionenfachen Schuftens von kKleinauf für die Industrie. Kinder und Frauen waren in der Industriegeschichte die weißen Sklaven Europas. UNICEF schätzt, dass heute weltweit etwa 160 Millionen Kinder regelmäßiger ausbeuterischer Arbeit nachgehen. In der BRD war die Bildungsfrage stets eine Klassenfrage. Weil die DDR die Bildungsprivilegien abgeschafft hatte, gab man sich bis 1990 reformfreudig im Bildungswesen. Seitdem geht es auch dort um Privatisierung und damit Bildung als Privileg. Also erreichen seit Jahren 15 bis 25 Prozent aller Schüler laut den nationalen Bildungsberichten nicht die Grundkompetenzen in Lesen, Schreiben und Rechnen. Deutschland ist laut den OECD-Pisa-Berichten das Land unter den Industriestaaten, in denen die soziale Herkunft am stärksten über die Bildung entscheidet. Das alles bedeutet Unfreiheit.
b) Hinzu kommt: Im Imperialismus erreicht die Manipulation von Meinungen und Überzeugungen im Vergleich zum Kapitalismus der freien Konkurrenz eine neue Dimension. Seit etwa 1890 bilden sich mit jeder neuen Stufe der Technologie Presse- und Medienmonopole, die heute eine globale Stufe der Beherrschung von Denken und Emotionen erreicht haben. Sie setzen systematisch an die Stelle von Wissen, Bildung und Kultur Nebensächliches, politische Spaltendes und falsche Informationen. Imperialismus heißt im Zeitalter von GAFA, also Google, amazon, Facebook und Alphabet, faktische Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch Verhinderung, sich eine begründete Meinung überhaupt bilden zu können. Hilferding definierte Imperialismus richtig mit: Das Monopol strebt nicht nach Freiheit, sondern Herrschaft.
Die Vergesellschaftung der Medienkonzerne ist ein erstes Erfordernis des Kampfes um Meinungsfreiheit.
Zum Wesen des Imperialismus gehören soziale und politische Demagogie zur Spaltung und Lähmung der Arbeiterklasse. Dabei werden immer wieder progressive Begriffe aufgegriffen und mit einem reaktionären Inhalt versehen. Das gilt insbesondere für Krisen- und Kriegszeiten. Beispiele sind die “Vaterlandsverteidigung”, mit der die SPD 1914 den Ersten Weltkrieg rechtfertigte, aber auch die Behauptung der deutschen Faschisten 1933, sie seien die Träger einer “nationalen Revolution”. Die Naziführung unterband den Begriff “Revolution” sehr rasch. Die Totalitarismusdoktrin behauptete einen angeblichen Gegensatz von Unfreiheit im Sozialismus, der mit dem Faschismus gleichgesetzt wird, und Freiheit im Kapitalismus. Als die sozialistischen Länder 1975 die Schlussakte von Helsinki unterschrieben, war das einerseits Resultat ihrer Aufbauleistungen und das Erreichen des strategischen Gleichgewichts von Sowjetunion und USA. Andererseits öffneten sich damit dem Imperialismus die Möglichkeit, mit Hilfe sogenannter Dissidenten oder angeblich unabhängiger Oppositionsbewegungen systematisch die Konterrevolution unter Berufung auf die individuellen Menschenrechte voranzutreiben. Die Erfindung “humanitärer Missionen” im Jugoslawienkrieg war ein weiterer Musterfall solcher Demagogie.
Die heutige Kriegsvorbereitung stellt wie im Kalten Krieg die Welt als aufgeteilt zwischen friedlichen Demokratien und aggressiven Autokratien dar, ein Bild, das mit der Realität nichts zu tun hat.
Was ist Demokratie?
Demokratie ist eine Herrschaftsform und zugleich Triebkraft einer politischen Herrschaft von unten, der Volkssouveränität. Die bürgerliche Demokratie ist – wie das Recht – ein Kampfplatz der Klassen, sozialistische Demokratie die Herrschaft des Volkes unter Führung Arbeiterklasse und ihrer Partei.
Für Marx war die parlamentarische Demokratie diejenige Form der Bourgeoisherrschaft, worunter die verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie „gemeinsam herrschen konnten“. (MEW 8, Seiten 131 und 172). Sie ist als Herrschaftsform nach ihm geeignet, “ihre Herrschaft als den Willen des Volkes erscheinen zu lassen”. (MEW 8, 137) Sie hat die reale politische Wirkung, den „Gegensatz“ von „Kapital und Lohnarbeit“ nicht etwa „aufzuheben“, aber doch „abzuschwächen und in Harmonie zu verwandeln“. (MEW 8, 141) Die Bourgeoisie zwängt ihre Herrschaft mit der verfassungsrechtlich „proklamierten Demokratie“ in „demokratische Bedingungen, die jeden Augenblick den feindlichen Klassen zum Siege verhelfen, und die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft selbst in Frage stellen“. Geschieht dies tatsächlich, so gilt: Die Bourgeoisieherrschaft als „Ausfluss und Resultat des allgemeinen Volkswillens“ ist vorbei. Nunmehr wird die „Diktatur“ der Bourgeoisie „befestigt, … wider den Volkswillen“. (MEW 7, 43 und 93)
Anders gesagt: Marx und Engels sahen die bürgerliche Demokratie bei allen Beschränkungen als eine Errungenschaft, allerdings als stets gefährdet durch die Bourgeoisie. Lenin formuliert in „Staat und Revolution“ unter Bezug auf Engels: In der demokratischen Republik „übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sichrer aus, und zwar erstens durch die „direkte Beamtenkorruption“ (Amerika) und zweitens durch die „Allianz von Regierung und Börse“ (Frankreich und Amerika). Lenin fährt dann fort: „Heute haben Imperialismus und Herrschaft der Banken diese beiden Methoden, die Allmacht des Reichtums in jeder beliebigen demokratischen Republik zu behaupten und auszuüben, zu einer außergewöhnlichen Kunst ‚entwickelt‘.“ Und weiter: „Die Allmacht des ‚Reichtums‘ ist in der demokratischen Republik deshalb sicherer, weil sie nicht von einzelnen Mängeln des politischen Mechanismus, von einer schlechten politischen Hülle des Kapitalismus abhängig ist.“ Kein Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen noch der Parteien könne diese Macht erschüttern. (LW 25, S. 404/405)
Kommunisten und bürgerliche Demokratie
Die Auffassungen des Marxismus über das Verhältnis der Arbeiterklasse zur bürgerlichen Demokratie erhielten im Imperialismus, durch den Kampf gegen den Weltkrieg und gegen den Faschismus neue Akzente. Lenin wandte sich – ähnlich wie Rosa Luxemburg – insbesondere gegen die These Eduard Bernsteins es gebe einen ständigen Prozess der Demokratisierung im Kapitalismus, der schließlich in den Sozialismus führe. Bernsteins Idee wird heute vor allem von der Partei Die Linke weitergetragen, die von einer Demokratisierung des Kapitalismus träumt. Wer Regierungsbeteiligung mit Veränderung der Machtverhältnisse verwechselt, landet allerdings zwangsläufig im klassischen Revisionismus.
Lenin wies der Demokratie bzw. einer Demokratisierungsstrategie, die sich auch auf die Wirtschaft erstreckt, einen entscheidenden Platz im Kampf um eine andere Gesellschaft zu: „Entwicklung der Demokratie bis zu Ende, Auffinden der Formen einer solchen Befreiung, ihre Erprobung in der Praxis … Einfluss auch auf die Ökonomik“. (LW 25, 466) Und er ließ dabei keinen Zweifel an der Notwendigkeit eines politischen Bruchs mit dem Kapitalismus.
Die Konterrevolution 1918/19 in Deutschland und der Sieg des Faschismus in Italien 1922 bilden den Hintergrund für Gramscis Begriffe von Herrschaft als „mit Zwang gepanzerte Hegemonie“ und vom Staat, der ein „vorgeschobener Schützengraben, hinter dem eine robuste Kette von Befestigungswerken und Kasematten lag“ sei. In diesem Staat, wie er in Westeuropa existiere, werde ein „Stellungskrieg“ der Klassen um Einfluss und Macht geführt wird (Gramsci: Zur Politik, Geschichte und Kultur, Leipzig 1980, Seite 273).
Nach dem Zweiten Weltkrieg brach das Kolonialsystem zusammen – eine Fernwirkung von Oktoberrevolution und des Sieges über den Faschismus. Es entstanden zahlreiche national befreite Länder, die allerdings ökonomisch zum größten Teil in neokolonialer Abhängigkeit von den Kolonialmächten blieben. Eine parlamentarische Demokratie bildete sich in den wenigsten Ländern heraus, faktisch regiert zumeist eine vom Westen abhängige Kompradorenbourgeoisie.
Dennoch betrachteten die kommunistischen Parteien die national befreiten Länder als Partner im Kampf gegen den Imperialismus. Wir wissen heute, welcher Anstrengungen es bedurfte, bis die letzten großen Kolonien verschwanden, bis z. B. Die Apartheidgesetze in Südafrika aufgehoben wurden. Das war eine weltgeschichtliche Errungenschaft des Lagers der Demokratie, die letztlich durch den Sieg kubanischer und angolanischer Truppen über die Armee des Apartheidregimes zustande kam.
Kommunisten und bürgerliche Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg
Für Kommunisten war die bürgerliche Demokratie nach dem Sieg über den Faschismus in fast allen kapitalistischen Industriestaaten ein Kampfplatz, um die Macht der Arbeiterbewegung zu erhalten und auszubauen. Das ist in den wenigsten entwickelten kapitalistischen Ländern gelungen, vielmehr wurden fast überall die kommunistischen und linkssozialistischen Parteien marginalisiert. Die bürgerliche Demokratie wurde zur relativ konstanten “konservativen Lebensform” (Marx) kapitalistischer Gesellschaften. Die antifaschistischen Errungenschaften der ersten Nachkriegszeit wurden schrittweise beseitigt.
Auf der 3. Tagung des Parteivorstandes hat Patrik Köbele mehrere Phasen in diesem Prozess für die Bundesrepublik genannt. Ich fasse kurz zusammen:
Zunächst ging es von 1945 bis 1949/50 für das deutsche Monopolkapital in den Westzonen darum, gegen das verbreitete antimonopolistische Bewusstsein in der Bevölkerung die Restauration der Eigentums- und Machtverhältnisse durchzusetzen. Ein Beleg dafür ist das gerade 75 Jahre alt gewordene Ahlener Programm der CDU. Im beginnenden Kalten Krieg richteten sich die Attacken weniger gegen Sozialismus als gegen die Sowjetunion, die als „totalitär“, d. h. Als Variante des Faschismus, bezeichnet wurde.
In der zweiten Phase, nach er erfolgten Wiedererrichtung der deutschen Monopolherrschaft und der Integration in den Westen, richteten sich die Angriffe gegen FDJ und KPD, sollte die DDR isoliert und das innere konterrevolutionäre Potential vom Westen aus zu gewaltsamen Aufständen wie am 17. Juni 1953 in der DDR oder 1956 in Polen und Ungarn aktiviert werden.
Die dritte Phase setzte in den 60er Jahren ein, als sich nach der Grenzschließung vom 13. August 1961 die Verhältnisse in der DDR rasch stabilisierten und vor allem international die antikolonialen Bewegungen an Stärke gewannen. Gegenüber den sozialistischen Ländern ging man von der militärischen zur politisch-ideologischen Umarmungsstrategie über, im Innern wurden kosmetische Reformen vorgenommen. Stichwort: „Mehr Demokratie wagen“ von 1969
Der Pinochet-Putsch 1973 in Chile markierte den Beginn der vierten Phase, die oft „neoliberal“ genannt wird, in der Bundesrepublik mit der Kanzlerschaft Kohls 1982 sich voll durchsetzte und schließlich in den Konterrevolutionen in den sozialistischen Ländern Europas mündete. Damit entfiel ein wichtiger politischer und sozialer Faktor, der auf die Politik gegenüber der Arbeiterklasse Einfluss gehabt hatte. Nun konnten die Samthandschuhe ausgezogen werden. Eine Zeitlang konnte die Linkspartei Protest und Widerstand kanalisieren, diese Funktion erfüllt sie nicht mehr. Die vielfältigen Widersprüche und offenen Krisen der Gesellschaft führen nun „zu Protesten und Aufbegehren, die aber heute oftmals in irrationale oder gar nationalistische oder rassistische Richtungen gehen.“
Das ist ein Resultat der Monopolherrschaft der vergangenen 40 Jahre, in der sich der deutsche Imperialismus zur Führungsmacht in der EU entwickelt hat und fester Bestandteil des Versuchs ist, die imperialistische Vorherrschaft in der Welt in Konkurrenz und Kooperation mit den USA, Frankreich und Großbritannien zu erhalten. Es handelt sich nicht um einen Übergang zum Faschismus – der bleibt aber immer eine Option der herrschenden Klasse –, sondern um das, was wir „Reaktionärer Staatsumbau“ genannt haben. Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung haben nicht nur die Katastrophe im Gesundheitswesen offenbart, die vor 20 Jahren mit den Privatisierungen durch SPD und Grüne begann. Die Proteste dagegen sind eine ausgezeichnete Gelegenheit für den staatlichen Überwachungs- und Repressionsapparat, den Notstand zu proben und exakt zu erfassen, welche Teile der Bevölkerung sich in einer solchen Krisenlage staatstreu verhalten und welche sich als Fußtruppe für reaktionäre Umwandlungen im Staat eignen.
Aufgaben der DKP
Schwerpunkte unserer Arbeit leiten sich aus dem zuletzt Gesagten her.
a) Nicht ein Virus, sondern ein unter dem Diktat des Finanzkapitals ruiniertes Gesundheitswesen ist der Grund für Chaos, Widersprüche und Versagen. Der Zustand des deutschen Gesundheitswesens ist ein Fallbeispiel dafür, dass dort, wo das Profitprinzip auch das Parlament und die Regierung lenken, die Demokratie auf der Strecke bleibt. Der Umbau des Gesundheitswesens fand ohne jede Beteiligung von Beschäftigten, Wissenschaftlern oder der Bevölkerung statt. Das Resultat spricht für sich gerade im Vergleich zu Staaten wie Kuba, Vietnam oder China, die im Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt weit hinter der Bundesrepublik zurückliegen.
b) Bereits kurz nach Beginn der Pandemie wurde das Demonstrationsrecht unverhältnismäßig eingeschränkt, wurde versucht, die Kundgebungen zum 1. Mai 2020 zu verhindern. Jetzt schafft der Verfassungsschutz ein neues „Delikt“, die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Darunter fällt vermutlich auch die marxistische Staatstheorie. Das reiht sich ein in den Versuch, die DKP auf kaltem Wege zu verbieten, aber auch in dem 280-Seiten-Schriftsatz, den das Bundesinnenministerium im Klageverfahren der „jungen Welt“ gegen ihre Erwähnung im Verfassungsschutzbericht eingereicht hat. Die Primitivität der Argumentation ist seit dem Kölner Kommunistenprozess vor 170 Jahren gleichgeblieben, die Entschlossenheit der Reaktion auch. Auch diese Machenschaften müssen immer wieder an die Öffentlichkeit.
c) Wie gehen wir mit den Protesten und Demonstrationen gegen die Pandemiemaßnahmen um? Sie widerspiegeln, in welche geringem Maß in der Bevölkerung und auch in der Arbeiterklasse Wissen über die realen Macht- und Klassenverhältnisse vorhanden ist. Nicht die wirklichen Urheber und Profiteure der Situation werden kritisiert, sondern die angeblich komplette Beseitigung von Grundrechten. Das ist eine Verzerrung der Realität und zeigt nur, in welchem Maß die flachsten bürgerlichen Vorstellungen von Demokratie und Freiheit im Massenbewusstsein verankert sind.
Aufklärerische, nicht demagogische Agitation oder Propaganda hat es schwer angesichts einer hohen Emotionalisierung, die vor allem mit Hilfe der „Sozialen Medien“ gefördert wird. Ich sehe nicht, wie man mit Leuten die gegen ein angebliches Demonstrations- und Versammlungsverbot ohne Furcht vor staatlicher Gewalt in beachtlicher Zahl demonstrieren, reden soll. Für eine Verbesserung der Lage der Beschäftigten in den Krankenhäusern scheinen sie nicht einzutreten. Für Nazis, die solche Demonstrationen zum großen Teil orchestrieren, lohnen sich Argumente noch weniger. Hier geht es vor allem um Gegenaktionen, um Solidarität mit dem Pflegepersonal, um die offensive Verbreitung der These: „Gesundheit ist keine Ware“ und darum aufzuzeigen, dass das Profitprinzip antidemokratisch ist und mit antidemokratischen Mitteln im Gesundheitswesen in den vergangenen 20 Jahren durchgesetzt wurde.
Ob die Demonstrationen noch lange andauern, steht sehr in Frage. Was aber bleiben wird, ist das ruinierte Gesundheitswesen. Das ist unser Thema.
d) Richtig war es, zum 50. Jahrestag des „Radikalenerlasses“ an die Berufsverbotspolitik der Bundesrepublik zu erinnern. Die Politik der Berufsverbote hat mit Rechtsstaat und Demokratie nichts zu tun, sie zerstört beides. Bei diesem Thema melden sich auch liberale Juristen und Journalisten zu Wort wie Heribert Prantl, der von einem „Hexenjagdjubiläum“ schrieb oder Hermann Abmayr mit seiner ARD-Dokumentation. Wir sollten dafür sorgen, dass dieses Thema kontinuierlich in der Öffentlichkeit behandelt wird.
e) Vergessen wir nicht, dass es in Berlin am 26. September 2021 mehr als eine Million Stimmen für den Volksentscheid “Deutsche Wohnen und Co. enteignen” gegeben hat. Die Stimmung in anderen Großstädten soll nach Umfragen ähnlich sein. Der neue Berliner Senat versucht alles, um das Votum ins Leere laufen zu lassen. Hier ist ein Musterfall dafür, wie ernst die Herrschenden ihre Demokratie nehmen.
Gegen den reaktionären Staatsumbau benötigen wir eine langfristige Strategie.
Selbst die stark geschwächte parlamentarische Demokratie wird offenbar mit den Interessen des Finanzkapitals unvereinbar. Die Entwicklung in den USA, in denen sich Trump oder eine ähnliche Figur auf die nächste Präsidentschaft vorbereiten, ist eine Warnung für die übrige Welt. Wie stets im Imperialismus gehen Kriegsvorbereitung und Demokratieabbau Hand in Hand. Und damit sind wir wieder bei Max Reimann: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“