Freie Fahrt für nukleares Wettrüsten?

Beate Landefeld zur Kündigung des INF-Vertrages durch die USA

Beate Landefeld

Beate Landefeld

Der INF-Vertrag von 1987 zwischen den USA und der UdSSR verbietet landgestützte atomare Mittelstrecken-Raketensysteme der Reichweiten 500 bis 5 500 km. Er stoppte in den 1980er Jahren die sogenannte „Nachrüstung“, mit der die US-Militärstrategie die Zweitschlagfähigkeit der UdSSR aushebeln und einen Atomkrieg auf europäischem Boden führbar machen wollte. Dagegen entstand eine breite Friedensbewegung, die den INF-Vertrag als ihren Erfolg ansah. Die Anstrengungen der USA, ihre Atomstreitkräfte zu befähigen, einen präemptiven (vorbeugenden) Erstschlag gegen Russland zu führen, gingen auch nach dem Zerfall der UdSSR und des Warschauer Pakts weiter. Die seit Jahrzehnten vorangetriebene US-Raketenabwehr in Europa, die an Pläne Reagans anknüpfte, ist Teil der atomaren Offensivstrategie.

2001 kündigte US-Präsident Bush den 1972 zwischen den USA und der UdSSR vereinbarten ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen. Bush wollte die Installierung solcher Systeme in Polen und Tschechien, angeblich gegen Bedrohungen aus dem Irak, dem Iran oder Nordkorea. Seit dem Maidan-Putsch hielt sein Nachfolger Obama es für überflüssig, zu leugnen, dass die Raketenabwehr real gegen Russland und China gerichtet ist. Statt in Tschechien, wo die Pläne auf Widerstand der Bevölkerung trafen, wurde ein erstes System 2016 in Rumänien installiert. Polen soll 2020 folgen. 2018 stiegen die USA aus dem Iran-Atomabkommen aus. 2020 endet das START-Abkommen zur Begrenzung interkontinentaler Atomraketen. Die Kündigung des INF-Vertrags ist Teil eines umfassenderen Ausstiegs der USA aus der atomaren Rüstungskontrolle.

Die russische Regierung wirft den USA schon lange vor, den INF-Vertrag zu verletzen, da die in Rumänien und Polen vorgesehenen Raketenabwehrsysteme nicht nur mit Abfangraketen, sondern auch mit kernwaffentragenden Marschflugkörpern bestückt werden können. Die USA werfen wiederum Russland vor, landgestützte Iskander-Raketen in Kaliningrad stationiert zu haben, deren Reichweite im Mittelstreckenbereich liege. Russland sagt, es handele sich um Kurzstreckenraketen. Die gegenseitigen Vorwürfe ließen sich durch eine Wiederbelebung des INF-Verifikationsregimes leicht überprüfen, wenn der politische Wille dazu vorhanden wäre.

Das ist bei den USA nicht der Fall. Schon 2014, lange vor Trump, verkündete John Bolton im „Wall Street Journal“, das INF-Abkommen sei nach dem Kalten Krieg „obsolet“. Die Aufrechterhaltung der internationalen Sicherheit erfordere den Zugang der USA zum vollen Spektrum konventioneller und nuklearer Optionen, auch, weil China, der Iran und Nordkorea an den INF-Vertrag nicht gebunden seien. Er empfahl den Republikanern eine Kampagne für die Wiedererlangung der amerikanischen Überlegenheit (superiority) im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfs. Unterstellungen einer Vertragsverletzung durch Moskau enthielt sein Beitrag auch. Er sah sie als willkommene Gelegenheit, das Abkommen loszuwerden.

Neun frühere SPD-Vorsitzende warnen mit einem Aufruf „Kein neues atomares Wettrüsten in Europa – Für einen neuen Anlauf zur Rüstungskontrolle und Abrüstung!“. Sie fordern, „auch in Zukunft landgestützte atomare Mittelstreckenraketen in Europa zu verbieten“. Deutschland und Europa müssten die starke Stimme werden, die heute fehle, „die das scheinbar Utopische – Abrüstung und gemeinsame Sicherheit, statt Aufrüstung, Abgrenzung und Feindschaft – wieder ins Reale zurückholen will“. Polens Staatspräsident Duda zeigte dagegen Verständnis für die Kündigung des INF-Vertrags durch die USA. Sprecher der Bundesregierung halten sich streng an die Sprachregelungen der NATO. So entsteht keine starke Stimme für den Frieden. Dennoch verdienen in der SPD auflebende Abrüstungsbestrebungen Aufmerksamkeit. Sie helfen, die Gewerkschaften stärker in die Friedensbewegung einzubeziehen.

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"Freie Fahrt für nukleares Wettrüsten?", UZ vom 11. Januar 2019



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