Abschaffung des Paragrafen 219a wäre nur ein erster Schritt

Frauen kämpfen um Selbstbestimmung

Am 1. Juni gibt es im ganzen Land Aktionen gegen das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Die Aktion „Aufschrei Global / Global Scream“ solidarisiert sich mit den Protesten in den USA, wo das Recht auf einen sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch abgeschafft werden soll.

In Deutschland gilt das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, geregelt in Paragraf 218, seit 150 Jahren. Immerhin soll nun der Paragraf 219a, der das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche regelt, abgeschafft werden. In diesem Paragrafen heißt es, dass alle Menschen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten oder Informationen dazu veröffentlichen, mit einer Freiheitsstrafe von „bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ werden. Laut dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen auch Urteile, die aufgrund dieser Norm erlassen wurden, aufgehoben werden.

Das Bundeskabinett hatte den Gesetzentwurf zur Streichung des Paragrafen am 9. März beschlossen. Am 13. Mai beriet der Bundestag erstmals über den Entwurf. Am 18. Mai folgte die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss. Von der Mehrheit der Sachverständigen wird die Abschaffung der Strafbarkeit von Werbung für Abbrüche unterstützt.

Ins Rollen gebracht hat die zum Teil heftig geführte Debatte die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die für die Werbung von Schwangerschaftsabbrüchen verurteilt worden war. Für sie gibt es keinen guten Grund, Frauen, die von ungewollter Schwangerschaft betroffen sind, Informationen vorzuenthalten. Der abzuschaffende Paragraf 219a des Strafgesetzbuches sei eine der Ursachen für die immer schlechter werdende Versorgungslage beim Schwangerschaftsabbruch, so die Ärztin. Sie hatte gegen den Paragrafen und gegen ihre Verurteilung Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Der Paragraf erschwert sowohl den ungehinderten Zugang zu fachlichen Informationen wie Aufklärung über Methodik und Risiken als auch das Auffinden geeigneter Ärztinnen oder Ärzte, die einen Abbruch fachgerecht durchführen. „Unsachliche oder gar anpreisende Werbung“ soll aber auch künftig verboten bleiben. Das will die Regierung über das Heilmittelwerbegesetz regeln.

Die Unionsfraktion lehnt die von der Bundesregierung geplante Streichung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche ab. Stattdessen soll der Paragraf 219a nur modifiziert werden. Die grundsätzliche Beibehaltung des Paragrafen sei „zum Schutz des ungeborenen Lebens geboten“. Die Norm solle „vor allem einer Kommerzialisierung und gesellschaftlichen Normalisierung des Schwangerschaftsabbruchs entgegenwirken“. Dorothee Bär (CSU), stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion, zeigte sich gar „schockiert“. Das sei nicht der „Geist, den diese Debatte atmen sollte“, sagte sie und warf der Regierung vor, das ungeborene Kind zu missachten, wenn es als „Zellhaufen“ bezeichnet oder die Abtreibung als Eingriff wie jeder andere behandelt würde. Solche Äußerungen ähneln denen der religiösen Fundamentalisten, die mit ihrem rückständigen, gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen gerichteten Weltbild oft Schwangere belästigen, wenn sie bei Beratungsstellen Hilfe suchen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. Der wichtigere Schritt ist allerdings die vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, also die Abschaffung des Paragraf 218. Denn sonst bleibt der Abbruch einer Schwangerschaft nach wie vor eine Straftat. Um die vielen Versorgungslücken zu schließen, braucht es den Ausbau von Beratungsmöglichkeiten sowie ein flächendeckendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs. Die Aufnahme von Schwangerschaftsabbrüchen als fester Bestandteil der Ausbildung von Medizinerinnen und Medizinern ist ein notwendiger Schritt, um die Versorgungslage zu verbessern, ebenso die Verpflichtung staatlicher Krankenhäuser, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche müssen durch die gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.

So alt wie diese beiden Paragrafen – so alt ist auch der Kampf gegen sie. Die Frauenbewegung wird sich mit diesem kleinen Erfolg nicht zufrieden geben. Der Kampf wird weitergehen, bis die Entkriminalisierung und eine bessere Versorgungslage erreicht ist – zunächst am 1. Juni beim „Aufschrei Global“.

Zahlen – Daten – Fakten
Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Abtreibungen in den vergangenen 25 Jahren deutlich gesunken: Von 130.899 im Jahr 1996 auf 94.596 im Jahr 2021. Während damals 66 von 10.000 Frauen eine Schwangerschaft abbrachen, waren es zuletzt 56. In den vergangenen zehn Jahren sank die Quote der Abtreibungen bei den unter 30-Jährigen deutlich. Etwa ein Drittel der Schwangerschaften in Deutschland ist unbeabsichtigt, ein knappes Sechstel explizit ungewollt. Das hat eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2016 ergeben. Von den ungewollten Schwangerschaften werden knapp 44 Prozent abgebrochen – also mehr als die Hälfte werden trotzdem ausgetragen. Laut der Studie treiben gut 8 Prozent der Frauen im Laufe ihres Lebens (mindestens) einmal ab. Am höchsten ist die Abtreibungsquote bei den 25- bis 29-Jährigen, gefolgt von den 30- bis 34-Jährigen.

2105 Sensenfrau - Frauen kämpfen um Selbstbestimmung - Abtreibungsrecht - Politik
(Foto: Christa Hourani)

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"Frauen kämpfen um Selbstbestimmung", UZ vom 27. Mai 2022



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