Dania Alasti „Frauen in der Novemberrevolution“, Unrast Verlag 2018, broschiert, 130 Seiten, 12,80 Euro
Während des ersten Weltkrieges fanden massenhaft Streiks, Demonstrationen und Kundgebungen von Frauen, besonders von Fabrikarbeiterinnen und Hausangestellten, statt. Ihre Forderungen nach Beendigung des Krieges, gegen Hunger und miserable Arbeitsbedingungen wurden oft getragen von unorganisierten Gruppen, die keine parteiliche, gewerkschaftliche oder frauenvereinsrechtliche Anbindung hatten. Verständlich, da fast alle politischen und sozialen Organisationen dem Burgfrieden, dem Krieg und der „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ zugestimmt hatten.
Dania Alasti ist Doktorandin der Philosophie an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind den Begriffen „Gewalt, Recht und Freiheit“ zuzuordnen, aktuell beschäftigt sie sich mit dem „Willen zum Nein“, der sexuellen Gewalt und der ungenügenden Rechtsprechung zu diesen Themen. Die hier in Auszügen vorgestellte Arbeit ist entstanden aus ihrer Beschäftigung mit der politischen und sozialen Lage in Deutschland, die im Zuge der Novemberrevolution 1918/1919 auch das allgemeine aktive und passive Wahlrecht von Frauen durchsetzte. Wir danken dem Unrast-Verlag für die freundliche Abdruckgenehmigung.
In den Räten waren nach aktuellem Kenntnisstand über einzelne, bereits lange politisch tätige Frauen hinaus nicht viele Frauen vertreten. Auf dem ersten Reichsrätekongress in Berlin vom 16. bis zum 20. Dezember 1918 waren unter 496 Delegierten zwei Frauen. Käthe Leu von der USPD aus Danzig kam als einzige Frau zu Wort und adressierte ihre Rede an „Parteigenossin und Parteigenossen!“. Ihre Adressatin war Klara Noack von der MSPD aus Dresden. Auf dem zweiten Reichsrätekongress waren keine Frauen mehr vertreten. Das größte Problem der Rätebewegung lag darin, dass in vielen Fällen nur die in der Produktion Tätigen in den Betrieben in die Arbeiterräte gewählt werden konnten. Gleichzeitig beteiligten sich auch Räte daran, Frauen von den Arbeitsplätzen zu verdrängen.
In manchen Räten wurden „geistige Arbeit“ und Stellungslose berücksichtigt, aber Hausfrauen und Hausangestellte tauchten in den Räten kaum auf. Eine Ausnahme auf einer organisatorischen Ebene war der Hausfrauenrat in Jena, der Ende November 1918 von Gertrud Morgner, der 2. Vorsitzenden des Arbeiter-und-Soldaten-Rats gegründet wurde. Nachdem dieser auch von Gewerkschaftsführern anerkannt wurde, erhielt er Sitz und Stimme im örtlichen Gewerkschaftskartell. Tätigkeiten des Hausfrauenrats sind bis 1920 dokumentiert. Es gab einen Lebensmittelausschuss, eine Preisprüfungskommission und die Organisation von Hausfrauenversammlungen, an denen zum Teil etwa 1 000 Frauen teilnahmen. Bekannt sind die Namen von Amalie und Marie Harzer, Frau Glauß und Frau Weinrich.
Nichtsdestotrotz fehlte eine allgemeine Organisation, die den von den Industriearbeitsplätzen verdrängten Frauen erlaubte, an der Rätepolitik teilzunehmen. Anfang 1919 schrieb Clara Zetkin den Artikel „Frauen für die Räte, Frauen in die Räte!“. Hatte sie grundsätzlich die Haltung an den Tag gelegt, Frauen würden sich erst durch eine sozialistische Revolution emanzipieren können, in der sie die Rolle der kämpfenden Fabrikarbeiterinnen einnehmen, schien sie ihre Perspektive nach der Revolution zu verbreitern. Die Arbeit der Hausfrauen bewertete sie als gesellschaftlich notwendig.
Nur Hausfrau und Mutter?
Wie aber steht es mit den vielen Millionen des werktätigen Volks, die nur Hausfrauen, Mütter sind? Freilich: im Sinne der bürgerlichen, der kapitalistischen Ökonomen sind sie nicht produktiv tätig, denn sie erzeugen mit allen ihren Sorgen und Mühen keinen Mehrwert, den Kapitalisten einstreichen können. Aber sie verrichten unstreitig gesellschaftlich nötige und nützlichere Arbeit als die Proletarier eines Betriebes, in dem zur Befriedigung der Modelaune reicher Müßiggänger irgendwelche greulichen Uhrkettenanhängsel fabriziert werden.
Um Hausfrauen und Mütter systematisch in das Rätesystem zu integrieren, machte sie zwei Vorschläge. Ein Vorschlag lautete: Man könnte die nichterwerbstätigen Frauen als eine besondere Wählergruppe orts- und bezirksweise zusammenfassen und ihnen eine Zahl von Vertreterinnen in den Räten zuerkennen, die ihrem numerischen Verhältnis zu den berufstätigen Frauen und Männern entspricht. Diese Wählergruppe hätte ihre Vertretung in einem eigenen, selbstständigen Wahlgang zu küren.Sie empfahl jedoch, die wahlberechtigten Hausfrauen und Mütter (bürgerliche Frauen waren ausgeschlossen) den Betrieben und Berufsgruppen der Ehemänner zuzuordnen, wo die Kandidatenaufstellung und Wahl gemeinsam erfolgen sollte.
Ein weiterer Vorschlag wurde von der Revolutionärin und USPD-Politikerin Toni Sender aus Frankfurt am Main gemacht. Auf der Leipziger Frauenkonferenz am 29. November 1919 hielt sie die Rede „Die Frauen und das Rätesystem“. Zwar waren alle räterepublikanischen Versuche bereits niedergeschlagen, aber allem Anschein nach erwartete sie einen weiteren revolutionären Verlauf. „Darum haben wir die Pflicht, uns vorzubereiten, damit der zweite Wellenschlag der Revolution uns nicht ebenso unvorbereitet finde wie es in jenen Novembertagen der Fall war.“
An Zetkins bevorzugtem Vorschlag kritisierte sie, dass er Frauen über Ehemänner definiere und damit alleinstehende Frauen und Witwen ausschließe. Dadurch seien nicht alle repräsentiert und eine Entwicklung zur Selbstständigkeit eher gehemmt.
[Es] würde dies den Frauen zu wenig Sinn für Selbstständigkeit anerziehen, wenn sie nur als die Anverwandten der männlichen Erwerbstätigen mit zur Wahl zugelassen würden. Dieses Loslösen vom engen häuslichen Rahmen und das Selbstständigwerden soll aber gerade erzielt werden. Für Berufstätige in Büros und Betrieben sei die Erfassung in den Betriebsräten ohne organisatorische Probleme möglich. „Aber grundsätzlich müsste darum sein, dass die Frauen im Betriebsrat ihre Vertretung zum mindesten prozentual auf Grund der Anzahl der Beschäftigten erhalten müssen.“ Auch betonte sie, dass die Ermöglichung der Beteiligung von Heimarbeiterinnen und Hausangestellten weiter ausgebaut werden müsse. Etwas schwieriger ist allerdings schon die Lösung des Problems: Wie erfasst man die proletarischen Hausfrauen im Rätesystem? Bekanntlich können das Wahlrecht zu den Räten nur solche Personen bekommen, die produktive, gesellschaftlich nützliche Arbeit leisten. Wenn nun zwar auch Hausfrauen nach kapitalistischen Begriffen insofern keine produktive Arbeit leisten, weil sie keinen Mehrwert erzeugen, so erkennen wir als Sozialistinnen selbstverständlich ihre Tätigkeit auch im Haushalt als produktiv an.Deswegen solle ein Wahlverband proletarischer Hausfrauen geschaffen werden. Vor der Wahl zu Hausfrauenräten sollten sich die Mitglieder des Wahlverbandes kennenlernen und über ihre Ziele austauschen. Für Toni Sender war dies nur eine Zwischenlösung. Als Lösung für die Doppelbelastung von Frauen in Lohn- und Versorgungsarbeit schwebte ihr vor, dass Frauen die Kindererziehung gemeinschaftlich organisieren würden. Die Frauenbewegung der 70er setzte dies in der Kinderladenbewegung um. Die Problematik der Einzelhaushalte stand Sender deutlich vor Augen. „Ist es denn wirklich so ideal, dass jede einzelne Proletarierin sich so unendlich abplagen muss in ihrem Einzelhaushalt, oftmals erst nach vollbrachter Berufsarbeit des Abends müde heimkehrend auch dann noch nicht Mensch, sondern nur Arbeitstier sein darf?“
Die Sozialisierung der Erziehung und der Haushalte sah sie verbunden mit einem Schwinden des „Hausfrauenberufs“. Auch Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg hatten Vorschläge für eine Sozialisierung der Haushalte gemacht. Sie zogen Verbindungen zwischen der Lage der Hausangestellten und der von „allen Frauen der unteren Schichten, die den Haushalt führen und ihre Männer und Kinder ‚bedienen‘.“
In dem Artikel „Zur Lösung der Frage der Dienstboten“ schrieb Lida Gustava Heymann, dass es unter der Würde des Menschen sei, andere zu bedienen. Dafür müsse der ganze Mechanismus der Haushalte geändert werden. Sie forderte „Zentralhaushaltungen“ mit vielen Familienwohnungen. Bestimmte Funktionen wie Essen, Heizen oder das Waschen der Wäsche sollten zentral geregelt sein. Erstaunlicherweise schlug sie vor, dass diese Arbeiten von ehemaligen Dienstbotinnen verrichtetet werden sollten, bei geregelter Arbeitszeit und guter Bezahlung, Dienstboten, die sich fortan weigern würden, in Einzelhaushaltungen zu „dienen“. An die Zentralhaushaltungen angeschlossen werden sollten Krippen, Kindergärten und Horte. Emphatisch schloss sie den Artikel: „Der kapitalistische Staat hat abgewirtschaftet, wir gehen mit Riesenschritten der Sozialisierung entgegen.“ Leider erfolgte dies in keinerlei Hinsicht. Die Wirtschaft wurde nicht sozialisiert. Und unter den Befürwortern der Sozialisierung gab es nur wenige, die bereit waren, die Privilegien aufzugeben, die ihnen der Stand als Ehemann und Familienvater gab.
Ein wesentliches Problem dieser Vorschläge war, dass die im Haus arbeitenden Frauen ihre Ziele nicht selbst artikulierten. Es gibt Grund zur Vermutung, dass eine Sozialisierung der Haushalte nach den Erlebnissen des Ersten Weltkrieges negative Assoziationen geweckt haben könnte. So wurden zum Ende des Krieges Massenspeisungen eingerichtet, die sowohl mit Schamgefühlen über Armut und Bedürftigkeit besetzt als auch unrentabel waren. In einer Eingabe rechneten Hausfrauen des 10. Stadtbezirks Münchens dem Magistrat der Stadt genau aus, dass die Massenspeisungen für Hausfrauen nicht billiger, sondern teurer waren. Auch andere Kommunen mussten die Erfahrung machen, dass in den Privathaushalten besser gewirtschaftet wurde als in den Massenspeisungen. Zudem kam hinzu, dass Sozialpolitik mit der Erfahrung der Einmischung staatlicher Behörden verbunden war. Statt den Hausfrauenberuf abzuschaffen, wäre es erst einmal interessant gewesen, die wirtschaftenden Frauen zu ihren Erfahrungen aus der Kriegswirtschaft zu befragen. Eine solche politische Aufbereitung oder Reflexion der Ernährungswirtschaft wurde jedoch nicht in größerem Maßstab unternommen. Auch wenn die Absichten zweifellos gut waren, zeigt sich in den Vorschlägen eine Unverbundenheit der politischen Frauen mit den Frauen, die in der Sphäre des Privaten verblieben waren. Nichtsdestotrotz waren die Forderungen nach Anerkennung der Versorgungsarbeit nicht nur ein Versuch, die Rätestruktur Frauen zugänglich zu machen, sondern auch Artikulation des Problems, das hinter den verschiedenen Forderungen nach Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen und der Vereinbarkeit beider Faktoren mit der Versorgungsarbeit stand.
Momente des Scheiterns der Organisierung
Am 7. März 1919 beantragten Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg auf dem bayerischen Rätekongress „Ausbau und Ergänzung des Rätesystems durch Errichtung von Frauenräten“. Augspurg legte dar, dass nur wenige Frauen in den Räten mitarbeiten würden, dass ihre Mitarbeit aber auch nicht zu entbehren sei. Als Gründe führten sie an, durch Aufklärung und Politisierung der Propaganda der Reaktion insbesondere auf dem Land entgegenwirken zu wollen. Dies war im Interesse der Männer formuliert, da die konservative Hegemonie in den ländlichen Gebieten Bayerns sehr stark war. Besonders der Mangel der Frauen in den Bauernräten sei auffällig, da viele Frauen auf dem Land arbeiteten. Deswegen schlug sie vor, Frauenräte zur politischen Entwicklung von Frauen zu bilden. „Wir brauchen Frauenräte, um die ganze häusliche Atmosphäre mit Interesse an den politischen Aufgaben zu erfüllen, sie sollen nur aus Frauen gebildet werden und Frauen sollen die Leitung in Händen haben. Diese Frauenräte werden eine vorübergehende Erscheinung von vielleicht 5, 10 Jahren sein, danach werden die deutschen Frauen derart politisch interessiert und gebildet sein, um in den Arbeiter-und-Bauern-Räten selbstständig mitzuarbeiten. Die Frauenräte müssen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhen und sich aufbauen auf Bezirks-, Kreisräten bis zum Zentralrat und Aktionsausschuss.“
Sie sollten nur zeitlich begrenzt existieren, um die Organisationsfähigkeit, die Männer durch politisches Leben über Jahrzehnte, in gewisser Weise Jahrhunderte, hinweg entwickelt hatten, nachzuholen. Der Antrag wurde auf eine Weise abgelehnt, die eine Karikatur politischer Debatte im Allgemeinen und chauvinistischen Verhaltens im Besonderen ist. Erst wurde darüber abgestimmt, ob die Debatte weitergeführt oder beendet werden sollte. Letzteres wurde beschlossen, weil andere anderes besprechen wollten. Dann wurde einem gewissen Herrn Niekisch das letzte Wort vor der Abstimmung über den Antrag erteilt. Niekisch meinte, dass es für eine Entscheidung notwendig sei, dass es schon einen ausgearbeiteten Plan gebe.
Anita Augspurg wurde gefragt, ob sie mit diesem Punkt einverstanden sei. Sie lehnte durch heftige Zurufe ab. Die Möglichkeit einer Gegenrede wurde ihr trotzdem nicht eingeräumt. Bei der Abstimmung wurde der Antrag abgelehnt. Am letzten Tag des Rätekongresses kommentierte der Anarchist Erich Mühsam dieses Verhalten folgendermaßen: „Vorerst wird hier nicht so gehandelt, wie Räte, wie Vertreter eines neuen Revolutionsprinzips in der Revolution zu handeln haben, sondern wenn ein Antrag von der rechten Seite begründet wird, so wird er angenommen. Ein schlagendes Beispiel für das, was ich ihnen sage, ist die Ablehnung des Antrags „Augspurg“, die Sie sich gestern geleistet haben, eines Antrags, der Sie zu nichts verpflichtet hätte, der das Selbstverständlichste der Welt bedeutet hat, nämlich einfach die Gleichberechtigung der Frauen … Sie haben ihn abgelehnt und ich sage Ihnen ganz offen, Sie haben ihn deswegen abgelehnt, weil Genosse Niekisch formale Bedenken dagegen hatte. Sie haben einfach gesagt: Niekisch spricht dagegen, infolgedessen wird der Antrag abgelehnt.“
Dabei hatte Anita Augspurg vollkommen recht damit, dass politische Tätigkeit eine Entwicklung benötigt. Es war nämlich nicht selbstverständlich, dass sich Frauen überhaupt der Atmosphäre politischer Debatten aussetzten. Am 21. November 1918 wollte die kommunistische Revolutionärin Hilde Kramer bei einem Treffen im Franziskanerbräu in München über die Möglichkeit der Zusammenarbeit der anarchistischen, sozialistischen und kommunistischen Bewegungen eine Gegenrede zu Josef Sontheimer halten. In ihren Erinnerungen hielt sie fest, dass es das erste Mal war, dass sie öffentlich reden wollte. Auf dem Weg zum Podium kamen ihr Zweifel. „Aber je näher ich kam […] desto langsamer wurden meine Schritte. Ich sah mir die Menschen an, die an den Tischen saßen: größtenteils ältere Arbeiter mit ihren Frauen, die so viel mehr vom Leben wussten als ich. Es stand mir einfach nicht zu, sie zu belehren. Ich kam mir plötzlich so klein und unbedeutend vor, dass es mir gänzlich unmöglich gewesen wäre, die entrüstete Rede, die ich auf der Zunge hatte, zu halten. So kehrte ich denn langsam zu meinem Tisch zurück, ohne ein Wort zu sagen, aber dieses Erlebnis hat mir einen tiefen Schreck gegeben. Seitdem habe ich es nie gewagt, öffentlich oder überhaupt in einem großen Kreis zu reden.“