Verschachert werden Flüchtlinge, Kurden, die Rechte der Türken und ihres Parlaments

Frau Merkels Deal mit Erdogan

Von Olaf Matthes

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Am vergangenen Montag hat sie in Istanbul den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen. Am Freitag zuvor hatte das türkische Parlament die Immunität eines Viertels seiner Abgeordneten aufgehoben. Die meisten der kriminalisierten Parlamentarier kommen von der prokurdischen HDP. Der Vorwurf gegen die meisten von ihnen: Unterstützung der „Terrororganisation“ PKK.

Während Erdogan nicht einmal vorgibt, die formalen Spielregeln der bürgerlichen Demokratie einzuhalten, erklärte Merkel, warum sie das Gespräch mit dem türkischen Staatschef suche: Deutschland sei zwar – trotz Flüchtlingsdeal – nicht einseitig abhängig von der Türkei. Es gebe aber „wechselseitige Abhängigkeiten“. „Sie können es auch einfach die Notwendigkeit zum Interessenausgleich nennen“, so Merkel im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Das Interesse Merkels ist: Sie will die EU gegen Flüchtlinge abschotten, das eigene Image als Willkommenskanzlerin erhalten und andere die Drecksarbeit machen lassen. Erdogan will die Macht des AKP-Regimes sichern und sich selbst zum mächtigen Präsidenten krönen lassen. Er soll der EU den Türsteher machen. Die EU zahlt dafür sechs Milliarden Euro. Merkel gibt ihre politische Unterstützung für Erdogan dazu.

Das Gespür für den richtigen Zeitpunkt hatte Merkel schon mit ihrem Türkei-Besuch im vergangenen Oktober gezeigt – unmittelbar vor den Wahlen in der Türkei. Ihr Besuch erlaubte Erdogan, sich als international anerkannten Staatsmann darzustellen. Erdogan wiederum führte seinen Wahlkampf nicht nur, indem er Merkel die Hand schüttelte. Nachdem im Mai die demokratische und prokurdische Partei HDP ins Parlament eingezogen war, ließ er die Sondereinheiten der Polizei in kurdische Städte einmarschieren. Seitdem führt der türkische Staat Krieg gegen die kurdische Bevölkerung.

Seit dem vergangenen Herbst hat Erdogan kurdische Städte zerstören und einen russischen Kampfbomber abschießen lassen, kurdische Stellungen in Syrien beschießen und demokratische Journalisten ins Gefängnis stecken lassen. Der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele stellte am Sonntag fest: „Merkel hat hat ihren Teil dazu beigetragen, dass das AKP-Regime seine Macht stabilisieren konnte. Für den Terror und die Repression, die vom türkischen Staat ausgehen, trägt deshalb die deutsche Regierung einen Teil der Verantwortung.“ Köbele forderte: „Die Bundesregierung muss den Flüchtlingsdeal mit Erdogan stoppen, sie muss das PKK-Verbot aufheben, sie muss die Bundeswehrsoldaten aus dem türkischen Incirlik abziehen.“ Auch bürgerliche Politiker in Deutschland gehen auf Distanz zu ihrem türkischen Partner. Bundestagspräsident Lammert bescheinigte Erdogan „autokratische Ambitionen“.

Merkel bleibt Erdogan gewogen. Um das zu zeigen, erlaubte sie die Strafverfolgung des Satirikers Böhmermann. Bei ihrem Türkeibesuch traf sie sich am Sonntag zwar mit „Vertretern der Zivilgesellschaft“, die Erdogan nicht unterstützen. Zu einem Treffen mit kurdischen Politikern oder verfolgten demokratischen Journalisten war sie nicht bereit – „um Erdogan nicht zu verärgern“, schätzt Sevim Dagdelen (Linkspartei) ein.

Während der türkische Staat die Terror-Vorwürfe gegen die PKK nutzt, um die demokratische Opposition zu beseitigen und den Krieg gegen die Kurden anzuheizen, verfolgt auch die deutsche Justiz mutmaßliche PKK-Mitglieder. Erst am 12. Mai hat das Oberlandesgericht Düsseldorf den Prozess gegen Ahmet Celik eröffnet. Der Vorwurf: Er sei Mitglied einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“, er sei ein Kader der PKK. Deutschland hält am Verbot der PKK fest, während die an Öcalan orientierten Teile der kurdischen Bewegung in Syrien den IS-Terror erfolgreich bekämpfen.

Merkel lasse sich von Erdogan erpressen – das kritisieren Horst Seehofer, Alexander Gauland und verschiedene Zeitungen. Mit dem Wort von den „wechselseitigen Abhängigkeiten“ reagiert Merkel auf diese Kritik und macht deutlich: Ihr Deal mit Erdogan hat seinen Preis, und er hat seine Gegenleistung. In Merkels Kosten-Nutzen-Rechnung ist der Türsteher Erdogan die Unterstützung wert. Die Rechte der Kurden, die Demokratie in der Türkei und der Kampf gegen Fluchtursachen sind in dieser Rechnung unwesentliche Posten.

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"Frau Merkels Deal mit Erdogan", UZ vom 27. Mai 2016



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