1967: Die „Affäre Braunbuch“ und die Fürsorgepflicht des deutschen Staates für seine Beamten

Frankfurter Buchmesse und Kalter Krieg

Von Walter Bauer

Trotz „Großer Koalition“ von SPD und CDU/CSU und vereinzelt näheren Kontakten zur DDR-Regierung fand 1967 der Kalte Krieg gegen die DDR weiter statt. Dabei war die Kultur ein heiß umkämpftes Feld. Auch auf einer solchen Internationalen Veranstaltung wie der internationalen Frankfurter Buchmesse wurde um Positionen gekämpft. Als am 11. Oktober 1967 in Frankfurt am Main die Tore der Buchmesse geöffnet wurden, wusste noch niemand, dass diese Buchmesse in die politische Geschichte als „Affäre Braunbuch“ eingehen würde.

Es war die Buchmesse in der Hochzeit der Medienhetze gegen Linke, Studenten, Vietnamkriegsgegner. Dies war auch der Anlass, warum ca. 300 Menschen vor dem Stand des Springer-Verlages gegen „Bild“ und Springer mit lauten und drängenden Forderungen wie „Haut den Springer auf die Finger!“ und „Springer-Presse halt die Fresse!“ demonstrierten. Es kam auch zu einer Demonstration innerhalb der Messe gegen die Teilnahme von Griechenland, des Landes, in dem die Putsch-Generale die totale Zensur mit Gewalt durchsetzten. Ebenfalls Ziel der Demonstranten war der Messestand der rassistischen weißen Herrschaft in Südafrika.

In die Medien kam diese Messe bereits im Vorfeld. Es war ein öffentliches Tauziehen um die Teilnahme der Verlage der DDR, damals offiziell noch als „Ostzone“ bezeichnet. Die DDR kämpfte um internationale Anerkennung als souveräner Staat. Die Bundesregierung erhob den Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland und verhinderte die offizielle Anerkennung als Staat, als Deutsche Demokratische Republik (DDR). Offiziell gab es eine Sprachregelung, nach der die Bezeichnungen „DDR“ und „Deutsche Demokratische Republik“ auf der Buchmesse nicht genannt werden durften. Das führte dazu, dass in der Sonderausstellung „Schönste Bücher“ die von der DDR angemeldeten „Die schönsten Bücher aus der DDR“ nicht ausgestellt werden durften. Nach einigen Verhandlungen konnte die DDR, unter Umgehung des „verbotenen Wortes DDR“ teilnehmen.

Doch zum Ende der Messe kam es dennoch zu einem Eklat. Am letzten Tag der Messe tauchte ein Richter mit Polizeibegleitung vor dem Stand des DDR-Staatsverlags auf und erklärte: Wegen eines laufenden Ermittlungsverfahrens, das er selbst eröffnet hatte, wird der Stand des Staatsverlags der DDR durchsucht und alle vorhandenen Ausgaben des „Braunbuchs über Kriegs- und Naziverbrechen in der Bundesrepublik“ beschlagnahmt. Der Grund sei die „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“. Der Richter ließ den Stand durchsuchen und alle Exemplare des „Braunbuchs“ sowie die Listen mit den Bestelladressen beschlagnahmen.

Das bereits 1965 veröffentlichte „Braunbuch“ listete fast 2 000 Namen von „schwerbelasteten führenden Nazi-Funktionären und Kriegsverbrechern, die sich heute ungehindert in entscheidenden Stellen des westdeutschen Staats- und Wirtschaftsapparates betätigten“ auf. Friedrich von Merkatz (Bundesjustizminister von 1956–57) hatte schon 1950 im Bundestag die „Entnazifizierung“ als modernes Hexentreiben und als „Missgeburt aus totalitärem Denken und klassenkämpferischer Zielsetzung“ bezeichnet. Das Bundesjustizministerium äußerte nun zum „Braunbuch“: Dies sei die „Fortsetzung des nazistischen Terrors“ und betonte die grundsätzliche „Fürsorgepflicht“ des Staates für seine Juristen. Dennoch musste man zugestehen, dass (die Fehlerquote lag unter einem Prozent) diese veröffentlichten Angaben der Wahrheit entsprachen.

Der Autor war der Kommunist und Antifaschist Albert Norden. Er hat gemeinsam mit anderen Antifaschisten 1933 das „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ in Paris veröffentlicht. Das 1965 in erster Auflage erschienene neue „Braunbuch“, herausgegeben vom Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland, hatte den Untertitel „Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Staat, Wirtschaft, Armee, Verwaltung, Justiz, Wissenschaft“. In der Zweiten Auflage 1967 wurde auch Bundespräsident Heinrich Lübke genannt. Er hat sich „bei der Verwirklichung der geheimsten Rüstungsvorhaben der obersten Nazi-Führung“ verdient gemacht und war „an der Ermordung vieler Hundert KZ-Häftlinge“ als KZ-Baumeister mitschuldig.

Diese Beschlagnahme auf der Frankfurter Buchmesse führte zu längeren Diskussionen im Bundestag und die zentrale Staatsanwaltschaft verkündete, dass dies eine eigenmächtige Einzelaktion eines Richters war. Erfolg dieser Beschlagnahmung war, dass über das Buch und über die Tatsache der verschleierten Nazivergangenheit der politischen und militärischen Prominenz der Bundesrepublik öffentlich diskutiert wurde. Ein „Zeit“-Autor fragte, ob es Sinn der Staatsschutzparagraphen möglicherweise sei, die Wahrheit zu unterdrücken.

Die offizielle Bestätigung der Vorwürfe über die Nazi-Vergangenheit aus Politik, Wirtschaft, Armee und Justiz erfolgte erste sehr viel später durch „wissenschaftliche Aufarbeitung“. Die letzte „Aufarbeitung“ wurde letztes Jahr, nach über 60 Jahren, mit der Veröffentlichung „Die Akte Rosenberg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit“ geleistet.

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"Frankfurter Buchmesse und Kalter Krieg", UZ vom 13. Oktober 2017



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