Vor 40 Jahren starb der spanische Diktator

Francos langer Schatten

Von Florian Osuch

Neuerscheinung

Dem Widerstand

ein Gesicht geben

Kinder des Widerstandes

berichten

Die Schrift „Kinder des Widerstandes Antifaschismus als Aufgabe“, in der sich sieben Töchter und ein Sohn antifaschistischer Widerstandskämpferinnen und -kämpfer zu Wort melden, ist lieferbar. Im Vorwort von Florence Hervé heißt es: „Sie sind Nachkriegskinder, haben die Nazizeit und den Widerstand der Eltern nicht unmittelbar miterlebt, und wenn, versteckt oder im Kinderheim. Sie haben allerdings erlebt, wie die westdeutsche Nachkriegsjustiz die Verfolgung der Naziverbrecher nur widerwillig und nachldssig betrieb. Sie haben die Konflikte der Eltern mit der Adenauer-Justiz in den Zeiten des Kalten Krieges erfahren. Sie haben auch das Engegament der Eltern erlebt, damit nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg stattfindet. Sie haben viele Ereignisse mitbekommen, oft ohne zu begreifen und von den Eltern vermittelt bekommen: Man muss sich einmischen.“

Kinder des Widerstandes Antifaschismus als Aufgabe. Mit Beiträgen von Inge Trambowsky, Christa Bröcher, Margret Rest, Gert Levy, Alice Cyborra, Traute Sander, Klara Tuchscherer, Barbara Simoleit, Eigenverlag, lieferbar gegen eine Spende von 5, – Euro (plus Versandkosten) an die Kinder des Widerstandes. Bestellungen unter nrw@vvn-bda.de

Rund um den 20. November 2015 fanden in Spanien wie in den Jahren zuvor Kundgebungen, kirchliche Zeremonien und andere Ehrungen anlässlich des Todestages des Diktators Francisco Franco statt. In der „jungen Welt“ war von landesweit 40 katholischen Messen zu lesen. In Madrid nahmen an einem Marsch „für die Einigkeit Spaniens“ neben Vertretern rechtsextremer Splitterparteien aus Spanien auch Delegationen aus Frankreich und Italien teil. Im „Valle de los daídos“, einem Wallfahrtsort spanischer Alt- und Neofaschisten, gab es eine katholische Messe. Im „Tal der Gefallenen“ liegt Francisco Franco (1882–1975) begraben, neben José Antonio Primo de Rivera (1903–1936), dem Gründer der faschistischen Bewegung „Falange Española“. Das Monumentalbauwerk liegt etwa 60 Kilometer nordwestlich von Madrid und war zwischen 1940 und 1959 von mehreren tausend Zwangsarbeitern errichtet worden.

Spanien tut sich schwer mit dem Erbe des Franquismus, denn einen Bruch mit dem Regime Francos gab es nicht. Eine umfassende Aufarbeitung steht bis heute aus, obgleich sich etwa seit der Jahrtausendwende im ganzen Land Initiativen um eine Aufarbeitung bemühen. Diese Erinnerungsarbeit wird regional von ganz unterschiedlichen Personen getragen, darunter linke Aktivisten, Historiker und Archäologen oder Personen, die nach Spuren und Überresten von getöteten oder verschwundenen Angehörigen suchen. Ein Erinnerungsgesetz aus dem Jahr 2007 – das Ley de Memoria Histórica – legte unter anderem Maßnahmen für eine Rehabilitierung der Opfer der Franco-Diktatur fest. Ein weiterer Aspekt war die Beseitigung von Symbolen der Franco-Herrschaft. Im ganzen Land, in Dörfern und auch Großstädten, waren Plätze und Straßen nach Franco, hochrangigen Militärs oder Funktionären der Falange-Partei benannt. Statuen für Franco wurden teilweise unter erheblichem Protest entfernt, so etwa in Madrid. Andererorts weigerten sich Stadtverwaltungen die Umbenennungen vorzunehmen. In Santa Cruz de Tenerife wurde der Name der Rambla del General Franco erst nach einem Gerichtsbeschluss geändert.

Man sieht, dass der Übergang von einer Diktatur zu einer parlamentarisch-demokratischen Monarchie in Spanien dort bis heute bedeutsam ist. Die Phase etwa zwischen 1975 und 1981/82 wird in Spanien als „transición“ bezeichnet.

Militärputsch und Spanienkrieg

In der Phase der Zweiten Republik zwischen 1931 und 1936/39 war Spanien noch ein von Landwirtschaft geprägtes Land ohne starke Industrie. Politisch ging es erstmals modern und aufgeklärt zu. Es gab ein breites Parteienspektrum, laizistische Bestrebungen, eine starke Frauenbewegung sowie eine vielfältige und unabhängige Medien- und Kulturlandschaft. Dagegen putschen 1936 rechte Militärs und Führung von Franco. Die faschistischen Regime in Deutschland und Italien leisteten General Franco Schützenhilfe. Deutsche Flugzeuge zerstörten das baskische Gernika und bombardierten Madrid, Barcelona und andere Städte. Gleichzeitig eilten tausende Antifaschisten aus aller Welt der Republik zur Hilfe, darunter viele Kommunisten. Unter anderem die verhängnisvolle „Nichteinmischungspolitik“ von Frankreich, Großbritannien und anderen westlichen Staaten führte dazu, dass die Putschisten im März 1939 die Hauptstadt Madrid übernahmen. Noch vor dem Überfall Nazideutschlands auf Polen im September 1939 begann Franco in Spanien ein faschistisches Regime zu errichten.

Während des Zweiten Weltkrieges verhielt sich das Land offiziell neutral, obgleich Franco mit dem Freiwilligenverband „División Azul“ bis zu 47 000 Soldaten und Offiziere auf Seiten der Wehrmacht gegen die Sowjetunion in Stellung brachte. In Konflikt mit der Anti-Hitler-Koalition geriet der Diktator deshalb jedoch nicht. Nach dem Niederringen des deutschen Faschismus 1945 blieb Spanien international zunächst isoliert. 1951 handelten die USA mit Madrid einen ersten Vertrag über die Nutzung spanischer Militärstützpunkte aus, vier Jahre später wurde das Land in die UNO aufgenommen. Von der faschistischen Ideologie nahm Franco infolge Abstand.

Die Errungenschaften der 1930er Jahren wurden getilgt und Franco stand inzwischen uneingeschränkt an der Spitze des Landes. Im wesentlichen stütze er sich auf die Staatspartei Movimiento Nacional – die einzig zugelassene Partei im Land –, das Militär und insbesondere auf die katholische Kirche. Noch vor Aufnahme in die UNO hatte Madrid mit dem Vatikan einen Staatskirchenvertrag geschlossen. Mit dem Konkordat von 1953 wurde der Kirche weitgehend das Bildungs- und Erziehungswesen übertragen. Sie legitimierte die Herrschaft Francos und bekam im Gegenzug auch weitreichenden politischen Einfluss.

Arbeiter organisieren sich

Die 1960er Jahren waren in Spanien von einem Wirtschaftswachstum geprägt. Aufkommender Massentourismus insbesondere an den Mittelmeerküsten trugen zu dieser Entwicklung bei. Das Land wandelte sich von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft. Hunderttausende Spanier zog es aus den landwirtschaftlich geprägten Regionen nach Madrid und in die neuen industriellen Zentren in Katalonien und dem Baskenland. Vom wirtschaftlichen Aufschwung profitierten auch einfache Arbeiter, wenngleich viele innerspanische Migranten oftmals in bitterer Armut lebten. Das meiste Geld floss jedoch in die Taschen regimetreuer Personen, darunter auch Altnazis aus Deutschland, die sich nach 1945 in Spanien niedergelassen hatten. Einige brachten es mit Firmen der Tourismus- und Baubranche zu erheblichem Reichtum und finanzierten mit dem Geld auch neofaschistische Gruppierungen in Westdeutschland.

Der ökonomischen Entwicklung stand zunächst keine politische Öffnung gegenüber. Freie Gewerkschaften waren weiterhin verboten. Das Regime hatte sogenannte vertikale Syndikate eingesetzt, gemeinsame Vertretungen von Unternehmern und den abhängig Beschäftigten. Die erstarkende Arbeiterbewegung organisierte sich in der Illegalität und gründete Arbeiterkommissionen. Die Comisiones Obreras (CCOO) wurden in vielen Betrieben angeführt von Mitgliedern der ebenfalls verbotenen Kommunistischen Partei Spaniens (PCE).

Während der fast 40 Jahre währenden Diktatur war die PCE die bedeutende, wenngleich nicht die einzige Kraft, die Widerstand gegen das Regime leistete. Diejenigen, die nicht aus der Illegalität heraus arbeiteten oder in Gefängnissen saßen, gingen ins Exil – zunächst nach Frankreich, dann vor allem in die Sowjetunion. Auch die langjährige Generalsekretärin der PCE, Dolores Ibárruri (1895–1989) lebte dort. Auf dem VI. Parteitag 1960 in Prag wurde San­tiago Carrillo (1915–2012) als ihr Nachfolger bestimmt, das Amt bekleidete er bis 1982.

Das Regime ging in den 1950er und 60er Jahre brutal gegen Oppositionelle vor, insbesondere gegen Kommunisten. Zu den bekanntesten Opfern gehört Julián Grimau, seit 1954 Mitglied im ZK der PCE. Nach einer Zeit im französischen Exil lebte er mehrere Jahre in Spanien im Untergrund. Er wurde jedoch von der Polizei aufgespürt und trotz internationaler Proteste 1963 hingerichtet.

Im Juni 1972 war in Madrid die zehnköpfige Direktion der Arbeiterkommissionen verhaftet worden. Ein Sondergericht verhängte Gefängnisstrafen zwischen 12 und 20 Jahren wegen Führerschaft der CCOO und Verbindungen zur Kommunistischen Partei. Die Höchststrafe wurde unter anderem gegen Marcelino Camacho (1918–2010) verhängt. Im demokratisierten Spanien stand er als ersten Generalsekretär zwölf Jahre lang an der Spitze der legalisierten CCOO.

Zum Weiterlesen:

Silke Hünecke

Überwindung des Schweigens

Erinnerungspolitische Bewegung in Spanien

Edition Assemblage, Münster 2015

Peter Rau

Der Spanienkrieg 1936–39

PapyRossa Verlag, Köln 2012

Derweil regelte der alternde Franco sein Vermächtnis. Zu seinem Nachfolger bestimmte er 1969 Juan Carlos I., den späteren König von Spanien. 1973 wurde Luis Carrero Blanco, die rechte Hand des Diktators, neuer Regierungschef. Doch Blanco kam noch im selben Jahr bei einen Anschlag der baskischen Untergrundorganisation ETA ums Leben. Aus Rache ließ das Regime den 25-jährigen Katalanen Salvador Puig Antich (1948–1974) hinrichten.

Durch die Nelkenrevolution 1974 im Nachbarland Portugal und die schwächelnde Diktatur in Griechenland war auch die herrschende Klasse in Spanien verunsichert. Franco erkrankte schwer und verstarb am 20. November 1975. In seinem Testament forderte er die Bevölkerung Spaniens auf, sich um den zukünftigen König zu scharen und die Einheit des Landes zu bewahren.

Nun stand König Juan Carlos an der Spitze Spaniens und stellte schon wenige Tage nach Francos Tod politische Reformen in Aussicht. Die franquistische Regierung blieb jedoch im Amt. Es begann der zähe Übergang zur Demokratie, die transición. Zunächst wurden Parteien legalisiert, auch die PCE. Die ersten freien Wahlen gewann 1977 die Union des demokratischen Zentrums (UCD), eine Nachfolgerin der franquistischen Staatspartei. Die sozialdemokratische PSOE, angeführt von dem damals 35-jährigen Felipe González, wurde mit 30 Prozent zweitstärkste Kraft, gefolgt von der PCE mit 9,3 Prozent. Für die Kommunisten ein eher enttäuschendes Ergebnis.

Terror von Rechts

Charakteristisch für die transición war der fehlende Bruch mit dem Franquismus. So trug auch ein bis heute kritisiertes Amnestiegesetz von 1977 die Handschrift francophiler Kräfte. Zwar kamen die politischen Gefangenen frei, allerdings gab es eine Art vorauseilende Amnestie für Angehörige des Franco-Regimes. So wurde verhindert, dass sich Personen vor Gericht verantworten müssen, die an Menschenrechtsverletzungen oder Verbrechen während der Diktatur beteiligt waren. Eine neue Verfassung wurde im Dezember 1978 per Referendum mit großer Mehrheit angenommen. PCE, PSOE sowie die mittlerweile zu einer Gewerkschaft verschmolzenen Arbeiterkommissionen hatten für die Zustimmung geworben. Führende Parteien im Baskenland, kleine kommunistische Parteien und auch die damals starke anarchistische CNT hatten für ein „Nein“ oder zur Wahlenthaltung aufgerufen. 88,5 Prozent der Wähler votierten für die Vorlage, in einigen Regionen lag die Unterstützung für die neue Verfassung sogar bei über 90 Prozent. Eine Ausnahme bildete das Baskenland. Dort wurde mit 68 Prozent der mit Abstand niedrigste Zustimmungswert erreicht. Eine Mehrheit in der Bevölkerung war dies jedoch nicht, weil sich weniger als die Hälfte der Bürger überhaupt an der Abstimmung beteiligt hatten. Grund hierfür war der Aufruf der baskischen Nationalpartei PNV zum Abstimmungsboykott.

Faschistische Gruppen versuchten während der transición die sich entwickelnde bürgerliche Demokratie zu destabilisieren. Dem spätfranquistischen Terror fielen Dutzende Personen zum Opfer. Ziel der Anschläge waren vor allem Sozialisten und Kommunisten, Aktive der Gewerkschaften und Anhänger der baskischen Unabhängigkeitsbewegung, darunter auch Mitglieder der ETA. Beim Massaker von Atocha im Januar 1977 erschossen Anhänger des Franco-Regimes fünf Männer. Ein Kommando der „Alianza Apostólica Anticomunista“ hatte Räume von Anwälten, die den Arbeiterkommissionen angehörten, gestürmt und das Feuer eröffnet. Ein Täter soll in Kontakt zur Geheimarmee der NATO Gladio gestanden haben. Ein von rechten Militärs und Angehörigen der Sonderpolizei Guardia Civil angezettelter Staatsstreich im Februar 1981 scheiterte.

Schlappe für Kommunisten

Erst 1982 gewann in Spanien eine Partei die Parlamentswahlen, die nicht zu den Nachfolgern des franquistischen Regimes gehörte. Felipe González führte die sozialdemokratische PSOE zur absoluten Mehrheit. Die PCE fiel mit ihrem Bündnis Izquierda Unida auf 4,1 Prozent der Stimmen, die Anzahl der Mandate sank von 23 im Jahr 1979 auf vier ab. Gonzáles setzte auf Integration in die Europäische Gemeinschaft, in die Spanien 1986 aufgenommen wurde. In Sachen Vergangenheitsbewältigung blieb vieles offen. Derweil führte ein ehemaliger Minister des Franco-Regimes die Opposition an.

Im gesamten spanischen Staat streiten die linken Bewegungen und Strömungen weiterhin über Verlauf und Folgen der transición. Cayo Lara, aktuell Bundeskoordinator von Izquierda Unida und Vorsitzender der Linksfraktion im spanischen Parlament, verteidigte im vergangenen Jahr die Zustimmung zur Verfassung von 1978. Gegenüber „El País“ sagte er, Gewerkschaften und linke Kräfte hätten das Mögliche erreicht. Die Verfassung sei ausgehandelt worden zwischen denjenigen, die aus den Gefängnissen kamen oder aus dem Exil heimkehrten und den einstigen Machthabern der Diktatur.

Lidia Falcón, Schriftstellerin und feministische Aktivistin, sieht dies anders. Sie bezeichnete die transición als „großen Verrat“. Falcón, Jahrgang 1935, war selbst Opfer unter der Franco-Herrschaft. Die eigentlichen Nutznießer der spanischen Verfassung von 1978 seien diejenigen gewesen, die zuvor die Macht innehatten und sie nicht abgeben mussten.

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"Francos langer Schatten", UZ vom 11. Dezember 2015



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