Nawalny, Nowitschok, Nord Stream 2: Nach den Anschuldigungen der Bundesregierung gegen Russland machen die Transatlantiker Druck

Fracking-Lobby am Drücker

Der russische Blogger und rechte Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist Ende August mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden. Das hat die Bundesregierung am 2. September unter Berufung auf Untersuchungsergebnisse eines Speziallabors der Bundeswehr bekannt gegeben, verbunden mit der Aufforderung an die russische Regierung, sich in dem Fall zu erklären und vollständig zu kooperieren. Mit der NATO und der EU soll ein gemeinsames Vorgehen abgestimmt werden, der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) sollten die Ergebnisse übermittelt werden. Die russische Regierung und Justiz warteten bis zum Redaktionsschluss dieser Zeitung weiter auf deren Überstellung, gerade so, als solle eine rasche Ermittlung seitens der Bundesregierung sabotiert werden.

Die Transatlantiker in Berlin stehen derweil stramm. Mitglieder der Bundesregierung wie auch führende Grünen- und FDP-Politiker verknüpfen den Fall mit dem einfachen Dreisatz Nawalny, Nowitschok, Nord Stream 2 offen und ultimativ mit dem Aus für die Ostseepipeline. Immer lauter und zahlreicher werden die Stimmen, die eine Einstellung des Energieprojekts fordern, angefangen bei Außenminister Heiko Maas (SPD) über Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bis hin zur Grünen-Vorsitzenden Annalena Baer-bock, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sowie FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff.

In der ARD-Sendung „Anne Will“ warf sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses und Kandidat für den CDU-Vorsitz Norbert Röttgen besonders vehement ins Zeug für einen Stopp der Pipeline. Man müsse mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Sprache sprechen, die dieser verstehe, dekretierte der Vizevorsitzende der Lobbyorganisation Atlantikbrücke. „Die Sprache, die er versteht, ist die Sprache des Geldes, des Gases und der Macht. Und Nord Stream ist alles zusammen.“ Zuvor hatte sein Parteifreund Michael Kretschmer, Ministerpräsident des Freistaats Sachsen, im selben Sender der Forderung nach einem Baustopp von Nord Stream 2 noch eine Absage erteilt. „Das ist ein völlig falscher Schritt“, so der CDU-Politiker, der darauf verwies, dass selbst in Hochzeiten des Kalten Krieges die Rohstofflieferungen weitergegangen seien. So argumentiert auch der Teil des deutschen Kapitals, der in Russland involviert ist. Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, verweist darauf, dass es seit 50 Jahren „absolut verlässliche Energiebeziehungen“ mit Russland (beziehungsweise davor der Sowjetunion) gebe. Auch in den schwierigsten politischen Phasen sei aus gutem Grund daran festgehalten worden. „Ich empfehle das auch diesmal“, erteilte Harms den Pipeline-Gegnern eine Absage.

Die Verknüpfung der Vergiftung Nawalnys mit der Erdgasröhre Nord Stream 2 ist Wasser auf die Mühlen der Fracking-Industrie in den USA. Zu deren wirtschaftlichen Vorteilen macht die US-Regierung Druck, den Bau zu stoppen und Deutschland dazu zu zwingen, in Übersee alternativ teureres umweltfeindlicheres Flüssiggas einzukaufen und über den Atlantik verschiffen zu lassen. Das geht bis hin zur Androhung und Verhängung einseitiger völkerrechtswidriger Drohungen gegen Unternehmen, die an dem Projekt beteiligt sind. In einem besonders dreisten Schreiben haben US-Senatoren erst im August den Bürgern von Sassnitz auf Rügen mit totaler wirtschaftlicher Vernichtung gedroht, sollte die dortige Hafengesellschaft weiter russische Verlegeschiffe ankern lassen und Röhren für die Fertigstellung von Nord Stream 2 lagern.

Immerhin, in der Zurückweisung von neuen Sanktionen gegen Russland ist sich die Partei „Die Linke“ vom Vorsitzenden Bernd Riexinger über den Außenpolitischen Sprecher der Fraktion, Gregor Gysi, bis hin zu Fraktionschef Dietmar Bartsch einig. Die Linke-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen warnt, mit einem Pipeline-Stopp würde sich Deutschland „ins eigene Knie schießen“ und direkte Wahlkampfhilfe für Trump leisten, der Nord Stream 2 bekanntlich verhindern will. Es sei „erschreckend“, wie „willfährig“ gerade der deutsche Außenminister Maas die Forderung des US-Präsidenten nach einem Stopp vorantreibe.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Fracking-Lobby am Drücker", UZ vom 11. September 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit