Der jüngste Putschversuch in der Türkei hat die Verhältnisse, die Kriegs- und Verteidigungsbündnisse im Nahen Osten noch einmal erheblich durcheinandergewirbelt. Da kann es schon mal vorkommen, dass die Bundesregierung Freund und Feind nicht mehr haarscharf unterscheiden kann. So kam es, dass die Antwort auf die parlamentarische Anfrage der Fraktion „Die Linke“ zur Lage der Türkei und ihrer Regierung das Land als Förderer bewaffneter Islamisten einstufte. Die Türkei habe sich schrittweise „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen“ entwickelt.
Von diesen Erkenntnissen, die erklärtermaßen großenteils vom Auslandsgeheimdienst BND stammten, konnte niemand überrascht sein. Es stand schließlich auch in den Zeitungen, die die Politik der Bundesregierung unterstützen.
Überraschend und neu allerdings war die Tatsache, dass die Bundesregierung diese Einschätzung dem Parlament, also in aller Öffentlichkeit darlegte. Schließlich hatte sie erst Ende vergangenen Jahres Aufklärungsflugzeuge und Truppen ins türkische Incirlik geschickt und deren Auftrag parlamentarisch absegnen lassen, der darin bestand, am Kampf gegen die bewaffneten Islamisten teilzunehmen. Schon damals wurde öffentlich die Befürchtung geäußert, dass die von den deutschen Flugzeugen über Syrien ermittelten Aufklärungsdaten durch die türkische Luftwaffe vielleicht an den zu bekämpfenden islamistischen Kriegsgegner weitergeleitet werden könnten.
Das ist reine Spekulation. Sicher ist aber, dass die Bundesregierung den Spagat zwischen dem erklärten Krieg gegen den islamistischen „IS“ zusammen mit der NATO und dem NATO-Staat Türkei und auf der anderen Seite der Förderung der bewaffneten Islamisten durch die Türkei locker aushielt.
Das gelang ihr vermutlich deshalb so gut, weil dieser Spagat seit langem der Politik ihrer größeren NATO-Partner, insbesondere der USA, entsprach. Meist verdeckt, ganz oft aber offen haben die NATO-Staaten islamistische Terrorgruppen gefördert und islamistische Staaten wie das Königreich der Saudis politisch unterstützt und mit modernsten Waffen ausgerüstet. Den Krieg gegen das säkulare Syrien haben die NATO-Staaten, einschließlich der Bundesrepublik und die Golf-Monarchien unter dem zynischen Titel „Freunde Syriens“ geführt und sich dabei, um mit den Worten der Bundesregierung zu sprechen, „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen“ entwickelt. Geographisch ist die Türkei den Islamisten näher. Politisch ist die Unterstützung der islamistischen Terrortrupps offizielle Linie des westlichen Bündnisses und seiner Wertegemeinschaft.
Wir verdanken die neue Wahrheitsliebe unserer Regierung und ihre zutreffende Charakterisierung der Türkei den Folgen des gescheiterten Putschversuchs. Eine der wenigen positiven Entwicklungen ist vermutlich, dass das Land ein nicht mehr ganz so zuverlässiger Partner der westlichen Wertegemeinschaft ist. Ein Arrangement mit der vom Westen bekämpften Assad-Regierung in Syrien scheint denkbar. Ein solcher Kurs wird weder in Washington noch Paris, Berlin oder London gern gesehen. Daher auch der gegenüber Präsident Erdogan unfreundliche Ton in unserer Presse, die doch sonst ein autokratisches Präsidialsystem und einen rüden Umgang mit der Opposition kaum bemängelt.