Ein Blick in die (Medien-)Welt der vergangenen Woche

För nix ze fies

Von Adi Reiher

Der vielleicht klügste Kommentar zum Vorfall von London lässt sich in dem Satz zusammenfassen, dass die Grenze zwischen Amoklauf und Terroranschlag immer mehr verwischt – da muss nur noch das Wort „wird“ angehängt werden und schon haben wir eine ziemlich korrekte Kurzanalyse der weltweiten Bedrohungslage. Der Kommentar stammt typischerweise von keinem der „großen“ Medien, sondern aus einer Regionalzeitung.

Die dümmste Einlassung zum gleichen Ereignis höre ich im Radio von einem Korrespondenten aus Großbritannien. Den „Beweis“ für einen Terroranschlag entnimmt er ernsthaft der Tatsache, dass Scotland Yard in diese Richtung ermittelt. Da bekommt man Magenschmerzen beim Zuhören.

Zehntausende Kinder von Flüchtlingen werden in sogenannten Willkommensklassen unterrichtet. Damit sollen sie möglichst innerhalb eines Jahres auf den Besuch der Regelschule vorbereitet werden. Voraussetzungen und Hintergründe der Schüler können unterschiedlicher kaum sein. Da müssen die Lehrkräfte Enormes leisten. Wahrscheinlich werden sie deshalb nur mit Zeitverträgen ausgestattet, erhalten deutlich weniger Geld als ihre Kolleginnen und Kollegen und werden von diesen oft gemobbt.

So können sie die Ellbogenmentalität unserer Gesellschaft aus eigener Erfahrung 1:1 an ihre Schützlinge weitergeben. Wer von denen es schafft, muss hochintelligent sein, ziemlich hartgesotten, am besten lärmresistent. Nach der Schule wird von ihnen erwartet, dass sie zum Dank für das herzliche Willkommen schlechtere Jobs für weniger Geld akzeptieren. Sie hätten ja da bleiben können, wo ihnen „unsere“ Bomben auf den Kopf fielen.

Der Reichtums-und-Armuts-Bericht von Arbeits- und Sozialministerin Nahles ist eine Unverschämtheit. Nicht, dass er falsch wäre, ist das Ärgernis. Korrekt listet Nahles unter anderem auf, dass die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer werden; dass die Aufstiegschancen sich immer weiter verschlechtern, dass die Datenlage zum Vermögen der Reichen „beschissen“ sei. Letzteres ist auch SPD-Finanzministern wie Steinbrück zu danken, die alles getan haben, um Steuergerechtigkeit gegen jedermann zu üben.

Womit wir bei dem Ärgernis wären, dass eine SPD-Ministerin eine einigermaßen korrekte Zustandsbeschreibung zur Lage der Nation gibt. Gleichzeitig verliert sie kein Wort darüber, dass es maßgeblich Regierungen unter Führung oder Beteiligung der SPD waren, die das nicht nur geduldet, sondern aktiv herbeigeführt haben. Es reicht eben nicht, einen Martin Schulz aus Brüssel herbeizuzaubern und ihn mit der heuchlerischen Gloriole des Neuanfangs zu versehen. Frau Nahles steht für die wahre Geschichte. Sie war bei jeder Schweinerei dabei, die Schulz heute vergessen machen soll. Einen dreisteren Auftritt als den von Nahles kann man sich kaum vorstellen. Im Rheinland sagt man zu so jemandem: „Die is sich för nix ze fies.“

In diesen Tagen wird Martin Walser 90 Jahre alt. In früheren Jahren hat er sich als Linker versucht, man kann heute sagen, dass er gescheitert ist. Für was er steht, ist schwer fassbar, auch da er nach eigenen Worten alt, aber nie erwachsen geworden ist. Charakteristisch finde ich, dass er sich verwahrt, ein Säufer genannt zu werden, da er nur erlesene französische Weine trinke. Na denn, Prost, Martin.

Kein Pranger war öffentlich genug, um den DDR-Sport und viele einzelne Sportler aus der DDR des Dopings zu bezichtigen. Beweise waren nicht nötig, der Verdacht reichte, um Existenzen zu vernichten.

Mit den Dopern aus dem Westen verfährt man noch heute deutlich sensibler. Sie bleiben auch in einer jetzt bekannt gewordenen Studie anonym. Und so erfährt man nur unter sozusagen vorgehaltener Hand, dass die Hälfte der befragten Spitzenleichtathleten aus den 60er bis 80er Jahren zugegeben haben, gedopt zu haben. Kein Name, keine Schande. Außerdem keine Strafe, denn die Vergehen sind verjährt, wie praktisch.

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"För nix ze fies", UZ vom 31. März 2017



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