Der im Einzelhandel seit zwei Monaten geführte Arbeitskampf in Nordrhein-Westfalen ist beendet. Überraschend schnell einigte man sich in der vierten Tarifrunde. Erneut vereinbarte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit dem Handelsverband NRW eine zweijährige Laufzeit. Die Allgemeinverbindlichkeit der Entgelttarifverträge (AVE) wurde von der Kapitalseite vom Tisch gefegt.
Löhne und Gehälter steigen für die Beschäftigten, die bis zur Gehaltsgruppe der Verkäuferin im letzten Berufsjahr (2 579 Euro in Vollzeit) eingruppiert sind, um 3 Prozent. Für alle Beschäftigten in höheren Entgeltgruppen gibt es einen Festbetrag von 77,50 Euro brutto. Ab 1. Mai 2020 kommen weitere 1,8 Prozent dazu. Ausbildungsvergütungen werden zwischen 45 Euro und 60 Euro und 2020 um 50 Euro und 80 Euro jeweils zu Beginn der Ausbildungsjahre erhöht. Der jetzige Abschluss muss noch von der großen Tarifkommission bestätigt werden. Gefordert hatte ver.di 6,5 Prozent mehr für alle, mindestens 163 Euro und 100 Euro mehr für Azubis, alles bei einer Laufzeit von zwölf Monaten.
Im jetzigen Ausstand zeigte sich, wie geschlossen der Handelsverband gegen ver.di und die dort organisierten Belegschaften vorging. Bereits seit dem Jahr 2000 versuchen die Waren- und SB-Häuser sowie alle Discounter, sich von Flächentarifen zu verabschieden. Mal ist es Karstadt, mal Real oder Kaufhof, in diesem Jahr waren es Rewe und Edeka. Sie alle werden in den nächsten zwei Jahren bei dem Versuch nicht lockerlassen, mittels Haustarifverträgen Tarifflucht zu begehen. Befürchtet werden muss auch, dass bei einer zukünftigen AVE neue Tätigkeitsmerkmale für Verkaufs- und Warenauffüllkräfte vereinbart werden.
Die Warenhauskonzerne führen von oben einen unerbittlichen Klassenkampf. Die vor zwanzig Jahren begonnene Tarifflucht ist mit der Ursache für die existierenden Armutslöhne und eine massive Arbeitsplatzvernichtung (UZ vom 14. Juni 2019). ver.di führt dagegen einen nicht widerspruchsfreien Kampf. Einerseits ist das Ziel, neben mehr Lohn und Gehalt zum Flächentarifvertrag zurückzukommen, richtig und notwendig. Denn würde eine Allgemeinverbindlichkeit wieder erreicht, müssten auch Online-Versandhändler höhere Löhne zahlen. Amazon entlohnt bis jetzt nach Logistiktarif. Der liegt noch unter dem Flächentarif des Einzel- und Versandhandels. Von einer AVE würden rund drei Millionen Beschäftigte im Einzelhandel bundesweit profitieren.
Anderseits zeigt sich eine zunehmende Kritik in einigen Tarifkommissionen. Dort und in anderen Gremien wird unter ehrenamtlichen Funktionären diskutiert, ob und wie weit überhaupt eine Steigerung der Reallöhne und eine Laufzeit von 12 Monaten nur mit Warnstreiks durchsetzbar sind. Auch die fehlende Einsicht der Gewerkschaft, die Tarifkämpfe fachbereichsübergreifend zu organisieren, spielt dabei eine Rolle. Mehrere Anträge werden sich deshalb auf dem ver.di-Bundeskongress im Herbst in Leipzig damit beschäftigen. Inhalt ist dabei die gemeinsame Solidarität und Mobilisierung über die Fachbereiche hinaus bei Streiks.
Das wird auch dringend notwendig. Denn mit dem einheitlichen Auftreten der Unternehmer haben diese beim jetzigen Abschluss in NRW durchgesetzt, dass in Sachen Flächentarif für die nächsten 24 Monate Ruhe herrscht. Der ver.di-Illusion, die Tarifflucht über die Politik per Gesetz zu verbieten, können die Einzelhändler in Ruhe entgegensehen. Die Lobbyarbeit der Kapitalisten in diesem Staat hat dank Bundesregierung noch immer bestens funktioniert.
Wollen ver.di und die anderen DGB-Gewerkschaften dem etwas entgegensetzen, werden sie sich wieder in Richtung Klassenorganisationen der Arbeiter und Angestellten bewegen müssen. Bleibt es bei der Sozialpartnerschaft, bedeutet dies eine weitere Lähmung im Kampf um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Tarifkämpfe auf gleicher Augenhöhe, wenn es die in der Geschichte der Bundesrepublik jemals gegeben haben sollte, kann es aufgrund der Ungleichheit der Waffen der Beschäftigten nicht geben.