Russland und die fossile Energie – Teil 2

Fluch und Segen des Ressourcenreichtums

Walter Reber

Russland ist einer der wichtigsten Lieferanten fossiler Brennstoffe weltweit – dort liegen die größten bekannten Vorräte an Erdgas, die zweitgrößten an Kohle und es gibt bedeutende Mengen an Erdöl. Ein Netz von Pipelines liefert Erdgas und Erdöl an Abnehmer in Europa und zunehmend in Asien. Schon seit vielen Jahren gibt es eine klare Strategie der russischen Regierung, die Abhängigkeit vom europäischen Markt zu verringern und sich auf die Verbraucher in Asien zu orientieren. Per Schiff, per Bahn, als LNG (verflüssigtes Erdgas) und zunehmend per Pipeline werden die wachsenden Märkte in Asien mit Kohle, Öl und Erdgas versorgt.

Die „Power of Siberia“-Pipeline wurde seit 2007 geplant, ab 2014 gebaut und 2019 in Betrieb genommen. 2020 wurden 4 Milliarden Kubikmeter Erdgas transportiert, bis 2023 soll die Kapazität auf 40 Milliarden Kubikmeter ausgeweitet werden. Und um diese Zahl ein wenig einzuordnen: Das entspricht etwa 80.000.000 Tonnen CO2 oder rund 10 Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland im Jahr 2021. Eine zweite Pipeline nach China ist geplant. 2020 exportierte Russland etwa 200 Millionen Tonnen Kohle, bis 2035 soll die Menge auf 300 bis 400 Millionen Tonnen gesteigert werden.

In Russland selbst stammen 80 Prozent der CO2-Emissionen aus der Energieerzeugung. Solar- und Windenergie spielen hier keine Rolle. Mit dem Einsatz fossiler Energieträger werden etwa 650 Terawattstunden Strom erzeugt.

Man muss dabei berücksichtigen, dass der Anteil der Heizenergie in Russland aufgrund des extrem kontinentalen Klimas deutlich höher liegt als in Westeuropa. Für Russland ist der Weg zur „grünen“ Energieerzeugung – wie zum Beispiel auch in Frankreich – die Atomkraft.

Der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung soll bis 2035 auf 20 Prozent erhöht werden. Die erzeugte Strommenge liegt mit etwa 200 Terawattstunden in ähnlicher Höhe wie die Energieerzeugung aus Wasserkraftwerken.

Kohle spielt nach wie vor eine große Rolle im russischen Energiemix, sowohl – wie erwähnt – beim Export als auch beim Verbrauch im Inland. 2020 wurden mehr als 400 Millionen Tonnen Kohle gefördert, der weit überwiegende Teil im Tagebau. 200 Millionen Tonnen – also ungefähr die Hälfte der geförderten Kohle – wurden im Inland verbraucht, hiervon diente wiederum die Hälfte der Energieerzeugung in Kraftwerken. Die Vorgaben der russischen Regierung sehen bis 2035 eine Steigerung der Kohleförderung auf 500 bis 600 Millionen Tonnen vor. Im Inland allerdings soll der Kohleverbrauch auf 170 Millionen Tonnen sinken.

Im Unternehmen Gazprom vereinigen sich die verschiedenen Aspekte der russischen Energiewirtschaft: Produktion der Energieträger, Export, Marketing und Energieerzeugung im Inland. Gazprom ging 1989 aus dem sowjetischen Ministerium für Gasproduktion hervor, verhalf bei der Privatisierung etlichen zukünftigen Oligarchen zu ihrem Milliardenreichtum (unter anderem mittels Steuerhinterziehung und dem Verkauf wertvoller Betriebsteile) und ist heute wieder unter Kontrolle der Regierung, wobei Aktien auch an der Moskauer Börse gehandelt werden. Gazprom ist ein weltweit tätiges Energieunternehmen und gemessen am Gewinn das größte Unternehmen in Russland. 2018 erzeugte Gazprom 12 Prozent der weltweiten Erdgasproduktion.

Das Ziel der Regierung, eine Reduktion der CO2-Emission auf 70 Prozent des Niveaus „Anfang der 1990er Jahre“, war erreichbar. Aufgrund des Umbaus und Abbaus der Wirtschaft nach dem Zerfall der Sowjetunion gab es zu der Zeit große Schwankungen in den Emissionsmengen innerhalb kurzer Zeit. Vor allem die Energieerzeugung, aber auch Landwirtschaft und Industrie stießen 1990 mehr als 3,5 Gigatonnen CO2-Äquivalent aus. Bis 2011 war diese Menge auf 2,3 Gigatonnen gesunken.

Mit der Produktion und dem Verbrauch der Energieträger emittiert Russland heute 11,6 Tonnen CO2 pro Person, also deutlich mehr als Deutschland mit 7,7 Tonnen und getoppt von den USA mit 13,7 Tonnen.

In den USA und Deutschland sank der CO2-Ausstoß pro Kopf der Bevölkerung in den letzten Jahren mehr oder weniger deutlich. Anders in Russland: Tatsächlich war der CO2-Ausstoß Russlands im Jahr 2018 bereits auf 52 Prozent des Wertes von 1990 gesunken. Doch gab es nach 2016 zunächst einen deutlichen Anstieg, möglicherweise wegen der Anpassungen an bestehende und zu erwartende Sanktionen des Westens.

Der Reichtum an Ressourcen wie den fossilen Energieträgern ist Fluch und Segen zugleich. Bei einem Überfluss an Energieträgern sind sie zu niedrigen Preisen erhältlich – zugleich fehlt es an Anreizen, eine höhere Energieeffizienz zu erreichen. Russland musste 2018 nach Angaben des „Global Energy Statistical Yearbook“ 0,21 Kilogramm Öläquivalent (ein Maß, um die unterschiedlichen Energieträger vergleichbar zu machen) einsetzen, um einen Wert von einem US-Dollar des Bruttoinlandsprodukts zu erwirtschaften. Der weltweite Durchschnitt lag bei der Hälfte dieses Wertes, in der EU lag dieser Wert bei einem Drittel. Nach Plänen der russischen Regierung soll die Energieeffizienz bis 2025 um 25 Prozent gesteigert werden – sie wäre damit noch immer schlechter als der weltweite Durchschnitt.

Mit der Steigerung der Energieeffizienz, besserer Wärmeisolierung von Gebäuden und dem beschleunigten Ausstieg aus der Kohle verfügt Russland über ein großes Potenzial, den CO2-Ausstoß zu verringern. Nicht nur, um die internationalen Übereinkommen zu erfüllen – sondern gerade, weil zunehmend die Kosten des Klimawandels auch für Russland deutlich werden. Der Abbau des Permafrostes, riesige Waldbrände und andere kostspielige Folgen des Klimawandels lassen sich nicht länger übersehen.

Teil 1 erschien in der UZ vom 10. März 2023.

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"Fluch und Segen des Ressourcenreichtums", UZ vom 17. März 2023



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