Sie dürfen sich nicht unter Wert verkaufen.“ Diesen Satz sagt die Leiterin einer Fortbildung für Tageseltern häufig. Sie macht das auch deshalb, weil die niedersächsische Kleinstadt, die ihre Fortbildung anbietet, Tageseltern 4 Euro pro Stunde und Kind bezahlt – brutto. Essen und sonstige Nebenkosten, Bürozeiten, Elterngespräche und Fortbildungen sind da schon mit eingerechnet. Da sie weiß, dass das viel zu wenig ist, appelliert sie an die anwesenden Tagesmütter, sich das fehlende Geld von den Eltern zu holen. Sie sollen individuell von den Eltern der Kinder, die sie betreuen, Geld verlangen. Die meisten ihrer Kursteilnehmerinnen werden das nicht tun. Auch deshalb nicht, weil die Eltern bereits Geld für die Betreuung ihrer Kinder an die Stadt zahlen. Und wenn jemand weiß, wie es ist, mit wenig Geld auskommen zu müssen, dann sind das Tagesmütter.
Von Februar bis April 2018 wurden Tageseltern im Auftrag des Landesverbandes Kindertagespflege gefragt, wie viele Stunden sie arbeiten. Auf dieser Grundlage konnte der durchschnittliche Verdienst von Tageseltern in Baden-Württemberg ermittelt werden: Er liegt bei 4,08 Euro pro Stunde. Das ist spürbar weniger als die Hälfte des gesetzlichen Mindestlohns von 8,84 Euro – im Durchschnitt. Was nichts anderes bedeutet, als dass viele noch darunter liegen.
Die Kommunen haben ein starkes Interesse daran, dass es scheinselbstständige Tageseltern gibt. Selbst dort, wo es ausreichend Kita-Plätze gibt, sind die angebotenen Betreuungszeiten beispielsweise für Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeiter nicht flexibel genug. Außerdem sparen Tageseltern Kommunen und Land richtig Geld. Die Kommunen stehlen sich mit der Rekrutierung von „selbstständigen“ Tageseltern, die ihre Aufträge meist nur über die Kommune bekommen, billig aus der Verantwortung und garnieren dies meist noch mit süßen Worten. So wird von den Verantwortlichen gerne behauptet, dass sie die „familiäre Atmosphäre“ einer Betreuung, die daheim stattfindet, besonders schätzen würden.
Dass sich trotz der miesen Bedingungen immer noch Tageseltern finden, hat auch mit dem mangelnden Betreuungsangeboten und den niedrigen Löhnen weiblicher Beschäftigter zu tun: Mütter bleiben daheim, weil sie keine geregelte Betreuung während der Arbeitszeit hinbekommen oder auch einfach, weil sich finanziell das Arbeiten im eigentlichen Beruf kaum noch lohnt, wenn die Betreuungskosten gegen das eigene Einkommen gerechnet werden. Aber auch Großeltern, die für ihre Kinder die Betreuung ihrer Enkel übernehmen, werden aufgefordert zusätzlich Kinder in die Betreuung zu nehmen. Für jemanden, der eine Armutsrente bekommt, ist das ein kaum abzulehnendes Angebot.
Dabei klingen die Modellrechnungen der Kommunen vielversprechend: Meist zwischen 4 bis 6 Euro pro Kind (die Sätze sind regional unterschiedlich) bedeutet bei max. möglichen 5 Kindern einen hübschen Stundenlohn von 20 bis 30 Euro. Den Tageseltern wird empfohlen, das eigene Betreuungsangebot möglichst so zu organisieren, dass 8 Stunden Auslastung am Stück gewährleistet sind. Das aber ist unrealistisch. Betreuungslücken zu füllen bedeutet, dass manche Eltern ihre Kinder im Halbschlaf um 5 Uhr morgens abliefern müssen. Oder spät abends, ggf. auch zur Übernachtung. Dabei fünf Familien zu finden, die im örtlichen Umfeld die gleichen Betreuungszeiten brauchen und dies dann am besten auch noch mit der eigenen Familie abzustimmen ist kaum möglich. Dazu kommen Verspätungen von Eltern bei der Abholung, das Bedürfnis der Eltern nach Informationen über das, was sie den Tag über verpasst haben (um das eingeredete schlechte Gewissen zu beruhigen), Probleme bei der Koordinierung von Urlaub, Krankheitszeiten und Vertretungszeiten usw.
Das Land Baden-Württemberg hat den Kommunen nun zugesagt, sich an der finanziellen Besserstellung der scheinselbstständigen Tageseltern zu beteiligen. Es soll nun einen Euro mehr pro Kind und Stunde geben – für unter drei Jahre alte Kinder wären das 6,50 Euro, für Kindern über drei Jahre 5,50 Euro. Die Studie des Landesverbandes Kindertagespflege rechnet vor, dass 9,49 Euro pro Stunde und Kind nötig wären, um auf den gesetzlichen Mindestlohn zu kommen.