Fahnenverbote zielen auf alle Antifaschisten

Flagge zeigen!

Kolumne

Im zweiten Jahr in Folge verboten die Berliner Behörden während der Feierlichkeiten am 8. und 9. Mai anlässlich der Befreiung vom deutschen Faschismus das Tragen russischer Fahnen oder Farben. Verboten war auch das Zeigen der Fahne der sozialistischen Sowjetunion. Es war die Rote Armee, die Berlin befreite und es wird wohl niemand bei Verstand bezweifeln, dass es die Menschen in den Sowjetrepubliken waren, die den größten Blutzoll leisten mussten und den größten Anteil an der Niederwerfung des NS-Regimes hatten.

All dies interessiert die Behörden der Hauptstadt nicht, oder besser gesagt, es passt ihnen einfach nicht. Daher erließ die Versammlungsbehörde einen Auflagenkatalog, um die Feierlichkeiten deutlich zu behindern, wenn sie schon nicht ganz untersagt werden können. Und, ganz ehrlich, es ist nicht ausgeschlossen, dass auch das eines Tages versucht wird.
Dabei ist die Verfügung so unbestimmt gehalten, dass sie der Polizeiwillkür vor Ort, zum Beispiel bei den jährlichen Feierlichkeiten am Sowjetischen Ehrenmal, Tür und Tor öffnet, um gegen antifaschistische Demonstrantinnen und Demonstranten vorzugehen.

Die DKP Berlin, Anmelderin der Versammlung, hatte Widerspruch gegen die Verfügung eingelegt und ein Eilverfahren beim Verwaltungsgericht Berlin beantragt. Es ist schon wirklich ziemlich dreist, dass dieses Eilverfahren erst im Laufe des 8. Mai entschieden wurde. Im Ergebnis blieb die rote Fahne der Sowjetunion untersagt. Ukrainische Nationalisten hingegen durften sich freuen, denn sie durften schließlich mit ihren blau-gelben Fahnen provozieren und Kriegspropaganda betreiben.

Die Kundgebung wurde dann auch wie erwartet durch das polizeiliche Auftreten behindert und der DKP mit der Beschlagnahmung ihrer Fahnen gedroht. Das ist ja ganz klar, denn ihre Fahne ist rot und wird von Hammer und Sichel geziert. Daran wird klar, was alle längst wissen: Diese Verfügung richtet sich gegen alle Antifaschistinnen und Antifaschisten im Allgemeinen, doch gegen Kommunistinnen und Kommunisten im Besonderen.

Das Verbot der Fahne der ehemaligen Sowjetunion ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Millionen Menschen, die im Kampf gegen das Nazi-Regime ihr Leben verloren haben. Das Verbot ist zudem ein gezielter Schlag gegen die politischen Grundrechte und die Meinungsfreiheit. Mit dieser Verfügung wurde die öffentliche Erinnerung an die Verdienste der Sowjetunion bei der Befreiung kriminalisiert.

Es war wichtig und absolut notwendig, sich juristisch dagegen zur Wehr zu setzen, auch in dem Bewusstsein, dass diese zu hundert Prozent unabhängigen Gerichte der bürgerlichen Klassenjustiz, wie sie sich gerne darstellen, eine politische Entscheidung treffen und natürlich beim Flaggenverbot bleiben würden. Nichts darf am Erbfeind Russland sympathisch sein, das passt nicht zur allgegenwärtigen NATO-Kriegspropaganda. Und schließlich sollte doch auch der ukrainische Präsident Wladimir Selenski wenige Tage später den Karlspreis verliehen kriegen und von der Ampel-Regierung nochmal 2,7 Milliarden Euro für zusätzliches Kriegsgerät zugesagt bekommen.

Da passen Gedenkfeiern mit roten Fahnen zum Gedenken an die Rote Armee so gar nicht ins herrschende Narrativ. Aber das sollen sie ja auch nicht. Es ist wichtig zu widersprechen, gegen den Krieg, gegen die Komplizenschaft der BRD, den Antikommunismus und die Russophobie.
Wie oft zukünftig das Repressionsmittel der Flaggenverbote aus dem Hut gezaubert wird, muss abgewartet werden. Je mehr Klagen und Proteste es gibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Behörden es sein lassen, weil es ihnen zu beschwerlich ist. Ein weiterer Faktor ist, wie erfolgreich das Verbot vor Ort ist. Denn es ist ja nicht so, dass es vor dem Ehrenmal keine Sowjetfahnen gegeben hätte. Protest und Gedenken finden immer ihren Weg.

Unser Autor ist Bundessprecher der ­Roten Hilfe e. V.

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"Flagge zeigen!", UZ vom 19. Mai 2023



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