Es scheint kein Halten mehr zu geben. Während beim größten deutschen Autobauer Volkswagen weiter Arbeitsplätze, ganze Werke und in Jahrzehnten aufgebaute Lohnniveaus auf dem Spiel stehen, zerbröselt in den letzten Tagen ein von rechts immer wieder vorgebrachtes Argument wie eine Sandburg in der Brandungszone am Nordseestrand – nämlich, dass diese Krise bei VW vor allem mit den zu hohen Lohnkosten zusammenhingen. Wäre das so, müssten andere deutsche Autobauer von der Krise in Wolfsburg profitieren und die Autozulieferer würden sich nach Stuttgart, München oder Ingolstadt umorientieren. Das ist aber nicht der Fall. Stattdessen brennt die ganze Branche. BMW meldet einen Gewinnrückgang von 84 Prozent und verweist als Grund auf einen Absatzrückgang in China um fast ein Drittel. Ähnliche Zahlen gibt es auch aus Ingolstadt, wo nach Berichten des „Manager Magazins“ Audi von den dortigen 10.000 Stellen in der Autoentwicklung 2.000 streichen will. Nicht nur die Pkw-Absätze brechen ein: Nach einem Absatzrückgang von 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr meldete Daimler-Benz für den Stammsitz seiner Lkw-Produktion in Rheinland-Pfalz Kurzarbeit an.
Wie bei einem Großbrand frisst sich das Feuer durch alle Stockwerke der Produktion. Der Autozulieferer Schaeffler – von dort kommen die unentbehrlichen Kugellager – will von seinen 120.000 Stellen 4.700 streichen, davon 2.800 in Deutschland. Eine zu Anfang letzter Woche veröffentlichte Umfrage des Verbandes der deutschen Autoindustrie (VDA) ergab, dass 54 Prozent der überwiegend mittelständisch geprägten Autozulieferer gegenwärtig Beschäftigungsabbau durchführen oder planen. 19 Prozent hätten angesichts der Talfahrt der deutschen Autokonzerne Investitionen gestrichen, 23 Prozent haben diese ins Ausland verlagert und 27 Prozent haben sie erst einmal verschoben.
Das Argument mit den zu hohen Löhnen ist auch deshalb falsch, weil es auch jenseits der deutschen Grenzen brennt – nicht nur im EU-Europa. Dort werden fast durchweg ähnliche Absatzprobleme wie in Deutschland vermeldet und selbst die von allen Lohneinbußen der breiten Masse verschont gebliebene Edelmarke Ferrari meldete, dass sie im letzten Quartal 75 Wagen oder 2 Prozent weniger als noch im Vorjahr verkauft hätte. In Japan streicht Nissan „als erster asiatischer Autokonzern“ 9.000 Stellen, wie die Nachrichtenagenturen Ende letzter Woche meldeten.
Autos werden allerdings weiter verkauft. Im mit 40 Prozent größten Automarkt der Welt, in China, werden nur mehr und mehr Modelle heimischer Hersteller gekauft und sie gewinnen vor allem außerhalb der EU und der USA beständig Marktanteile hinzu. Der Hauptgrund dafür sind auch nicht in erster Linie Lohnunterschiede. „Der Vorsprung durch Technik passiert jetzt in China“, resümierte Stefan Sielaff, früher Chefdesigner bei der Volkswagen-Tochter Bentley, kürzlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ). Auch die nun um ihre Arbeitsplätze bangenden Ingenieure der früheren technologischen Vorzeigemarke Audi bestätigen das. Sie, wurde nicht ohne Stolz berichtet, wären nun in der Lage, „eine komplette Fahrzeugarchitektur“ innerhalb von drei Jahren auf die Beine zu stellen. Das, berichtete die FAZ am 8. November, gelte „für deutsche Hersteller als schnell, in China reichen den Unternehmen häufig zwei Jahre“.
Die jetzt von allen Konzernen versuchte Lohndrückerei wird dieses Problem nicht nur nicht lösen, sondern vermutlich verschärfen – oder wer glaubt ernsthaft, Stellenabbau und niedrigere Löhne würden helfen, die verlorengegangene technologische Führerschaft zurückzuerobern?
Vermutlich ist das Ende des Golgathawegs der deutschen Autoindustrie noch nicht erreicht. Daimler beispielsweise hat zwar erhebliche Absatzeinbrüche für seine Lkws in China und Europa zu verzeichnen, konnte dagegen in Nordamerika den Verkauf im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 4 Prozent auf 49.200 Lkws steigern. Auch dieses Standbein dürfte nach Trumps Wahlsieg nun bald wegbrechen.